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Klinische Leitsymptomatik übertrumpft Labordiagnostik
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Published: | August 30, 2023 |
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Vorgeschichte: Acht Wochen vor Krankenhausaufnahme klagt eine 70-jährige Patientin nach Stolpersturz über zurückbehaltene Schulter-/Nackenschmerzen. Zudem fielen Kieferschmerzen bei längerem Kauen auf, die auf eine Pause der Muskelaktivität sistierten. Vier Wochen vor Krankenhausaufnahme trat plötzlich eine passagere Diplopie auf. Hierauf Notfallvorstellung in einem Kreiskrankenhaus. Eine kraniale Computertomographie (cCT) und kraniale Magnetresonanztomographie (cMRT) blieben bezüglich cerebraler Ischämie unauffällig, ebenso die Entzündungsparameter. Arbeitsdiagnose Transitorisch ischämische Attacke (TIA). Ein Tag vor Krankenhausaufnahme trat eine Amaurosis fugax rechts auf. Allgemeinsymptomatik wie Leistungsknick, B-Symptomatik zusätzlich zur erwähnten Leitsymptomatik bestand nicht.
Leitsymptom bei Krankheitsmanifestation: Akutvorstellung in der Notaufnahme des Universitätsklinikum Augsburg (UKA) bei einseitiger Erblindung des rechten Auges.
Diagnostik: Die Fundoskopie ergab eine massive Papillenschwellung mit positivem relativ afferenten Pupillendefekt (RAPD), Tortuositas der Gefäße, Ischämiebande der inferioren Hälfte und ein Hemi-Zentralarterienverschluss mit Reduktion des Visus auf nulla lux. Laborchemisch waren weder C-reaktives Protein (CRP) noch Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) erhöht. Siehe Tabellen 1 [Tab. 1], 2 [Tab. 2]. Die Sonographie der hirnversorgenden Gefäße ergab dezente makroangiopathische Veränderungen, die Aa. temporales wurden bei fehlenden Entzündungsparametern nicht gezielt untersucht. Die cCT mit Angiographie zeigte keinen Vaskulitisnachweis und keine cerebrale Ischämie. Die cMRT zwei Tage später bestätigte den dringenden klinischen Verdacht einer Arteriitis mit Manifestation in den Arteriae temporales superficiales. Die rechtsseitige Arteria temporalis superficialis sowie der Ramus frontalis der kontralateralen Arterie waren bereits verschlossen. PET-CT-morphologisch wurde eine Stoffwechselsteigerung im Sinne einer Vaskulitis der Arteriae vertebrales, der Arteriae carotides internae, der Aorta abdominalis und der Beinarterien beschrieben (s. Abbildung 1 [Abb. 1]). Eine Biopsie der Temporalarterie war patientenseitig abgelehnt worden.
Diagnose: Riesenzellarteriitis mit anteriorer ischämischer Optikusneuropathie (AION) ohne Erhöhung der Entzündungsparameter CRP und Blutsenkungsgeschwindigkeit.
Therapie: Tag 1–3: Methylprednisolon 1.000 mg intravenös, gefolgt von oraler Prednisolontherapie, beginnend mit 1 mg pro Kilogramm Körpergewicht, maximal 60 mg.
Weiterer Verlauf: Methotrexat oder Tocilizumab wurde empfohlen, die Patientin entschied sich jedoch dagegen. Der Visus des rechten Auges konnte nicht verbessert werden. Das linke Auge war weder initial noch im Verlauf betroffen. Aktuell ca. 1 Jahr nach Erstmanifestation werden 7 mg Prednisolon/Tag eingenommen. Die Riesenzellarteriitis präsentiert sich zumeist mit suggestiver Leitsymptomatik und einer Erhöhung der unspezifischen Entzündungsparameter CRP und Blutsenkungsgeschwindigkeit. Diese sind in Verbindung mit der klinischen Symptomatik und der Bildgebung auch zur Definition der Remission und deren Verlaufskontrolle entscheidend [1]. Dass sowohl CRP als auch Blutsenkungsgeschwindigkeit wie in diesem Fall normwertig sind, gilt als sehr selten (<3%). Je nach Quelle kommt es in circa 5 bis 22% der Fälle zu keiner Erhöhung wenigstens einer der beiden Entzündungsparameter [2], [3], [4], [5], [6].
Literatur
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- Salvarani C, Hunder GG. Giant cell arteritis with low erythrocyte sedimentation rate: frequency of occurence in a population-based study. Arthritis Rheum. 2001 Apr;45(2):140-5. DOI: 10.1002/1529-0131(200104)45:2<140::AID-ANR166>3.0.CO;2-2
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- Martins P, Teixeira V, Teixeira FJ, Canastro M, Palha A, Fonseca JE, Ponte C. Giant cell arteritis with normal inflammatory markers: case report and review of the literature. Clin Rheumatol. 2020 Oct;39(10):3115-25. DOI: 10.1007/s10067-020-05116-1
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- Parikh M, Miller NR, Lee AG, Savino PJ, Vacarezza MN, Cornblath W, Eggenberger E, Antonio-Santos A, Golnik K, Kardon R, Wall M. Prevalence of a normal C-reactive protein with an elevated erythrocyte sedimentation rate in biopsy-proven giant cell arteritis. Ophthalmology. 2006 Oct;113(10):1842-5. DOI: 10.1016/j.ophtha.2006.05.020
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