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Ludkewytsch, Ludkewytsch, true Stanislav
* 1879 -12-2424.12.1879 Jaroslaw/Ostgalizien (heute PL), † 1979 -09-1010.9.1979 L’viv/UA. Komponist, Musikwissenschaftler, Pädagoge, Gymnasialprofessor. Sohn eines Volksschullehrers; absolvierte 1897 das Obergymnasium in Jaroslaw, 1901 die Lemberger Univ., wo er auch seine Lehramtsprüfung aus klassischer und slawischer Philologie ablegte; 1897–99 studierte er Musiktheorie und Kompositionslehre (bei Mykola Soltys und Jan Gall) am Konservatorium des dortigen Galizischen Musikvereins; 1902–10 lehrte er am Gymnasium in Przemyśl/Galizien (heute PL); 1903/04 diente er im österreichischen Heer in Wien. L. engagierte sich im aufblühenden gesellschaftlichen Leben Lembergs (Sportverein Sokil [Falke], Aufklärungsverein Prosvita, Dirigent der Chöre im Gesangsverein Bojan und im Studentenverein Akademitschna Hromada); 1903 Mitbegründer der ersten ukrainischen MHsch. in Galizien, des Wyschtschyj musytschny instytut [Höheres Institut für Musik] des Lyssenko-Musikvereines; ständiger Musikrezensent der Lemberger Tageszeitung Dilo [Tat]; gründete 1905 zusammen mit dem Maler Ivan Trusch die Zeitschrift Artystytschnyj wisnyk [Kunstbote für Malerei, Musik und Bildhauerei] als Ergänzung zum Monatsblatt Literarisch-wissenschaftlicher Bote. L. näherte sich dem modernistischen ukrainischen Dichterkreis Moloda muza [Junge Muse] an.

Im September 1906 ging L. nach Wien, wo er an der Univ. Kunstgeschichte und Musikwissenschaft (bei G. Adler, Friedrich Jodl, M. Dietz, R. Wallaschek; Dr. phil 1908), daneben Kontrapunkt bei H. Grädener und Komposition bei A. Zemlinsky studierte.

1910 nach Lemberg zurückgekehrt, entfaltete er eine überaus fruchtbare Tätigkeit als Organisator des Ausbildungssystems für Fachmusiker, das er tief geprägt hat durch Schaffung eines Netzes von Zweigstellen des Höheren Lyssenko-Instituts für Musik in ganz Ostgalizien, die einer einheitlichen Satzung und der zentralisierten Direktion in Lemberg untergeordnet waren; 1910–14 war er Direktor und 1926–39 Inspektor der Zweigstellen. 1934 war er einer der Begründer des Sojuz ukrajinskych profesijnych musyk (SUPROM) [Verband der ukrainischen professionellen Musiker], 1936 leitete er die musikwissenschaftliche Kommission; seit 1939 Prof. am Staatlichen Lyssenko-Konservatorium (vorher: Höheres Lyssenko-Institut für Musik) und für lange Jahre Leiter der kompositorischen Abteilung. In sowjetischer Zeit war er auch Parlamentsabgeordneter und ab 1956 Vorstandsmitglied des ukrainischen Komponisten-Verbandes. Der ideologische Druck führte zur Verarmung der kompositorischen Fähigkeit. Die sowjetische Ideologie blieb ihm bis zum Ende fremd.

L. gehörte zu den hervorragendsten Komponisten der Westukraine. Von der Kritik wird er mit Recht als Monumental-Romantiker (Romantik) bezeichnet (großer Aufführungsapparat und die Einführung des Chors in den Schlussteil). Als Komponist wie auch als Theoretiker steht L. im Gefolge spätromantischer Tendenzen. Das lässt sich sowohl an Rich. Wagners Einfluss auf die Orchesterbehandlung und Harmonik ablesen als auch an der Auswahl der literarischen Quellen sowie an den synthetisierenden zyklischen Musikformen (Symphonie-Kantate, Symphonische Dichtung). Aus seinem fast alle Sparten umfassenden Gesamtwerk (außer Ballett) sei die Symphonie-Kantate Kavkaz [Kaukasus] (1905–13) zu der gleichnamigen Dichtung von Taras Schewtschenko hervorgehoben. In den meisten seiner Werke verfolgt L. die Richtung der Programmmusik.

