Aktuelle Neurologie 2006; 33 - V108
DOI: 10.1055/s-2006-953005

„Kranieller Schreibkrampf“ – Eine ungewöhnliche Übergebrauchsdystonie nach beiderseitiger traumatischer Armamputation

A. Schramm 1, M. Naumann 1, K. Reiners 1, M. Beck 1, J. Classen 1
  • 1Würzburg, Augsburg

Der 66-jährige Patient erlitt im Alter von 15 Jahren durch Trauma eine komplette Exartikulation im rechten Schultergelenk sowie eine Amputation des linksseitigen Oberarmes mit verbliebenem Stumpf von ca. 15cm Länge. Der Patient lernte viele Tätigkeiten mit dem Kopf/Mund auszuführen und konnte bei vollkommen unauffälligem Schriftbild problemlos schreiben und zeichnen.

Im 35. Lebensjahr trat eine Verkrampfung der Halsmuskulatur auf, die sich zunächst nur beim Schreiben manifestierte und zu einer Verschlechterung des Schriftbildes führte. Die Verkrampfungen besserten sich anfangs durch Berührung des Gesichts im Kinnbereich mit dem linken Oberarmstumpf. Seit dem 50. Lebensjahr entwickelte sich dann zunächst ein Kopftremor in extremen Kopfpositionen und schließlich auch eine spontan auftretende, unwillkürliche Kopfdrehung nach rechts. Die Familienanamnese bezüglich dystoner Erkrankungen war unauffällig, die Einnahme von Neuroleptika wurde verneint und die weitere ausführliche neurologische Diagnostik war bis auf eine sonst asymptomatische, zervikale Spinalkanalstenose ohne Myelopathie unauffällig. Die Therapie mit Botulinumtoxin führte zu keiner wesentlichen Besserung.

Das Video zeigt den Patienten mit einem ausgeprägten, rein rotatorischen Torticollis nach rechts bis zu einem Drehwinkel von 80 Grad und einem dystonen Kopftremor. Bei Verwendung eines chinesischen Essstäbchens, welches der Pat. unter den Armstumpf links klemmt und mit dessen Spitze er das Kinn leicht berührt, sistiert das Auftreten der dystonen Verkrampfungen vollständig. Andere dystone Symptome lagen nicht vor, der weitere neurologische Untersuchungsbefund war im Wesentlichen unauffällig. Im Oberflächen EMG deutliche tonische und phasische Aktivität im M. splenius capitis rechts sowie weniger ausgeprägt im M. sternocleidomastoideus links.

Unseres Wissens nach handelt es sich um den ersten berichteten Fall einer zervikalen, initial rein aufgabenspezifische Dystonie welche sich im Verlauf nicht mehr von einer idiopathischen zervikalen Dystonie unterscheiden lässt.