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BY 4.0 license Open Access Published by Oldenbourg Wissenschaftsverlag May 17, 2022

Von der Emotion zum Affekt und wieder zurück? Aktuelle Entwicklungen in der Emotionssoziologie

Yvonne Albrecht, Gefühle im Prozess der Migration: Transkulturelle Narrationen zwischen Zugehörigkeit und Distanzierung. Wiesbaden: Springer VS 2017, 329 S., kt., 49,99 € Jonas Bens & Olaf Zenker (Hrsg.), Gerechtigkeitsgefühle: Zur Affektiven Und Emotionalen Legitimität Von Normen. EmotionsKulturen/EmotionCultures 3. Bielefeld: transcript Verlag 2017, 266 S., kt., 34,99 € Susann Dahms, Strukturen des Affektiven: Kulturelle Ordnungen, Aufmerksamkeiten und affektive Hintergründe Edition 1 Sozialtheorie. Bielefeld: transcipt Verlag 2019, 322 S., kt., 39,99 € Judith Eckert, Gesellschaft in Angst? Zur Theoretisch-Empirischen Kritik Einer Populären Zeitdiagnose. Gesellschaft der Unterschiede. Bielefeld: transcript Verlag 2019, 436 S., kt., 39,99 € Nina Hossain, Emotionen und Geschlecht im politischen Feld. Arbeit, Organisation und Geschlecht in Wirtschaft und Gesellschaft Band 10. Baden-Baden: Nomos Verlag 2021, 345 S., kt., 64,00 € Larissa Pfaller & Basil Wiesse (Hrsg.), Stimmungen und Atmosphären: Zur Affektivität des Sozialen. Wiesbaden: Springer VS 2018, 285 S., kt., 34,99 € Elgen Sauerborn, Gefühl, Geschlecht und Macht. Frankfurt: Campus Verlag 2019, 333 S., br., 39,95 € Elke Wagner, Intimisierte Öffentlichkeiten: Pöbeleien, Shitstorms und Emotionen auf Facebook. Bielefeld: transcript Verlag 2019, 200 S., kt., 29,99 € Stefan Wellgraf, Schule der Gefühle: Zur emotionalen Erfahrung von Minderwertigkeit in neoliberalen Zeiten. Kultur und soziale Praxis. Bielefeld: transcript Verlag 2019, 446 S., kt., 34,99 €

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From the journal Soziologische Revue

Rezensierte Publikationen:

Yvonne Albrecht, Gefühle im Prozess der Migration: Transkulturelle Narrationen zwischen Zugehörigkeit und Distanzierung. Wiesbaden: Springer VS 2017, 329 S., kt., 49,99 €

Jonas Bens & Olaf Zenker (Hrsg.), Gerechtigkeitsgefühle: Zur Affektiven Und Emotionalen Legitimität Von Normen. EmotionsKulturen/EmotionCultures 3. Bielefeld: transcript Verlag 2017, 266 S., kt., 34,99 €

Susann Dahms, Strukturen des Affektiven: Kulturelle Ordnungen, Aufmerksamkeiten und affektive Hintergründe Edition 1 Sozialtheorie. Bielefeld: transcipt Verlag 2019, 322 S., kt., 39,99 €

Judith Eckert, Gesellschaft in Angst? Zur Theoretisch-Empirischen Kritik Einer Populären Zeitdiagnose. Gesellschaft der Unterschiede. Bielefeld: transcript Verlag 2019, 436 S., kt., 39,99 €

Nina Hossain, Emotionen und Geschlecht im politischen Feld. Arbeit, Organisation und Geschlecht in Wirtschaft und Gesellschaft Band 10. Baden-Baden: Nomos Verlag 2021, 345 S., kt., 64,00 €

Larissa Pfaller & Basil Wiesse (Hrsg.), Stimmungen und Atmosphären: Zur Affektivität des Sozialen. Wiesbaden: Springer VS 2018, 285 S., kt., 34,99 €

Elgen Sauerborn, Gefühl, Geschlecht und Macht. Frankfurt: Campus Verlag 2019, 333 S., br., 39,95 €

Elke Wagner, Intimisierte Öffentlichkeiten: Pöbeleien, Shitstorms und Emotionen auf Facebook. Bielefeld: transcript Verlag 2019, 200 S., kt., 29,99 €

Stefan Wellgraf, Schule der Gefühle: Zur emotionalen Erfahrung von Minderwertigkeit in neoliberalen Zeiten. Kultur und soziale Praxis. Bielefeld: transcript Verlag 2019, 446 S., kt., 34,99 €


Einleitung

Die deutschsprachige Emotionssoziologie war jahrzehntelang stark von konstruktivistischen Einflüssen geprägt, die v. a. auf die grundlegenden Arbeiten Arlie R. Hochschilds (1979; 1983) zurückgehen. Der damit einhergehende Emotionsbegriff bringt die Kontingenz menschlichen Fühlens vor allem mit Praktiken des Emotionsmanagements in Verbindung, mittels derer sich Subjekte gezielt an Emotionsnormen anpassen. Innerhalb der Soziologie der Emotionen ist diese Perspektive noch immer prägend, wie einige der im Folgenden besprochenen Werke zeigen werden. Gleichzeitig jedoch wird innerhalb des Forschungsfeldes die Kritik immer lauter, dass ein solches Emotionsverständnis zu kognitivistisch, körpervergessen und subjektzentriert sei (u. a. Burkitt, 2014; Holmes, 2010). Doch während die Debatte um die Gestaltbarkeit von Emotionen bereits in den 1980er Jahren geführt wurde (u. a. Kemper, 1981), scheint kürzlich eine neue theoretische Perspektive Eingang in emotionssoziologische Arbeiten zu finden. Es sind die in den Cultural Studies begründeten Affect Studies (u. a. Ahmed, 2004; Clough/Halley, 2007; Massumi, 2015), die zunehmend auch in der deutschsprachigen Soziologie der Emotionen rezipiert werden.