L. hat sich auch als Volkskundler, Musikwissenschaftler und -kritiker große Verdienste erworben. 1906/07 veröffentlichte die Ethnographisch-musikwissenschaftliche Kommission der ukrainischen Schewtschenko-Gesellschaft der Wissenschaften (NTSch), deren Mitarbeiter er war, die zweibändige Sammlung Galizisch-ruthenische Volkslieder (insgesamt 1500 von Phonographenwalzen abgeschriebene Lieder). Einen Teil der Arbeit (Ordnung und Redaktion der dechiffrierten Materialien) hat er während seines Militärdienstes in Wien (Sept. 1903 bis Sept. 1904) fortgesetzt. Ein leidenschaftlicher Anhänger der Volkskunst, führte er in seiner Dissertation u. a. eine genaue Analyse instrumentaler Flötenstücke von huzulischen Hirten durch, die auf der Wiedergabe einfacher Alltagssujets mit musikalischen Mitteln beruhen. Er fand, dass die Programmmusik ihre Wurzeln in volkstümlichen Vorstellungen haben sollte. In der Verbindung mit der Programmmusik und der Tonmalerei hat er einen eigenen, einzigartigen Ansatz gefunden. Eine gesteigerte Aufmerksamkeit für die Volksmusik ist in den 1920/30er Jahren (kurze Zeit nach Abfassung seiner Dissertation) zu beobachten (vgl. Zoltan Kodály, Béla Bartók, Igor Stravinsky, Sergej Prokofjew).

Seine zahlreichen Artikel über Musik- und allgemein künstlerische Probleme wurden von der offiziellen Kulturzensur in der Sowjetunion ignoriert und erst 1999 im ganzen Umfang veröffentlicht.


