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Werkelmann (Werkelfrau)
In Österreich übliche Bezeichnung für eine populäre Volksfigur: Spieler der fahrbaren oder tragbaren Drehorgel („Werkel“), vorwiegend Männer, selten Frauen („Werklerinnen“), die im Straßenmusizieren häufiger als Sängerinnen tätig waren. Das an eine Lizenz gebundene Gewerbe, eingeführt durch Maria Theresia [I] als „Bettelmusikanten-Lizenz“ an invalide Kriegsveteranen, blieb bis 1930 gültig. Lizenzen waren nicht an andere Personen übertragbar, die Auftrittszeiten streng geregelt. Anfang des 19. Jh.s lösten die W.er die Drehleierspieler ab, sie waren in Wien an allen Orten der öffentlichen Belustigung zu finden, im Prater, Augarten, beim Brigitta-Kirtag sowie in den Höfen und Durchhäusern. Sie verdrängten langsam die Harfenisten aus dem Stadtbild. 1838 gab es in Wien rund 800 W.er. Meist traten sie in Verbindung mit einem Führer für die niedrigeren Verrichtungen (Schieben, Absammeln) auf. Sie selbst distanzierten sich durch ihr musikalisches Angebot vom Bettelwesen und legten Wert auf die richtige Beherrschung des rhythmischen Drehens der Kurbel („viereckiges“ Drehen als besonderes Merkmal der Wiener W.er). Offiziell galten sie aber nicht als Musiker und zählten im Biedermeier zur untersten Gesellschaftsschicht. Die Obrigkeit betrachtete sie mit Misstrauen, behandelte neue Lizenzanträge sehr rigoros, Lizenzen waren bei Missverhalten leicht zu verlieren. Im Publikumsgeschmack wurden die allerdings immer seltener werdenden italienischen Leiermänner bevorzugt, während die Wiener als eher unmusikalisch beschrieben wurden. Im Allgemeinen erfreuten sie sich aber bei den Wienern großer Beliebtheit, spielten in den Höfen zum Tanz auf und waren bis zur Erfindung des Grammophons für breite Kreise des Volkes die einzigen Verbreiter des populären Liedgutes, der Ländler, Walzer, Märsche, Wienerlieder und Operettenschlager (Schlager). Vom Drehorgelspiel leitet sich der umgangssprachliche Begriff „Drahn“ und „Drahrer“ in übertragener Bedeutung ab (vergnügungssüchtiger Mensch, Nachtschwärmer), der W. wurde auch zur Bühnenfigur der Volkssängergesellschaften und zur Vorlage für zahlreiche, meist romantisierende Lieder. In der Realität gelang allerdings kaum der Weg aus der Armut des Bettelmusikanten. Eine Ausnahme bildete Johann Riegler († 1860), der sich damit ein Vermögen erworben haben soll. Bekannt geblieben ist auch der Name von C. Schrammel, Halbbruder der berühmten Volksmusikanten Joh. und Jos. Schrammel.

Ende des 19. Jh.s wurden die „Werkler“ immer mehr als Belästigung empfunden, da sie die gängigen Gassenhauer bis zur Unerträglichkeit „totwerkelten“. Um 1900 war ihre Zahl auf 120 gesunken, 1914 auf 100 und 1920 auf 57. Das Wiener Theatergesetz von 1930 ermöglichte schließlich keine neuen Lizenzen mehr. In den folgenden Jahren der Arbeitslosigkeit war es den Straßenmusikanten, zu denen sich viele arbeitslos gewordene Musiker gesellten, möglich, gegen Abgabe von 2 Schilling bei der Polizei in drei Bezirken aufzutreten. Seit Anfang des 20. Jh.s konnte man auch von Verleihanstalten Geräte mieten, die nach angemessener Zeit in den Besitz übergingen. 1938 wurde das Straßenmusizieren generell verboten, nach Kriegsende wurden dann wieder 11 Lizenzen verlängert. 1958 waren nur mehr Karl Strnat und Franz Radosta aktiv. In den 1970er Jahren spielte Gerald Pepl auf einem batteriebetriebenen Werkel, 1977 gelangte Karl Nagl durch Intervention von Jörg Mauthe in der Hörfunksendung Der Watschenmann zu einer Lizenz. Heute (2006) sind wieder einige Drehorgelspieler tätig, darunter berufsmäßig Oliver Maar (* 1973), nebenberuflich P. und K. Nagl jun., Hans und Elfriede Galko, Peter Luxl und Robert Huber. Seit 1982 finden regelmäßige internationale Drehorgelspielertreffen (MEMUSI) des Kulturvereins Club Monte Laa im Böhmischen Prater in Wien-Favoriten (Wien X) statt, wo Wolfgang Geissler (* 1960) in Nachfolge seines Vaters Otto (1930–95) im eigenen Heurigenlokal „Zum W.“ gelegentlich für seine Gäste auftritt.


Literatur
G. Schaller-Pressler in Wien. Musikgesch. 1 (2006); O. Krammer, Wiener Volkstypen. Von Buttenweibern, Zwiefel-Krowoten u. anderen Wr. Originalen 1983; A. E. Frei, Die Wiener Straßensänger u. -musikanten im 19. u. 20. Jh., Diss. Wien 1978.

Autor*innen
Ernst Weber
Letzte inhaltliche Änderung
8.11.2022
Empfohlene Zitierweise
Ernst Weber, Art. „Werkelmann (Werkelfrau)‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 8.11.2022, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e693
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Werkelmann. Zeichnung von J. W. Geiger (ca. 1840). Wien Museum, Inv.-Nr. 20623/1, CC0 1.0
Wiener Bilder, 6.9.1896, 1 („Ein Wiener Werkelmann“)© ANNO/ÖNB
Ein Werkelmann spielt den „Schönbrunner Walzer“ in Der Evangelimann von W. Kienzl (Wiener Bilder, 19.1.1896, 5 [Detail])© ANNO/ÖNB
Ausschnitt aus: Rudolf Pleban, Wiener Kastanienbaum. Sgraffito-Wandbild (1956/57) am Gemeindebau Kreilplatz 2 (Wien XIX)© Björn R. Tammen
© Björn R. Tammen

DOI
10.1553/0x0001e693
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