Die Orientierung am Begriff des „Affekts“, der teilweise den Bezug auf „Emotion“ ersetzt, betont Relationalität und Leiblichkeit – und lässt sich daher als eine neue Antwort auf die Kritik an der konstruktivistischen Kognitivierung von Emotionen lesen. So füllt die Entwicklung einer Affektsoziologie, die zum Teil auch auf leibphänomenologische Ansätze (u. a. Schmitz, 2015) rekurriert, eine wichtige theoretische Lücke. Dass das Soziale als affektiver Raum begriffen werden muss, indem auch diffuse Stimmungslagen und Atmosphären eine wichtigere Rolle spielen als die klassische Emotionssoziologie annimmt, wird offenkundig. Gleichwohl entstehen durch den Affektbegriff neue Fragen und Probleme, vor allem in methodischer Hinsicht. Wie können Affekte empirisch untersucht werden? Wie lässt sich die Stimmung in einem Raum rekonstruieren oder gar messen? Gerade das leibliche Spüren, das Zurücktreten von Sprache im Affekt, ist eine empirische Herausforderung für die akademische Welt der Soziologie, die auf Sprache und Zeichen beruht, was nicht zuletzt in den etablierten Methoden offenkundig wird. Somit bleibt fraglich, inwieweit sich die Emotionssoziologie durch das Besinnen auf Affekt nicht nur theoretisch, sondern auch methodisch und empirisch weiterentwickelt. Im Folgenden gehe ich zunächst auf Arbeiten ein, die der klassischen Emotionssoziologie zugeordnet werden können. Dann stelle ich Werke vor, die den Emotionsbegriff durch eine Affektperspektive ergänzen bzw. ersetzen. Abschließend skizziere ich die aktuellen methodologischen Problemlagen, die aus der Annäherung von Emotionssoziologie und Affect Studies resultieren.

Emotionssoziologische Ansätze

Judith Eckerts Dissertation „Gesellschaft in Angst“ nimmt populäre Zeitdiagnosen einer zunehmend von Gefühlen der Angst geprägten Gesellschaft (v. a. bei Bude, 2016; Beck, 1986; Baumann, 2007) kritisch unter die Lupe. Anknüpfend an den aktuellen Forschungsstand unterschiedlicher Forschungsfelder im Bereich der Sociology of Risk and Uncertainty argumentiert sie, dass sich die lebensweltliche Relevanz von Angst weder von objektivierbaren Faktoren der (Un-)Sicherheit und Bedrohung noch von der Thematisierung von Ängsten im medialen Kontext oder auch in standardisierten Interviews deduzieren ließe. Die Gegenwartsdiagnose der Angstgesellschaft stünde daher „auf empirisch unsicherem Boden“ (Eckert: 14). Diese Forschungslücke schließt Eckert, indem sie 39 qualitative Interviews analysiert, die im Rahmen des BMBF-Projektes „Subjektive Wahrnehmungen und Einschätzungen zu (Un-)Sicherheiten“ entstanden. Methodologisch fundiert verweist sie auf die besondere Herausforderung einer empirischen Untersuchung von lebensweltlicher Angst, die auf „schwierigen“ (Eckert: 117), weil sehr stark strukturierten Sekundärinterviews basiert. In einem Interview von Angst zu sprechen, sei keineswegs immer deckungsgleich mit der lebensweltlichen Erfahrung von Angst – das macht die Lektüre von Eckerts Arbeit mehr als deutlich. Manche Alltagsängste erschienen als wenig erzählwürdig im Interview und würden daher dethematisiert. Gleichzeitig würden von Erzählpersonen Ängste angesprochen, die im Alltag eher irrelevant seien. So diene die Kommunikation von Angst im Interview auch der moralischen Selbstpositionierung, in dem „die Ängste der Anständigen für sich reklamier[t]“ würden (Eckert: 207), sowie der argumentativen Untermauerung von politischen Forderungen. Zudem bestimme bereits die Art und Weise der Adressierung der Interviewten im Vorfeld des Interviews sowie auch die Beziehungsgestaltung im Interview die Verhandlung von Angst- und Unsicherheitsthemen in den Interviews maßgeblich mit. Der daraus resultierenden Schwierigkeit, Angst als Emotion anhand von Interviewsequenzen zu rekonstruieren, begegnet Eckert mit einem ausgefeilten rekonstruktiv-hermeneutischen Ansatz, der auf den von ihr entwickelten praxeologischen Angst-Begriff zugeschnitten ist. Eckerts Ergebnisse in Form einer Angst-Typologie zeigen auf, dass Ängste nicht einfach zahllos und omnipräsent sind, wie bspw. Bude (2016) es nahelegt, sondern dass sie an bestimmte Lebensphasen sowie auch an Lebenslagen im Sinne des gesicherten Zugangs zu Ressourcen gekoppelt sind. Beispielsweise verweist der von Eckert als „Existenzsicherungsmuster“ bezeichnete Typus (313–328) auf den Zusammenhang von prekären finanziellen Lebenslagen im mittleren Erwachsenenalter mit einer ökonomischen Abstiegsangst, aber auch mit einer eher symbolischen, impliziten Statusangst und Selbstunsicherheit. Die Sicherheitsbedrohungen durch deviante Jugendliche, die ein dem Rentenalter zugeordneter Typus ins Feld führt, interpretiert Eckert weniger als Angst vor Devianz denn als eine Form von Ärger. Diese sei durch „Verlust männlicher Stärke und sozialer Durchsetzungskraft“ (Eckert: 345) bedingt, die männliche Erzählpersonen altersbedingt erführen.

Basierend auf ihren Ergebnissen argumentiert Eckert, dass die hohen Angstwerte in quantitativen Analysen nicht mit den Befindlichkeiten der Bevölkerung einhergingen, sondern als eine Folge mangelhafter methodischer Konzeptualisierung zu betrachten seien. Die in quantitativen Studien betonten Ängste vor Terrorismus oder Naturkatastrophen seien lebensweltlich kaum relevant. Denn diese Form von Ängsten würden in den Interviews eher als Gefühlsregel denn als Erfahrung konstruiert. Insofern schlussfolgert Eckert ganz treffend, dass wir „weniger in einer Gesellschaft in Angst, sondern vielmehr in einer Gesellschaft des Ungerechtigkeitsempfindens leben, die aber eine Kommunikationskultur der Angst pflegt“ (Eckert: 379). So trägt diese Arbeit nicht nur zu einer empirischen Fundierung einer Soziologie der Angst bei, sondern gibt auch wertvolle Impulse für methodologische Diskussionen innerhalb der Soziologie der Emotionen. Denn dem wichtigen Argument, dass die verbale Äußerung von Emotionen nicht mit dem emotionalen Empfinden korrespondieren müsse, wird in der Emotionssoziologie bislang methodisch keineswegs hinreichend Rechnung getragen. Eckerts Vorschlag einer praxeologischen Emotionsanalyse ist ein beachtenswerter Versuch, diesem Dilemma theoretisch und methodisch fundiert zu begegnen. Dennoch stellt auch dieser Ansatz lediglich einen ersten Schritt in Richtung Rekonstruktion von Emotionen anhand von verbalen Daten dar, denn der Zusammenhang zwischen Sprechen über Emotion und leiblichem Empfinden, wie er beispielsweise bei Reddy (2001) angerissen wird, bleibt dabei – notwendigerweise – unterbelichtet.