Ehrungen
Nacionalna Premija imeni Tarasa Schewczenka [Schewtschenko-Staatspreis] 1964; Narodnyj artyst Ukrajiny [Volkskünstler der Ukraine] u. Narodnyj artyst SRSR [Volkskünstler der Sowjetunion] 1969; Held der sozialistischen Arbeit 1979.
Werke
W (erschienen u. a. bei Muzytschna Ukrajina in Kiew, Suprom und Lvivskyj Bojan in L’viv sowie Ukrajinska Nakladnia in New York/Leipzig). Opern: Bar-Kochba (unvollendet), 1926 und Oleksa Dowbusch, 1955, beide nach eigenem Libretto. Kantaten: Wilnij Ukrajini [Der freien Ukraine] (T: S. L.) für S, gem. Chor u. Symphonieorch., 1912–14; Zapowit [Vermächtnis] (T: T. Schewtschenko) f. T. u. gem. Chor, 1933/34, red. 1955; Kawkaz [Kaukasus] (T: T. Schewtschenko), Kantaten-Symphonie für vier Singstimmen, gem. Chor u. Orch., 1905–13; Najmyt (T: Ivan Franko), 1939–41; Ostannij bij [Die letzte Schlacht] (T: S. L.), 1907; Nascha duma, nascha pisnia (T: T. Schewtschenko), 1931; Witschnyj revolutioner (T: I. Franko), 1898; Chor pidzemnych kowaliw [Chor der unterirdischen Schmiede] (T: Wasyl Patschows’kyj). Für Orch.: Symphonische Tänze auf ein ukrainisches Thema, 1910; Zaporiz´kyj marsch [Kosakenmarsch], 1914; Symphonische Dichtungen: Melancholijnyj wals [Melancholischer Walzer] nach Olha Kobyljans’ka, 1920; Kameniari [Steinbrecher] nach I Franko, 1926; Strilecka rapsodija [Galizische Rhapsodie] nach Liedern der ukrainischen Legionäre des Ersten Weltkriegs, 1914–19; Wesnianky [Frühlingslieder], Poem-Phantasie, 1936; Sinfonietta, 1942; Dnipro, 1947; Mojsej [Moses], Symphonisches Poem nach I. Franko, 1956; Nasche more [Unser Meer] nach O. Oles, 1960; Pisnia junakiw [Das Lied der Jugend], 1947; Ne zabud’ junych dniw [Die Jugendjahre kann man nicht vergessen] nach I. Franko, 1956; Podwyh [Heldentat], 1964. Drei Klavierkonzerte: Nr. 1 in B, 1920, red. 1950; Nr. 2 in d, 1930; Nr. 3 in f, 1957; Violinkonzert in A, 1945. Kammermusik: Nocturne für Klaviertrio, 1914; Klaviertrio in f, 1921, red. 1950; Tschabaraschka, Huzulischer Tanz f. V. u. Kl., 1920; Tychyj spomyn [Stille Erinnerung] f. V. u. Kl., 1921; Sarabande f. V., 1942. Klavierwerke: Pisnia noczi [Das Lied der Nacht], 1896; Romansa, 1900; Pisnia do schid soncia [Das Lied zum Sonnenaufgang], 1919; Humoreska, 1917; Lystok z alboma [Albumblatt], 1917; Barkarola, 1921; Pisnia bez sliv [Lied ohne Worte], 1922; Mala romansa [Kleine Romanze], 1941. Für Chor: Poklyk do bratiw slowian [Ruf zu den Slawenbrüdern] (T: S. L.); Zakuwala zozulen’ka [Der Kuckuck ruft]; Wetschir w chati [Der Abend im Haus] (T: S. Zarko); Sonce sachodyt’ [Sonnenuntergang] (T: Schewtschenko); Try schlachy [Drei Wege] (T: Schewtschenko); Pidlyssia (T: Markijan Schaschkewytsch); Konkiskatory (T: I. Franko); Woseny [Im Frühling] (T: I. Franko); ca. 30 Bearbeitungen ukrainischer Volkslieder; 4 Lieder der ukrainischen Legionäre des Ersten Weltkriegs; Voskresni pisni [Osternlieder] f. Männerchor; Slg. von 42 Volks- und liturgischen Liedern f. gem. Chor, 1922. Singstimmen: Koznym wetschorom zariwna [Jeden Abend die Prinzessin] (T: Heinrich Heine); Ne spiwaj meni seji pisni [Singe mir dieses Lied nicht] (T: Lesja Ukrajinka); Tscheremosche brate mij [Fluss Tscheremosch, du mein Bruder] (T: Bohdan Lepkyj); Tajina [Mistery] (T: Oleksander Oles’); Spy dytynko moja [Schlafe, mein Kind] (T: Pawlo Karmans’kyj); Oj, werbo werbo (T: Wasyl Patschows’kyj); ca. 20 Bearbeitungen von Werken anderer Komponisten, u. a. von D. Bortnianskyj, M. Werbyckyj, A. Wachnianyn.
Schriften
Zwei Beiträge zur Entwicklung der Tonmalerei, Diss. Wien 1908; gem. m. Osyp Rozdolskyj, Halycko-ruski narodni melodiji [Galizisch-ruthenische Volksmelodien] in Etnographitschnyj zbirnyk [Ethnographisches Sammelbuch] der NTSch Nr. 21/22 (1907); Zahalni osnowy musyky [Die Grundlage der Musik] 1921; Materialy do nauky solfegio i chorowoho spiwu [Materialien zu Solfeggiolehre und Chorgesang] 1930; Doslidzennia, statti, rezenziji [Erforschung, Artikel, Rezensionen] 1973, 1976, 1999.
Literatur
Riemann 1929; Dizionario enciclopedico Universale della Musica e dei Musicisti 1986; V. Vytwyckyj in Radianska muzyka Nr. 3 (1940); O. Tsalaj, Zapowit – kantata S. Ludkewytscha [Vermächtnis – Kantate von S. L.] 1963; M. Zahajkewytsch, Kawkaz – Kantata-Symfonija Ludkewytscha [Kaukasus – Kantaten-Symphonie von L.] 1963; M. Antonowytsch in Music Herald Dez. 1971; J. Jakubjak in Ukrajinske musykoznawstwo Nr. 7 (1972); S. Pawlyschyn, S. L. 1974; Beiträge v. L. Kyjanowska u. Z. Stunder in Schriftliche Mitt. der NTSch 225 (1993).

Autor*innen
Natalja Samotos
Letzte inhaltliche Änderung
14.3.2004
Empfohlene Zitierweise
Natalja Samotos, Art. „Ludkewytsch, Stanislav‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 14.3.2004, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d80c
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


DOI
10.1553/0x0001d80c
GND
Ludkewytsch, Stanislav: 1019625457
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