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64. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

08. - 11.09.2019, Dortmund

Ist Migräne mit Aura ein Risikofaktor für Schlaganfälle? Ergebnisse der Heinz Nixdorf Recall Studie

Meeting Abstract

  • Carolin Ellen Wagner - Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen, Germany
  • Susanne Moebus - Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen, Germany
  • Karl-Heinz Jöckel - Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen, Germany
  • Zaza Katsarava - Stiftung Evangelisches Krankenhaus Unna, Unna, Germany; EVEX Medical Corporation, Tiflis, Georgia; Sechenov Universität, Moskau, Russia
  • Sara Schramm - Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen, Germany

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 64. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Dortmund, 08.-11.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocAbstr. 95

doi: 10.3205/19gmds014, urn:nbn:de:0183-19gmds0146

Published: September 6, 2019

© 2019 Wagner et al.
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Hintergrund: Studien berichten über ein erhöhtes Schlaganfallrisiko für Migräniker mit Aura [1], [2], [3], [4], [5]. Die Assoziation von Migräne ohne Aura und Schlaganfall ist umstritten [2], [4], [5], [6]. Wir untersuchten anhand der Daten der prospektiven bevölkerungsbezogenen Heinz Nixdorf Recall Studie die geschlechtsspezifische Assoziation zwischen Migräne mit (MigA+) und ohne Aura (MigA-) und Schlaganfall.

Methoden: Von 4814 Studienteilnehmern zur Ersterhebung (2000-2003, 45-76 Jahre) wurden 3088 Probanden mit Informationen zum Lebzeiten-Migränestatus zur Dritterhebung (2011-2016) eingeschlossen. Schlaganfälle vor Ersterhebung wurden erfragt. Inzidente Schlaganfälle wurden jährlich erfragt und anhand medizinischer Befunde von einem externen Expertenkomitee validiert. Zur Dritterhebung (2011-2016) wurde der systolische Blutdruck gemessen und nach klassischen Migränesymptomen (jemals im Leben) gefragt sowie, ob immer noch gelegentlich Kopfschmerzen auftreten. Zur Kopfschmerztypidentifikation (MigA+/MigA-/andere/nie Kopfschmerzen) wurde die Klassifikation der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft modifiziert, indem Symptome jemals (nicht attackenweise) abgefragt wurden. In Analyse-1 wurden Probanden mit Schlaganfall vor Ersterhebung ausgeschlossen. Exposition war der Kopfschmerztyp (Referenz: nie Kopfschmerzen), Endpunkt der erste inzidente Schlaganfall nach Ersterhebung. Um alle jemals berichteten Schlaganfälle zu berücksichtigen, wurde in Analyse-2 das Studieneintrittsdatum auf 15 Jahre gesetzt. Endpunkt war ein inzidenter Schlaganfall ab dem 15. Lebensjahr. Hazard Ratios (HRs) und 95%-Konfidenzintervalle [95%KI] wurden mittels Cox-Regression geschlechtsstratifiziert und alters- und blutdruckadjustiert (Analyse-1) bzw. blutdruckadjustiert (Analyse-2) geschätzt. Wegen zu geringer Fallzahlen, konnte nicht für weitere Faktoren adjustiert werden.