Nach wie vor ist Hochschilds (1979; 1983) Konzept der Gefühlsarbeit in emotionssoziologischen Arbeiten ein maßgeblicher theoretischer Ausgangspunkt. Auch Yvonne Albrechts Dissertation „Gefühle im Prozess der Migration“ ist in der klassischen Emotionssoziologie verortet, bei dem das subjektive Erleben und das Management von Emotionen in Hochschildscher Tradition im Vordergrund stehen. Sie untersucht, „von welchen Möglichkeiten des Umgangs mit ihren Emotionen Migrantinnen und Migranten erzählen, um im Ankunftskontext handlungsfähig zu sein und Herausforderungen begegnen zu können“ (Albrecht: 4). Die Arbeit basiert neben zwei explorativen Expert:inneninterviews v. a. auf 20 narrativ-biographischen Interviews mit Migrant:innen aus Tunesien und Äthiopien, welche nicht narrationsanalytisch, sondern an der Grounded Theory orientiert ausgewertet wurden. Albrechts Arbeit verortet sich im Ansatz des Transnationalismus (u. a. Faist et al., 2014), den sie um die emotionale Dimension vielfältiger Gefühle der Zugehörigkeit(en) erweitert. Ihre Arbeit trägt dazu bei, eine Forschungslücke in der Migrationsforschung zu schließen, die emotionale Prozesse im Zuge von Migration bis dato „primär aus pathologisierender Perspektive“ untersucht (Albrecht: 47). Anstatt allein das emotionale Leiden von Migrant:innen in den Blick zu nehmen, will Albrecht ein breites Spektrum emotionaler Erfahrungen und Umgangsweisen im Migrationsprozess erforschen. Dabei bezieht sie sich auf den aktuellen internationalen Forschungsstand, dessen Beschreibung allerdings etwas klarer strukturiert sein könnte.

Ohne sich auf den Affektbegriff zu beziehen, entwickelt Albrecht eine Antwort auf kritische Stimmen, die der Hochschildschen Schule vorwerfen, sie würde kognitive Elemente und die Steuerbarkeit von Emotionen überbetonen. Albrechts Emotionsverständnis nimmt zwar die klassische Arbeit Hochschilds als Basis, modifiziert und ergänzt diese jedoch unter stärkerer Bezugnahme auf den amerikanischen Pragmatismus sowie einige Thesen Sigmund Freuds. Vor allem lehnt sie sich an Katz‘ (1999) Arbeiten zum Emotionsbegriff an, der sowohl die aktiven, managenden und kulturellen Teile als auch die körperliche Erfahrens-Komponente von Emotion einbezieht. Dieses Emotionskonzept ermöglicht es ihr, die Frage nach der Steuerbarkeit von Emotionen als eine konsequent empirische zu stellen: Entwerfen die Interviewten ein Bild von sich als Emotionen erleidend, passiv fühlend, oder eher als aktiv auf die eigenen Emotionen Einfluss nehmend?

Albrechts Arbeit zeigt, dass Migration mit dem Erleben und Verhandeln von emotionalen Ambivalenzen einhergeht. Basierend auf ihrer empirischen Arbeit entwickelt sie eine Typologie, die verschiedene Arten des Umgangs mit diesen emotionalen Ambivalenzen analytisch fasst. Ein Typus beispielsweise greift auf emotionales Tiefenhandeln à la Hochschild zurück, um seine Gefühle durch kognitive Neu-Rahmungen an Deutungsmuster und Praktiken des Ankunftskontextes anzupassen. Diese Art der einseitigen Auflösung von Ambivalenzen würde einerseits mit dem Erleben von Handlungsmacht eingehen und als positiv empfunden werden. Andererseits jedoch argumentiert Albrecht unter Bezug auf Freud, dass diese Form der emotionalen Assimilierung u. U. auch langfristig destabilisierende Wirkungen für die Handelnden haben könnte. Empirisch begründet macht sie dies v. a. an den Metaphern von Gewalt fest, in der die Interviewten diese Form von Emotionsarbeit beschreiben. Ein weiterer Typus, der emotionale Ambivalenzen einseitig auflöst, besinnt sich auf religiöse Praktiken und Erzählungen aus dem Herkunftskontext, was emotional stabilisierende Wirkung habe. Durch Gebete und ein sich-Gott-Anvertrauen könnten sich Migrant:innen von der Verantwortung für ihr Leben und auch ihre Gefühle sowie dem damit einhergehenden Handlungsdruck entlasten. Bemerkenswerterweise könne so zum Beispiel die Hinwendung zum Islam und die damit einhergehende Beruhigung der Gefühle dazu führen, dass man sich den Normen des Ankunftskontextes entsprechend verhalten könne und dadurch „deutsch“ werde (Albrecht: 207). Diese Praxis der Form emotionaler Entspannung entspräche nicht dem klassischen Konzept des Emotionsmanagements, weil sich das Subjekt dabei einer Art der emotionalen Passivität hingibt, welche letztlich doch dazu beitrage, die eigenen Emotionen zu modifizieren. Ein anderer Typus beschreibt diejenigen Interviewten, die keinen zufriedenstellenden Umgang mit ihren Emotionen in der Migration finden, wie es v. a. pathologisierende Ansätze nahelegen. Diese Migrant:innen leiden, werden depressiv und oftmals auch krank. Neben diesen Extremen rekonstruiert Albrecht auch Mischtypen, die zwischen den emotionalen Positionierungen der Herkunft- bzw. der Ankunftsgesellschaft changieren, sich nur oberflächlich anpassen oder auch emotional distanzieren, in dem sie sich die Exit-Option einer erneuten Migration offen halten. So zeichnet diese Arbeit einen breiten Fächer dessen, welche emotionalen Anforderungen Migration mit sich bringen kann und wie Individuen kreativ damit umgehen. An einzelnen Stellen geschieht es, dass die Daten ein wenig zu forciert durch eine emotionssoziologische Brille interpretiert werden, aber insgesamt überzeugt Albrechts empirische Arbeit. Im Fazit schlägt sie als Erweiterung des Begriffs des Emotionsmanagements das Konzept der „emotionalen Kontemplation“ vor, um den Umgang mit Emotionen nicht nur als aktiv oder passiv zu fassen, sondern auch „eine Form bewusst erlebter Passivität“ analytisch einzubeziehen (Albrecht: 313). Doch bleibt fraglich, ob es dazu zwingend dieses neuen Begriffs bedarf, oder ob auch diese emotionale Praxis nicht unter den etablierten Terminus des Emotionsmanagements gefasst werden könnte.

