Debattieren wir in der Rechtsgeschichte zu wenig über Grundsätzliches und über Methodenfragen – oder lässt sich im Gegenteil eine gewisse Ermüdung feststellen, weil die Vielzahl übergreifender Diskussionen nur von der Quellenlektüre und der inhaltlichen Arbeit ablenkt? Die Antwort fällt schwer. Im Anschluss an einige Gespräche auf dem Rechtshistorikertag in Tübingen haben wir uns entschlossen, in Rechtsgeschichte – Legal History den Raum für genau diese Erörterung zur Verfügung zu stellen. Um die Debatte anzustoßen, haben wir den einleitenden Beitrag über Normengeschichte, Wissenschaftsgeschichte und Praxisgeschichte an knapp 30 Kolleginnen und Kollegen versandt und sie eingeladen, ihre Sicht der Dinge knapp und zugespitzt darzulegen. Der Aufruf von Thomas Duve lautete:
»Auf dem 40. Deutschen Rechtshistorikertag im September 2014 in Tübingen hat Peter Oestmann im Rahmen seines Hauptvortrags ›Streit um Anwaltskosten im frühneuzeitlichen Gerichtsverfahren‹ eindringlich zu einem Gespräch aufgefordert, was wir eigentlich in unserer rechtshistorischen Forschung unter ›Theorie‹ und ›Praxis‹ verstehen. Auch weil sich eine Diskussion zu dieser Frage in der knappen Zeit und vor einem großen Forum wie dem Rechtshistorikertag nicht wirklich ergeben kann, schien es wichtig, diese Frage nicht im Raum verhallen zu lassen. Ich freue mich deswegen, dass Peter Oestmann sich bereit erklärt hat, seine Überlegungen zu dieser Frage in einem kurzen Text zuzuspitzen – und uns diesen als Ausgangspunkt für eine Debatte im Heft 23 unserer Zeitschrift Rechtsgeschichte – Legal History zur Verfügung zu stellen. Der Text mit dem Titel ›Normengeschichte, Wissenschaftsgeschichte und Praxisgeschichte. Drei Blickwinkel auf das Recht der Vergangenheit‹ ist als working paper in unserer Reihe Max-Planck-Institute for European Legal History Research Paper Series auf SSRN zu finden: http://ssrn.com/abstract=2526811. (…) In Absprache mit Peter Oestmann würden wir uns sehr freuen, wenn Sie sich an dieser ›Debatte‹ beteiligen könnten – mit einem kurzen, der Konzeption der Debattenbeiträge in der Rechtsgeschichte – Legal History entsprechend meinungsstarken Beitrag. Er sollte natürlich auf die von Peter Oestmann gemachten Überlegungen Bezug nehmen.«
Tatsächlich gab es erfreulich viele Rückmeldungen, weit mehr, als es die hier abgedruckten Antworten zeigen. Zahlreiche Kollegen äußerten sich knapp oder auch ausführlich, mal kritisch, mal zustimmend, persönlich oder in E-Mails. Der Einleitungstext von Peter Oestmann unternimmt eine Gratwanderung mittlerer Reichweite und vermengt auf diese Weise Gesichtspunkte, die nicht nur zur rechtshistorischen Methodendiskussion gehören, sondern ebenso die Themenwahl und die dazugehörige Quellenerschließung betreffen. Vielleicht ist der Text deswegen enger angelegt, als es für eine offene Debatte angemessen gewesen wäre. Typologie, übergreifende Linien und die Verlockungen durch die heute sog. großen Erzählungen fehlen weithin. Möglicherweise verkürzt der Beitrag zudem die Problemgeschichte auf eine Spielart der Normengeschichte, wo sie doch den Blick immer auch auf die Wirklichkeit hinter den Normen richtet, so schwer die historischen Tatsachen zu ermitteln sind. Mit allgemeinen Fragen der rechtshistorischen Methode beschäftigt sich bekanntlich seit längerem bereits Michael Stolleis, vor allem in seiner eindringenden Studie »Rechtsgeschichte schreiben, Rekonstruktion, Erzählung, Fiktion?« (Jacob Burckhardt-Gespräche auf Castelen 21), Basel 2008, demnächst auch in der Neubearbeitung des HRG-Artikels »Methode der Rechtsgeschichte«.
Die hier abgedruckten Antworten greifen einige Anregungen auf und behandeln Fragestellungen, Themen und Quellen der rechtshistorischen Forschung ebenso wie das methodische Selbstverständnis der Rechtsgeschichte zwischen Geschichts- und Rechtswissenschaft. Wir würden uns freuen, wenn das Gespräch nicht einfach verpufft, sondern zum Nachdenken darüber anregt, was eigentlich den Kern unserer rechtshistorischen Arbeit ausmacht.