Aktuelle Neurologie 2007; 34 - M142
DOI: 10.1055/s-2007-987513

Klassische Konditionierung des Blinkreflexes beim essentiellen Tremor

D Timmann-Braun 1, J Noth 1, K Kiening 1, V Coenen 1, V Tronnier 1, M Kronenbuerger 1
  • 1Essen, Aachen, Heidelberg, Lübeck

In der Pathogenese des essentiellen Tremors (ET) spielt möglicherweise eine Störung im olivo-zerebellären System eine Rolle. Dafür sprechen neben tierexperimentellen Arbeiten, Bildgebungsstudien und der Nachweis zerebellärer Bewegungsstörungen bei ET-Patienten. Das Kleinhirn ist nicht nur an der Kontrolle von Bewegungen sondern auch an motorischen Lernvorgängen beteiligt. Die Blinkreflexkonditionierung ist ein etabliertes Paradigma zur Untersuchung motorischen Lernens. Bei Kleinhirnerkrankungen ist dieser Lernvorgang beeinträchtigt. In der vorliegenden Studie wurde untersucht, ob auch ET-Patienten Blinkreflexkonditionierungsdefizite zeigen und ob diese durch die Tiefe Hirnstimulation (THS) des ventrolateralen Thalamus (VLT), der eng mit dem Kleinhirn verbunden ist, gebessert werden.

An 2 Tagen wurden 23 ET-Patienten, 25 Kontrollen und 11 ET-Patienten mit THS (Tag 1: THS-AN/Tag 2: THS-AUS) mittels Blinkreflexkonditionierung untersucht. Hierfür wurden 100 CS-US-Paare dargeboten, bestehend aus einem Ton am rechten Ohr (CS) gefolgt von einem Luftstoß am rechten Auge (US), der zu einem Lidschluss (UR) führte. Ein Lidschluss nach Hören des Tons und vor dem Luftstoß wurde als konditionierte Antwort (CR) gewertet. Die CR-Rate (Lernrate) wurde pro Block bestehend aus 10 Paaren berechnet. Die statistische Auswertung erfolgte mit ANOVA.

Die ET-Patienten zeigten an beiden Tagen weniger konditionierte Antworten (Gruppeneffekt p<0,01) und eine verminderte Lernrate (Gruppe*Block-Effekt p<0,01) gegenüber Kontrollen. Diese Defizite korrelierten nicht mit klinischen Merkmalen (Tremorstärke, Intentionstremor oder anderen cerebellären Zeichen, Erkrankungsdauer). Die Lernrate war mit THS-AUS entsprechend vermindert (Gruppeneffekt Tag 1: p=0,07), erreichte mit THS-AN (Tag 2) jedoch ein Niveau, dass dem von Gesunden vergleichbar war (Gruppeneffekt Tag 2: p=0,8).

Die Befunde können als weiterer Hinweis auf eine Dysfunktion des olivo-zerebellären Systems als Ursache für ET gewertet werden. Die Defizite bei der Blinkreflexkonditionierung waren bereits in frühen Krankheitsphasen nachweisbar. Die THS bessert möglicherweise das Lerndefizit durch eine Modulation pathologischer Netzwerkaktivität, denn der VLT ist nicht per se für diesen einfachen motorischen Lernvorgäng erforderlich. Diese Modulation des olivo-zerebellären Systems erfolgt mögicherweise durch eine anterograde Aktivierung thalamo-cortico-cerebellärer oder eine retrograde Aktivierung cerebello-thalamischer Bahnen.