Auch Nina Hossains Dissertation „Emotionen und Geschlecht im politischen Feld“ nimmt das Hochschildsche Emotionsmanagement als Ausgangspunkt, welches sie unter Rückgriff auf Bourdieus Arbeiten im Zusammenhang mit dem theoretischen Konzept des emotionalen Kapitals diskutiert und im Hinblick auf seine empirische Bedeutsamkeit im politischen Feld analysiert. Dabei geht es um die Fragen, „ob und wie Politiker_innen Emotionsarbeit leisten, ob es dabei geschlechtliche Unterschiede gibt“ und „auch ob Mimik und Gestik [...] hierbei eine relevante Funktion erfüllen“ (24). Darüber hinaus will Hossain analysieren, wie „das emotionale Kapital von Politiker_innen mit der zu leistenden Emotionsarbeit zusammen[hängt]“ (Hossain: 24). In der Fülle und Formulierung dieser unterschiedlichen Fragen deutet sich bereits das grundlegende Dilemma der Arbeit an: Hossain versucht einen Spagat zwischen theoretischer Abhandlung, qualitativer sowie quantitativer Forschungslogik. Dies führt leider dazu, dass sie keinem der unterschiedlichen Ansprüche hinreichend gerecht werden kann. Zu Beginn beschreibt Hossain sehr ausführlich den theoretischen Rahmen entlang Bourdieus Theorie der Praxis, bevor sie auf die Rolle von Geschlecht sowie Emotion im politischen Feld eingeht. Das sehr kurze methodische Kapitel macht nicht hinreichend deutlich, wo der Mehrwert des verwendeten qualitativen Designs mit zehn Leitfadeninterviews mit Bundestagsabgeordneten liegt, die mittels Inhaltsanalyse ausgewertet wurden. Diese methodische Schieflage setzt sich auch in der Diskussion der Ergebnisse fort. Die zuvor formulierte Einsicht, dass Politiker:innen „aufgrund ihrer Profession dazu neigen, über politische Inhalte zu sprechen und rhetorisch zumeist gut geschult sind“ (Hossain: 153), geht in der Interpretation von Interviewausschnitten vollständig unter. So wird immer wieder von Gemeinplätzen, die die Interviewten von sich geben, auf allgemeine Zusammenhänge im politischen Feld geschlossen. Beispielsweise deutet Hossain die Bemerkung einer Politikerin der Grünen, dass die FDP im Wahlkampf „auf Äußerlichkeiten“ gesetzt und Frauen „lasziv“ inszeniert hätte (Hossain: 282), nicht als die Aussage einer politischen Partei-Akteurin über Gegner:innen im Feld, sondern als Beleg dafür, dass „Politikerinnen gezielt ihren Körper als Instrument einbringen, da sie um die Wirkung bei den symbolischen Kämpfen wissen“ (ebd.). Quantitativ Forschende wiederum werden u. a. Zweifel daran anmelden, dass das Zitat eines Einzelnen als Verweis auf eine „Korrelation zwischen Bekanntheit und Macht“ (Hossain: 221) herangezogen wird. Dass Hossains Arbeit insgesamt die Bedeutsamkeit von Emotionsarbeit für die Arbeit von Bundespolitiker:innen herausstellt, ist wenig überraschend. Die interessante Frage nach der Art und Weise der Vergeschlechtlichung derselben wird jedoch aufgrund der wenig überzeugenden empirischen Arbeit nicht zufriedenstellend beantwortet. Gen Ende des Buches wird emotionales Kapital mehr oder weniger mit der Fähigkeit zur Emotionsarbeit gleichgesetzt, so dass die eingangs eingeführten theoretischen Stärken einer von Bourdieu inspirierten Perspektive auf emotionale Arbeit größtenteils wieder verloren gehen.

Von der Emotion zum Affekt

Elgen Sauerborns Dissertation „Gefühl, Geschlecht und Macht. Affektmanagement von Frauen in Führungspositionen“ hat ebenfalls im Hochschildschen Emotionsmanagement seinen maßgeblichen theoretischen Ausgangspunkt. Allerdings entwickelt Sauerborn das klassische emotionssoziologische Konzept unter Bezug auf Affekttheorien und die eigene empirische Analyse weiter zum Konzept des „Affektmanagement“. Die Arbeit greift aktuelle Diskussionen über Frauen in Führungspositionen auf, welche aufgrund der Vergeschlechtlichung von Emotionsnormen mit ambivalenten Anforderungen an Emotionsmanagement konfrontiert würden. Als Frauen würde von ihnen Fürsorglichkeit, Verletzlichkeit und emotionale Wärme erwartet; als Führungskräfte jedoch müssten sie Durchsetzungsfähigkeit und Rationalität unter Beweis stellen. In der Literatur wird dies als lose-lose-Situation beschrieben, da entweder mangelnde Weiblichkeit oder mangelnde Führungsqualitäten kritisiert würden. An dieser einseitig pessimistischen Diagnose meldet Sauerborn unter ausführlicher Diskussion aktueller arbeits,- emotions – und geschlechtersoziologischer Forschungsarbeiten Zweifel an. Nicht nur hinlänglich dokumentierte Transformationen in der kapitalistischen Arbeitsorganisation könnten mit einer Neubewertung stereotyp weiblicher Emotionalität einhergehen. Vor allem würde das Konzept der Emotionsnormen vielfach zu statisch ausgelegt. Sauerborn betont die Wandelbarkeit von Gefühlsnormen und argumentiert, dass Managerinnen als Angehörige einer sozialen Elite zu betrachten seien, die über ausreichend Macht verfüge, um auf die Emotionsnormen in ihrem Arbeitsumfeld Einfluss zu nehmen. Anders als Hossain, die weibliche Politiker:innen v. a. in einem „unlösbare[n] Dilemma“ (Hossain: 262) zwischen divergierenden Ansprüchen an Emotionsmanagement gefangen sieht, betont Sauerborn Agency und Definitionsmacht von Frauen. Dabei rückt sie eine Seite von Gefühlsarbeit in den Blick, die bis dato in der Emotionssoziologie eher vernachlässigt wurde. Während im Anschluss an Hochschild unzählige Arbeiten zur Gefühlsarbeit von Angestellten unterschiedlichster Branchen entstanden und noch immer entstehen, wurde der Gefühlsarbeit der Mächtigen und ihrer Definitionsmacht über Gefühlsnormen bemerkenswert wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Ausgehend davon fragt Sauerborn, welche Rolle Frauen in Führungspositionen Gefühlen als Teil ihrer Arbeit zusprechen, wie sie ambivalente Gefühlsnormen deuten, und wie sie in Bezug darauf ihr Gefühlsmanagement interpretieren und sinnhaft mit ihrer professionellen Rolle verbinden.