Ergebnisse: Von 3088 Probanden berichteten 8,7% jemals MigA+, 23,0% MigA-, 41,7% andere Kopfschmerzen und 26,7% nie Kopfschmerzen. Probanden mit Migräne waren häufiger weiblich (Frauenanteil: MigA+: 73%; MigA-: 68%; andere Kopfschmerzen: 48%; nie Kopfschmerzen: 35%). Probanden ohne Kopfschmerzen waren im Mittel älter als Kopfschmerzprobanden (MigA+: 57±SD6,5 Jahre; MigA-: 57±7,3 Jahre; andere Kopfschmerzen: 58±7,4 Jahre; nie Kopfschmerzen: 61±7,3 Jahre). 132 Probanden hatten Schlaganfälle (55 vor Ersterhebung, 77 inzident [Inzidenzrate 2,5%]). Die Mehrheit der Schlaganfallprobanden war männlich (61%). Frauen mit MigA+ hatten häufiger einen Schlaganfall als Frauen mit anderen Kopfschmerztypen (MigA+: 6,2%; MigA-: 3,6%; andere Kopfschmerzen: 2,5%; nie Kopfschmerzen: 2,8%). Männer mit anderen Kopfschmerzen hatten seltener einen Schlaganfall als Männer mit anderen Kopfschmerztypen (MigA+: 11,0%; MigA-: 6,2%; andere Kopfschmerzen: 3,0%; nie Kopfschmerzen: 7,1%). Probanden mit Schlaganfall geben zur Dritterhebung häufiger immer noch gelegentliche MigA+ an als Probanden ohne Schlaganfall, Männer mit Schlaganfall hatten zur Dritterhebung seltener immer noch andere Kopfschmerzen (Frauen mit/ohne Schlaganfall: MigA+: 58%/48%, MigA-: 31%/36%, andere Kopfschmerzen: 53%/52%; Männer mit/ohne Schlaganfall: MigA+: 57%/45%, MigA-: 40%/43%, andere Kopfschmerzen: 24%/47%. Migräniker erlitten im Mittel früher einen Schlaganfall als Probanden mit anderen oder keinen Kopfschmerzen (Frauen: MigA+: 49±21 Jahre, MigA-: 63±12 Jahre, andere Kopfschmerzen: 65±12 Jahre, nie Kopfschmerzen: 66±8 Jahre; Männer: MigA+: 59±SD12 Jahre, MigA-: 58±12 Jahre, andere Kopfschmerzen: 63±11 Jahre, nie Kopfschmerzen: 68±9 Jahre). In Analyse-1 hatten Frauen mit Migräne, verglichen mit Frauen ohne Kopfschmerzen, tendenziell ein leicht erhöhtes inzidentes Schlaganfallrisiko (adjustiertes HR[95%KI]; MigA+: 1,61[0,42-6,12]; MigA-: 1,53[0,52-4,54]; andere Kopfschmerzen: 1,01[0,33-3,02]). Männer mit anderen Kopfschmerzen hatten ein erniedrigtes Schlaganfallrisiko (MigA+: 1,09[0,39-3,11]; MigA-: 0,81[0,36-1,79]; andere Kopfschmerzen: 0,43[0,25-0,81]). In Analyse-2 hatten nur noch Frauen mit MigA+ ein tendenziell erhöhtes Schlaganfallrisiko (adjustiert; MigA+: 2,88[1,17-7,11]; MigA-: 1,34[0,57-3,16]; andere Kopfschmerzen: 0,92[0,38-2,19]). Männer mit Migräne hatten, anders als in Analyse-1, auch tendenziell ein erhöhtes Schlaganfallrisiko (MigA+: 1,34[0,57-3,17]; MigA-: 1,22[0,67-2,21]), andere Kopfschmerzen (0,49[0,29-0,84]).

Schlussfolgerung: In dieser Studie tritt ein Schlaganfall bei Migränikern früher auf als bei Probanden mit anderen oder keinen Kopfschmerzen. Schlaganfallpatienten geben im Alter häufiger immer noch gelegentliche MigA+ an, als Probanden ohne Schlaganfall. Frauen mit MigA+ haben, wenn überhaupt, nur ein tendenziell erhöhtes Schlaganfallrisiko. Bei Männern mit Migräne sind die Ergebnisse stark schwankend.

Interessenkonflikte: CEW, SM, KHJ und SS haben keine Interessenkonflikte. ZK erhielt Honorare von Allergan, Novartis, Lilly, TEVA, Merck und Bayer.

Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.


Literatur

1.
Adelborg K, Szépligeti SK, Holland-Bill L, Ehrenstein V, Horváth-Puhó E, Henderson VW, Sørensen HT. Migraine and risk of cardiovascular diseases: Danish population based matched cohort study. BMJ. 2018 Jan 31;360:k96.
2.
Peng KP, Chen YT, Fuh JL, Tang CH, Wang SJ. Migraine and incidence of ischemic stroke: a nationwide population-based study. Cephalalgia. 2017 Apr;37(4):327-35.
3.
Osler M, Wium-Andersen IK, Jørgensen MB, Jørgensen TS, Wium-Andersen MK. Migraine and risk of stroke and acute coronary syndrome in two case-control studies in the Danish population. Clinical epidemiology. 2017;9:439.
4.
Androulakis XM, Kodumuri N, Giamberardino LD, Rosamond WD, Gottesman RF, Yim E, Sen S. Ischemic stroke subtypes and migraine with visual aura in the ARIC study. Neurology. 2016 Dec 13;87(24):2527-32.
5.
Abanoz Y, Abanoz YG, Gündüz A, Uludüz D, Ince B, Yavuz B, Göksan B. Migraine as a risk factor for young patients with ischemic stroke: a case–control study. Neurological sciences. 2017 Apr 1;38(4):611-7.
6.
Kurth T, Slomke MA, Kase CS, Cook NR, Lee IM, Gaziano JM, Diener HC, Buring JE. Migraine, headache, and the risk of stroke in women: a prospective study. Neurology. 2005 Mar 22;64(6):1020-6.