Aktuelle Neurologie 2008; 35 - P641
DOI: 10.1055/s-0028-1086895

Soll man Langzeit-Überlebende HIV-Infizierte mit asymptomatischem Verlauf antiretroviral behandeln?

G Arendt 1, T Nolting 1
  • 1Düsseldorf

Einleitung: Für die systemische HIV-Infektion existieren in Form der CD4+-Zellen und der Plasma-Viruslast (VL) zufriedenstellende Krankheits-Surrogatmarker. Über mehr als 10 Jahre stabile Werte dieser Surrogat-Marker kennzeichnen den Verlauf der sog. Langzeit-Überlebenden oder langzeit-Infizierten, deren HIV-Infektion auch ohne antiretrovirale Behandlung asymptomatisch bleibt. Es ist allerdings nichts über zentral-nervöse Defizite bei diesen Patienten bekannt, da anerkannte Surrogat-Marker für diese Komplikation der HIV-Infektion fehlen. Sicher ist, dass subklinische und/oder klinisch-manifeste cognitive Defizite unabhängig von der systemischen Infektion auftreten können.

Methodik: In einer Kohorte von 3156 HIV-positiven Patienten wurden behandelte und unbehandelte langzeit-überlebende HIV-positive Patienten vor und in der HAART (hochaktive antiretrovirale Therapie)-Ära hinsichtlich testpsychologischer Defizite verglichen. Es wurden vier Gruppen gebildet: unbehandelte und behandelte Langzeit-Überlebende (>10 Jahre als HIV-positiv bekannt ohne Zeichen der Krankheitsprogression) vor (Gruppe 1=522 Patienten und Gruppe 2=566 Patienten) und in (Gruppe 3=684 Patienten und Gruppe 4=1276 Patienten) der HAART-Ära. Die angewendeten neuropsychologischen Tests waren: Feinmotorikanalysen, der Syndrom-Kurz-Test und die Hamilton-Depressions-Skala. Die Patientengruppen waren vergleichbar hinsichtlich des Lebensalters, des Ausbildungsstandards, der ethnischen Zugehörigkeit, der Geschlechterverteilung, der CD4+-Zellzahl und der Plasma-Viruslast (VL).

Ergebnisse: Vor und in der HAART-Ära bewiesen Langzeit-Überlebende bessere motorische und cognitive Fähigkeiten. Auch die Depression-Scores waren in dieser Gruppe niedriger als bei anderen HIV-positiven Patienten. Aber auch bei den Langzeit-Infizierten zeigten sich Schwierigkeiten am Arbeitsplatz auf dem Boden mangelnder intellektueller Präsenz (Score 1.45 vs. 1.04 bei unbehandelten/behandelten Langzeit-Infizierten).

Schlussfolgerungen: Auch wenn der Verlauf der systemischen HIV-Infektion bei Langzeit-Infizierten sehr günstig ist, können sie cognitive Defizite entwickeln und sind nicht selten depressiv, evtl. auch als Folge der HAART. Neuropsychologische Tests sollten in die Routineversorgung HIV-Infizierter integriert werden, um Defizite rechtzeitig diagnostizieren und den klinischen Verlauf der „neurologischen“ HIV-Infektion besser einschätzen zu können, was für Therapiestudien von entscheidender Bedeutung wäre.