Ähnlich wie Albrecht rückt Sauerborn deutende Subjekte in den Mittelpunkt, die aktiv zwischen ambivalenten emotionalen Ansprüchen navigieren. Im Gegensatz zu Ersterer jedoch bezieht sich Sauerborn nicht allein auf die emotionssoziologische Theorietradition, sondern knüpft an das Konzept des Leibkörpers von Knoblauch (2017) sowie an eine bis dato wenig rezipierte leibtheoretische Arbeit von Stein (1917) an, um die affektive Ebene des Aushandelns unterschiedlicher emotionaler Ansprüche stärker in den Blick zu rücken. Unter Rückgriff auf Interviews aus 23 episodischen Interviews mit Managerinnen zeigt sie auf, dass sich die Emotionsnormen einer Arbeitsorganisation ändern, wenn Frauen in Führungsetagen vordringen. Erstens geschehe das bereits „allein [durch] die physische Anwesenheit von Frauenkörpern in einem sonst männlichen affektiven Arrangement“ (Sauerborn: 150, zum affektiven Arrangement vgl. Slaby et al. 2019). Zweitens arbeiteten weibliche Führungskräfte nicht allein an subjektiven Gefühlszuständen ihrer selbst oder einzelner Mitarbeitender, sondern wirkten vielmehr aktiv auf die Änderung des affektiven Klimas der Organisation hin: „[f]ernab von traditionellen, als männlich und rückständig erachteten Strukturen, in denen Gefühle im Unternehmen zu wenig Wert beigemessen wird, hin zu einer neuen, weiblichen, gefühlsbetonten Organisationsstruktur, die sich als offen für Emotionen und Stimmungslagen aller Mitglieder begreift“ (Sauerborn: 262). Sauerborns Ergebnisse machen deutlich, dass Managerinnen in Interviews „Affektmanagement [...] als Stärke, elementare Führungseigenschaft und gleichsam [als] weibliche Fähigkeit“ konstruieren, wodurch sie die eigene Position aufwerten (Sauerborn: 201). So würde beispielsweise emotionale Authentizität nicht nur als individuelle Führungseigenschaft, sondern auch als weibliche Veranlagung beschrieben, wohingegen männliche Emotionsdarstellungen als tendenziell schauspielernd bzw. unauthentisch konstruiert würden.

Insgesamt trägt Sauerborns Arbeit dazu bei, die beiden unterschiedlichen Forschungsstränge der Emotions- und Affektsoziologie zu verknüpfen. Sie macht überzeugend deutlich, dass nicht nur Emotionen, sondern auch Affekte Objekte gezielten Managements darstellen, so dass der Begriff des Affektmanagements eine sinnvolle Perspektiverweiterung für beide Forschungsperspektiven darstellt. Das methodologische Dilemma der Affektsoziologie jedoch vermag sie nicht zu lösen. Denn auch Sauerborn muss feststellen, dass sich „Affekte als vitale und gleichsam körperlich und oftmals vorkognitiv erachtete Kräfte oder Intensitäten [...] unter Rückbezug auf klassische sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden als äußerst diffiziler Untersuchungsgegenstand“ erweisen (Sauerborn: 127). Sauerborn räumt denn auch ein, dass mittels Interviewerzählungen nicht die Affekte in der Arbeitsorganisation oder das Management derselben analysiert werden können, sondern lediglich die Deutungen derselben auf Subjektebene rekonstruiert werden. Die Analyse dieser Deutungen erweist sich als ein wichtiger Schritt in Richtung empirisch fundierter Affektsoziologie, der jedoch das grundlegend relationale und leibliche Element von Affekten methodisch außen vorlässt.

Der von Larissa Pfaller und Basil Wiesse herausgegebene Band „Stimmungen und Atmosphären“ sammelt eine Reihe von Arbeiten, die nicht nur einen komprimierten Einblick in theoretische Diskussionen rund um den Affektbegriff in den deutschsprachigen Sozial- und Kulturwissenschaften bieten, sondern auch unterschiedliche empirische Zugänge aus einer Reihe unterschiedlicher Disziplinen umfassen. Unter den größtenteils guten theoretischen Arbeiten des Bandes sei Slabys Beitrag besonders hervorgehoben, weil dieser maßgeblich zum Verständnis unterschiedlicher Forschungsperspektiven auf Affekt beiträgt. Slaby legt dar, wie unterschiedliche disziplinenspezifische Wissenschaftskulturen die Haltung der Forschenden und damit auch ihren Zugriff auf Affekt prägen. In den Fokus nimmt er dabei idealtypisch die Perspektiven Brian Massumis, Margaret Wetherells und Sara Ahmeds. Dadurch leistet Slaby aus einer Art Metaperspektive eine grundlegende Übersetzungsarbeit, die v. a. für Soziolog:innen, die mit der Wissenschaftskultur der Cultural Studies nicht vertraut sind, gewinnbringend ist. So wird u. a. die Position des in den Affect Studies maßgeblichen Theoretikers Massumi (2015), auf dessen Schreibstil Forschende, die „in anderen Theorieuniversen zu Hause sind, nicht selten mit einem gewissen Befremden reagieren“ (Slaby in Pfaller/Wiesse: 62), verständlich erläutert und im Hinblick auf Potentiale und Grenzen abgeklopft. Eine solche Übersetzungsarbeit der unterschiedlichen Theoriesprachen, wie sie Slaby gelingt, ist daher wichtig für eine Emotionssoziologie, die auch Affektsoziologie sein will.

In den empirischen Beiträgen des Bandes zeigt sich, dass eine Annäherung zwischen (Emotions-)soziologie mit ihren etablierten Methoden der interpretativen Sozialforschung und den Affektstudien eine vielversprechende Forschungsperspektive eröffnet. Gleichzeitig jedoch wird deutlich, dass die Grenzen dessen noch immer eng gesteckt sind. Vielversprechend ist u. a. der Beitrag von Meyer und von Wedelstadt, die empirisch genau nachzeichnen, wie die Mitglieder eines Handballteams eine geteilte Körperlichkeit, Synchronisation und damit auch eine geteilte Stimmung in der Vorbereitung auf ein Match sukzessive herstellen. In dieser Arbeit werden in der Soziologie etablierte methodische Zugänge wie der des Beobachtens fruchtbar gemacht für die Analyse des sonst schwer zugänglichen Relationalen und Körperlichen von Affekten. Es fällt allerdings auf, dass sich Meyer und von Wedelstadt theoretisch v. a. auf Schmitz‘ (1966) Neue Phänomenologie sowie auf die Schützschen (1971) Sinnprovinzen beziehen, aber das für ihre Frage relevante emotionssoziologische Konzept der Interaction Ritual Chains von Collins (2004) außen vorlassen. Es scheint daher, dass Affekt- und Emotionssoziologie an dieser Stelle in ihren theoretischen Bezügen noch immer mehr oder weniger unverbunden nebeneinander stehen.

Auch die Adaption etablierter qualitativer Methoden für empirische Analysen des Affektiven gelingt nicht allen empirischen Beiträgen des Bandes. Beispielsweise argumentiert Wolf, dass Atmosphären in der Familie oder Kinderbetreuungseinrichtungen einen wichtigen Beitrag zur Sozialisation von Kindern leisten. So schlüssig diese Argumentation prinzipiell ist, wirken die herangezogenen Interpretationen von Interviews mit Kindern in Kita und Schule doch zumeist forciert im Hinblick auf die Bedeutung von Atmosphären. Das in der qualitativen Sozialforschung so beliebte Interview lässt sich für die Affektforschung eben nur sehr begrenzt nutzen. Atmosphären verbal zu fassen ist zwar möglich, gelingt aber keineswegs allen Interviewpartner:innen – und erst recht kaum, wenn die Interviewten Kindergartenkinder sind. Zudem wäre methodologisch konsequent eine Analyse der affektiven Dynamiken im Interview selbst notwendig. Dies bleibt jedoch in diesem Beitrag wie auch in den anderen hier besprochenen affektsoziologischen Arbeiten aus.

Der autoethnographisch inspirierte Beitrag von Kauppert im gleichen Band allerdings zeigt, dass es prinzipiell möglich ist, leiblich erfahrene Atmosphären verbal zu beschreiben, um sie im Hinblick auf ihre soziale Konstitution zu analysieren. Wie ihre Rekonstruktion der affektiven Atmosphäre in soziologischen Kolloquien zeigt, braucht es dazu nicht nur den „Forschungsleib“ (Kauppert in Pfaller/Wiesse: 198) als methodischen Ausgangspunkt, dessen Wahrnehmungen genauestens dokumentiert und reflektiert werden müssen. Nötig sind auch über das übliche akademische Maß hinausgehende, fast prosaische Fähigkeiten des (Be-)Schreibens, mittels derer Phänomene des leiblichen Spürens für akademische Rezipierende nachvollziehbar werden. Vor allem ethnographische Zugänge erscheinen daher vielversprechend, um der Leiblichkeit affektiver Phänomene methodisch angemessen zu begegnen.

Susann Dahms‘ Dissertation „Strukturen des Affektiven“ lässt sich als theoretischer Versuch einer Zusammenführung der Emotionssoziologie mit einer Affektperspektive lesen, obgleich die Arbeit insgesamt wenig an den Affect Studies orientiert ist. Anhand des Vergleichs der Resonanztheorie Hartmut Rosas (2018) mit Randall Collins‘ (2004) Theorie Emotionaler Energie will Dahms „das Affektive als soziale Entität umreißen“ (16) sowie die „affektiven Druckpunkte des Sozialen, die imaginierten Richtungspfeile des Aufmerkens und impliziten Empfindungsimpulse in der Begegnung, die Arten und Weisen der Verschränkung des Affektiven mit sozialen Praktiken und Beziehungsverhältnissen sowie kulturellen Ordnungen systematisch addressier[en]“ (Dahms: 16–17). Eine solche theoretische Modellierung der „Strukturen des Affektiven“ ist (bzw. wäre) von höchster Aktualität und Relevanz für beide eingangs skizzierte Forschungsperspektiven, die damit einen wichtigen Schritt in Richtung wechselseitige Integration gehen könnten. Denn so würde deutlich, in welchem Zusammenhang subjektiv empfundene und zeitlich begrenzte Emotionen, wie z. B. Freude über ein Geburtstagsgeschenk, zusammenhängen mit längerfristigen, stärker relationalen bzw. kollektiven und untergründigen affektiven Phänomen, wie beispielsweise der aufgekratzten, fröhlichen Atmosphäre auf der Geburtstagsparty. Dies jedoch bietet diese Arbeit nicht, was nicht zuletzt an einem schwer zugänglichen Sprachstil liegt, in dem auch basale Zusammenhänge stark verkompliziert dargestellt werden. Dem bereits an sich komplexen Thema wird die eher schwache argumentative Strukturierung und Leser:innenführung nicht gerecht. Leider gelingt es Dahms daher nicht, die zentrale Kernfrage ihrer Arbeit sowie die dazu erarbeiteten theoretischen Erkenntnisse trennscharf und nachvollziehbar deutlich zu machen. Folgerichtig wird auch am Schluss des Werkes die eingangs geweckte Hoffnung auf ein theoretisches Modell oder klare Thesen eine Absage erteilt: „Diese Arbeit zu den Strukturen des Affektiven war nie mit der Erwartung verbunden, etwas vom Affektiven aufdecken zu können – das Affektive zu beschreiben, seine Gestalt abzubilden oder Definitionen zu bieten“ (Dahms: 288). Schade eigentlich.

Elke Wagners Arbeit „Intimisierte Öffentlichkeiten“ lässt sich weder im klassischen emotionssoziologischen Paradigma noch in der Affektforschung eindeutig verorten. Dies ist schlicht der Tatsache geschuldet, dass in dieser Arbeit emotionale oder affektive Phänomene eher am Rande thematisiert werden, ohne dass sie in eine der theoretischen Traditionen eingebettet würden. Es scheint fast, als sei der Subtitel „Pöbeleien, Shitstorms und Emotionen auf Facebook“ eher der Werbeweisheit „Emotion sells“ als dem eigentlichen Inhalt des Werkes geschuldet. Die mediensoziologische Arbeit widmet sich der Frage, wie sich Nutzer:innen von Facebook innerhalb des Netzwerkes bewegen. Wagner nutzt dafür 40 narrative Interviews mit Facebook-User:innen, 20 Interviews mit Social Media Manager:innen, sowie Online-Ethnographien von vier Facebook-Accounts aus den Jahren 2014–2016, die alle in Anlehnung an die Grounded Theory kodiert wurden. Wagner zeigt, wie Social Network Sites wie Facebook dazu beitragen „die Grenzziehung und Markierung von Öffentlichkeit und Privatheit [...] zu destabilisieren und neu auszuhandeln“ (Wagner: 58). Ihre zentrale These lautet, dass die Kommunikation auf Facebook als „Intimisierung des Öffentlichen“ zu begreifen sei, weil dort die Illusion einer geschlossenen Gruppe bei gleichzeitigem Vorhandensein eines großen Publikums kombiniert werde (Wagner: 122). Daher tritt sie Thesen entgegen, die die Öffentlichkeit in der Krise oder im Zerfall sehen (u. a. Pariser, 2012), sondern geht vielmehr davon aus, dass sich der Kommunikationsstil des Öffentlichen grundlegend geändert habe (Wagner: 122). Dabei argumentiert Wagner u. a. auch, dass Hatespeech nicht dazu führe, dass Öffentlichkeit scheitere, sondern Öffentlichkeit „gerade durch das Aufkommen von Hasskommentaren“ emergiere, weil dadurch die in aktuellen Medienpraktiken nötige Anschlusskommunikation befördert würde (Wagner: 141 f.). Insofern leistet diese Arbeit einen überzeugenden, empirisch begründeten Beitrag zu aktuellen mediensoziologischen Debatten rund um die Frage der Transformation von Öffentlichkeit(en). Zum Forschungsfeld der Emotionssoziologie jedoch kann das Werk weder theoretisch noch empirisch etwas Substantielles beitragen. Zwar spricht Wagner u. a. davon, dass der Einsatz von Hashtags „zur Herstellung von durchaus auch affektiv aufgeladenen Publika“ führe (Wagner: 86) oder beschreibt intimisierte Kommunikation im Netz als eine Form, die „sich leicht emotionalisieren lässt“ (Wagner: 178). Doch was genau das sowohl empirisch als auch theoretisch bedeutet, wird nicht expliziert. Wird mehr über Emotionen gesprochen? Oder wird vermutet, dass die Art der Kommunikation verstärkt Emotionen und Affekte bei Rezipierenden hervorruft oder hervorrufen soll? Und wenn ja, woran wird das festgemacht? Wenn die Leser:in sich diese Fragen stellt, muss sie sich mit einem Verweis auf Papacharissi (2015) begnügen, die Affektivität im Netz „weniger auf Emotionalität denn auf die Intensität von Aussagen“ beziehe (Wagner: 163). Dies lässt eine Verortung in den Affekt Studies anklingen, auf die Wagner aber gar nicht weiter eingeht. So bleibt die Rolle des Affektiv-Emotionalen in der intimisierten Öffentlichkeit v. a. theoretisch-begrifflich unterbelichtet – was aber letztlich in Anbetracht des mediensoziologischen Zieles der Arbeit gar kein Manko sein muss.

Auch einige der Beiträge im von Bens und Zenker herausgegebenen sozial- und kulturanthropologischen Sammelband „Gerechtigkeitsgefühle“ lassen eine starke Affektperspektive vermissen. Der Band widmet sich den Gefühlen, die Menschen in Bezug auf normative Ordnungen empfinden. Mit dem Begriff der normativen Ordnung ist ein dezidiert weiter Rechtsbegriff impliziert, dessen Legitimität im Hinblick auf affektive und emotionale Dimension untersucht wird. Neben zwei theoretischen Beiträgen werfen sieben ethnographische Fallstudien einen Blick auf Gerechtigkeitsgefühle in Madagaskar, Indonesien, Südafrika, Peru, Südsudan, Norduganda und Israel. Die Beiträge in diesem Band differenzieren nicht zwischen Emotionen und Affekten, sondern wollen vielmehr beides in den Blick nehmen, auch vor dem Hintergrund der methodischen Herausforderungen, die eine ethnographische Erforschung von Affekten mit sich bringt. Dies sollte jedoch nicht vorschnell als ein Versuch des Zusammenwachsens der unterschiedlichen Forschungsrichtungen gewertet werden. Außer in der Einleitung der Herausgebenden und dem Beitrag von Scheidecker, die beide auch für Soziolog:innen lesenswert sind, werden die affekt- oder emotionstheoretischen Bezüge der einzelnen Arbeiten kaum diskutiert. Dies führt an einzelnen Stellen so weit, dass die emotional-affektive Dimension von Legitimität, die den Band eigentlich rahmen soll, in den Hintergrund gerät. Beispielsweise beleuchtet Dietrich, wie Akteur:innen in Peru legitime Sprecher:innenpositionen in einem Gerechtigkeitsdiskurs einnehmen, indem sie öffentlich auf bestimmte Narrationen rekurrieren und gleichzeitig andere biographische Erfahrungen verschweigen. Der Beitrag ist durchweg gelungen, doch der Mehrwert einer spezifisch emotional-affektiven Perspektive darin wird nicht deutlich, wie auch teilweise in anderen Beiträgen des Bandes. Insgesamt fehlt es dem Sammelband an einer übergreifenden Perspektive auf Affekt und Emotion, die den Zusammenhang der unterschiedlichen Arbeiten herstellt.

Stefan Wellgrafs Habilitation „Schule der Gefühle" untersucht sowohl Emotionen als auch affektive Phänomene, die er nicht als kategorial, sondern eher graduell verschieden auffasst. Basierend auf einer einjährigen Feldforschung an einer Berliner Hauptschule beschreibt er nicht nur die Gefühlslagen von Hauptschüler:innen, sondern fängt auch die räumlich-affektive Stimmung an der Schule ein, die den Alltag von Lehrenden und Schüler:innen nachhaltig prägt. Wie fühlt es sich an, als Bildungsverlierer:in abgestempelt zu werden? Welche Atmosphäre herrscht an einer sogenannten Brennpunktschule, in der Schüler:innen Zukunft nicht mit Hoffnung, sondern mit Angst verknüpfen? Wie gehen Hauptschüler:innen mit den Gefühlen um, die sie im Kontext einer solchen Schule erleben? Die Affekte und Emotionen, die Wellgraf beschreibt, setzt er überzeugend in Relation zu sozialen Ungleichheiten und Exklusionsmechanismen. So beschreibt er beispielsweise eine strukturell hervorgerufene, umfassende Langeweile an der Hauptschule, die sich im Gegensatz zu anderen Schulen nicht auf einzelne Fächer oder bestimmte Lehrende begrenzen lasse. Die Ursache dieser Langeweile sieht er im Abstieg der Hauptschule zur Restschule und damit einhergehender Enttäuschung des Bildungsversprechens. Ohne die begründete Hoffnung auf einen Ausbildungsplatz nach der Schule stünde die Legitimität von Schule insgesamt in Frage, so dass die Schüler:innen von ihrer Schule in Gänze enttäuscht seien und sich deshalb langweilten. Die aktive Suche nach Überwindung der Langeweile, v. a. im Modus des Provozierens durch „Blödeleien“ oder „Pöbeleien“ begreift Wellgraf dementsprechend „nicht als Ausdruck fehlender Selbststeuerung,“ sondern als „Versuch der Selbstbehauptung und somit [...] Ausweis von Agency“ (Wellgraf: 59). Auch Schuldistanz und Verweigerung werden so genauestens als sinnhafte Praktiken analysiert, die kreative, eigenmächtige und vor allem fühlende Subjekte ausführen.

Ähnlich beschreibt Wellgraf auch in anderen Kapiteln emotionale und affektive Phänomene wie die Angst vor Arbeitslosigkeit und Abschiebung, die Inszenierung von „Ghetto-Stolz“ oder interaktive Zeichen von Wut und Aggressivität konsequent aus Perspektive der Schüler:innen. Dabei kritisiert er ein System, dass Hauptschüler:innen nicht nur diskriminiere, sondern, wie er argumentiert, systematisch miss- und verachte. Bei aller klaren Positionierung gelingt es Wellgraf, die feine Linie zur Idealisierung seiner Forschungssubjekte nicht zu übertreten. Denn diese werden weder als durchweg kritisch und widerständig heroisiert, noch als Unwillige oder Unfähige klassistisch abgewertet. Gerade der Fokus auf die affektive und emotionale Dimension von Exklusionserfahrungen in der Schule zeigt das komplexe Navigieren der Handelnden zwischen Widerstand und Unterwerfung. Dass der Alltag als Berliner Hauptschüler:in enorme emotionale Herausforderungen mit sich bringt, wird immer wieder deutlich. Die Grenzen der Verarbeitung dieser emotionalen Zumutungen zeigt Wellgraf im Kapitel zur Produktion von Minderwertigkeitsgefühlen durch Hauptschulnoten besonders pointiert auf. Sechsen an der Hauptschule würden primär zur Disziplinierung vergeben. Die dadurch entstandene wahre „Inflation von Strafsechsen“ (Wellgraf: 179) untergrabe ob ihrer schieren Quantität die Disziplinarwirkung von Noten und entwerte auf Lehrinhalte bezogene Zensuren. Gleichzeitig jedoch würden die derart produzierten Noten Objektivität und Fairness suggerieren, so dass die allseits erhaltenen schlechten Zensuren von Schüler:innen als Zeichen persönlicher Defizite interpretiert und erfahren würden. Die Hauptschüler:innen internalisierten und reproduzierten die von Lehrenden kolportierten Aufstiegsmythen und Bildungsideologien und machten sich selbst für ihr schulisches Versagen verantwortlich. Dies deutet Wellgraf als symbolische Gewalt. Die von ihm dokumentierten Szenen der Beschämung in der Schule gehen nicht spurlos an Lesenden vorbei, sondern affizieren vielmehr selbst. Wie die Schüler:innen möchte man am liebsten wegschauen, sich klein machen, verschwinden oder das unangenehm klebrige Gefühl großspurig überspielen. Vielleicht ist es nicht zuletzt dieses affizierende Moment des Textes selbst, das eine gelungene affektsoziologische Arbeit ausmacht. Dieses Buch ist nicht nur ein Gewinn für die empirische Emotions- und die Affektsoziologie, sondern sollte von allen Bildungsakteur:innen gelesen werden, die ein ernsthaftes Interesse daran haben, das Bildungsversprechen für alle einzulösen.

Fazit

Die rezensierten Arbeiten lassen noch nicht eindeutig erkennen, inwiefern die zunehmende Rezeption der Affect Studies eher zu einer theoretischen Erweiterung der klassischen Emotionssoziologie oder doch zur Etablierung eines eigenständigen Feldes der Affektsoziologie führen wird. Der Affektbegriff erscheint zumindest als nicht unbedingt nötig, um auf Kritik an stark kognitivistischen Positionen innerhalb der Soziologie der Emotionen zu antworten. Auch eher klassische emotionssoziologische Arbeiten entwickeln ein theoretisch fundiertes Emotionsverständnis, dass Leiblichkeit und Relationalität einschließt. Derzeit stehen Emotionssoziologie und Affektsoziologie an vielen Stellen unverbunden nebeneinander, obgleich einige der hier rezensierten Arbeiten zumindest konzeptuell undogmatisch auf beide Forschungslinien zurückgreifen. Um die wichtigen theoretischen Impulse, die der Affective Turn (vgl. Clough/Halley, 2007) zweifellos für die Emotionssoziologie bringt, auch empirisch fruchtbar zu machen, bedarf es zukünftig vor allem methodologischer Diskussionen sowie methodischer Weiterentwicklungen. Dabei erscheinen visuelle und ethnographische Zugänge als besonders vielversprechende Ausgangspunkte. Empirische Affektsoziologie braucht einen Forschungsleib (s. o., Kauppert in Pfaller/Wiese: 198), der sich ins Geschehen wirft – oder zumindest auch von einer betrachtenden Position aus fähig und willens ist, sich affizieren zu lassen. Demgegenüber wird eine Affektsoziologie, die sich darauf beschränkt, das Sprechen über Affekte in Interviews zu analysieren, ihrem relational und leiblich gedachten Gegenstand bislang nicht ganz gerecht. Denn das müsste theoretisch konsequent auch die Analyse affektiver Dynamiken im Interview selbst einschließen. Eine dafür anschlussfähige Position findet sich jedoch kaum in den diskutierten affektsoziologischen Arbeiten, die auf Interviews rekurrieren. Stattdessen ist es Eckerts emotionssoziologische Untersuchung von lebensweltlicher Angst, die durch eine interaktionistische Interviewmethodologie Bezüge auf die relationale Dimension von Emotionen eröffnet. Ohne ein derartiges methodologisches Fundament wird der Begriff der Emotion lediglich theoretisch zunehmend durch den des Affekts ersetzt, die empirische Forschung jedoch geht wieder einen Schritt zurück zum Begriff der Emotion.

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Online erschienen: 2022-05-17
Erschienen im Druck: 2022-05-16

© 2022 Manuela Beyer, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 10.6.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/srsr-2022-0007/html
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