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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 14.1907

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Heft 7
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Hofmannsthal, Hugo von: Das Gespräch über Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26457#0038

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Gespräch über Gedichte?
Von Hugo von Hofmannsthal.
Cs leben jetzt, die wenigen ausge-
nommen, die selbst im Lyrischen etwas
hcrvorbringen, keine fünf Menschen in
Deutschland, welche über diese zartesten
Geburten der Seele ein Urteil hatten.
(Hebbel, Brief vom IV. I8Z8.)

Gabriel: Ich habe dir hier aufs Fenster einen Band
Gedichte gelegt.
Clemens: Keats?
Gabriel: Nein, es sind deutsche Gedichte. Sie
bilden eine Einheit, so sind sie angeordnet. Das Ganze
heißt „Das Jahr der Seele". Da ist der Herbst. Es
beginnt mit dem Herbst.
Die Wespen mit den goldengrünen Schuppen
Sind von verschlofsnen Kelchen fortgeflogen,
Wir fahren mit dem Kahn in weitem Bogen
Um bronzebraunen Laubes Inselgruppen.
Clemens: Das ist der Herbst. Aber lies ein
Ganzes oder gar nichts.
Gabriel: Kanst du zuhören?
Komm in den totgesagten Park und schau:
Der Schimmer ferner lächelnder Gestade,
Der reinen Wolken unverhofftes Blau
Erhellt die Weiher und die bunten Pfade.
Dort nimm das tiefe Gelb, das weiche Grau
Bon Birken und von Buchs: der Wind ist lau,
Die späten Rosen welkten noch nicht ganz,
Erlese, küsse sie und flicht den Kranz.
Vergiß auch diese letzten Astern nicht,!
Den Purpur um die Ranken wilder Neben
Und auch was übrig blieb vom grünen Leben
Verwinde leicht im herbstlichen Gesicht.
Clemens: Es ist schön. Es atmet den Herbst.
Obwohl es kühn ist, zu sagen, „der reinen Wolken
unverhofftes Blau", da diese Buchten von sehnsucht-
erregendem sommerhaften Blau ja zwischen den Wolken
sind. Aber freilich nur an den Rändern reiner Wolken.
Nirgends sonst aus dem ganzen verschlissenen rauhen
Gefilde des herbstlichen Himmels. Goethe hätte dies
„reiner Wolken" geliebt. Und „unverhofftes Blau" ist
tadellos. Es ist schön. Ja es ist der Herbst.
Gabriel: Willst du noch mehr Herbst?
Vom Tore, dessen Cisenlilicn rosten,
Entfliegen Vögel zum verdeckten Rasen
Und andre trinken frierend auf den Pfosten
Vom Regen aus den hohlen Blumenvasen.
Noch mehr?
Wir suchen nach den schattenfreien Bänken-
Wir laben uns am langen milden Leuchten,
Wir fühlen dankbar wie zum leisen Brausen
Don Wipfeln Strahlcnspuren auf uns tropfen
Und blicken nur und horchen, wenn in Pausen
Die reifen Früchte an den Boden klopfen.
Clemens: Ich bitte dich: lies ein Ganzes oder
gar nichts.
Gabriel: Willst du den Winter? Willst du den
Sommer? Die abenteuernde Sehnsucht des Sommers?
'' Aus dem I. Band der Gesammelten Prosaschriften (Verlag
S. Fischer, Berlin); siehe die Besprechung am Schluß des Heftes.

Die Beklommenheit des Sommers? Den Sommer-
morgen? Den Sommerabend?
Der Hügel, wo wir wandeln, liegt im Schatten,
Indes der drüben noch im Lichte webt,
Der Mond auf seinen zarten grünen Matten
Nur erst als kleine weiße Wolke schwebt.
Die Straßen weithin deutend werden blasser,
Den Wandrern bietet ein Gelispel Halt:
Ist es vom Berg ein unsichtbares Wasser,
Ist es ein Vogel, der sein Schlaflicd lallt?
Clemens:
Der Mond auf seinen zarten grünen Matten
Nur erst als kleine weiße Wolke schwebt...
Ich sehe eine Landschaft meiner Kindheit. Es scheint
ein schönes Buch zu sein, dieses „Jahr". Warum eigent-
lich: „Jahr der Seele"? Ich liebe die einfachen Über-
schriften.
Gabriel: Ich auch, darum scheint mir diese so aus-
gezeichnet. Denn hier ist ein Herbst, und mehr als
ein Herbst. Hier ist ein Winter, und mehr als ein
Winter. Diese Jahreszeiten, diese Landschaften sind
nichts als die Träger des Anderen.
Sind nicht die Gefühle, die Halbgesühle, alle die
geheimsten und tiefsten Zustände unseres Innern in der
seltsamsten Weise mit einer Landschaft verflochten, mit
einer Jahreszeit, mit einer Beschaffenheit der Luft, mit
einem Hauch? Eine gewisse Bewegung, mit der du von
einem hohen Wagen abspringst; eine schwüle sternlose
Sommernacht; der Geruch feuchter Steine in einer
Hausflur; das Gefühl eisigen Wassers, das aus einem
Laufbrunnen über deine Hände sprüht: an ein paar
Tausend solcher Erdendinge ist dein ganzer innerer Besitz
geknüpft, alle deine Aufschwünge, alle deine Sehnsucht,
alle deine Trunkenheiten. Mehr als geknüpft: mit den
Wurzeln ihres Lebens sestgewachsen daran, daß — schnittest
du sie mit dem Messer von diesem Grunde ab, sie in sich
zusammenschrumpften und dir zwischen den Händen zu
nichts vergingen. Wollen wir uns finden, so dürfen
wir nicht in unser Inneres hinabsteigen: draußen sind
wir zu finden, draußen. Wie der wesenlose Regen-
bogen spannt sich unsere Seele über den unaufhalt-
samen Sturz des Daseins. Wir besitzen unser Selbst
nicht: von außen weht eö uns an, eS flieht uns für
lange und kehrt uns in einem Hauch zurück. Zwar —
unser „Selbst"! Das Wort ist solch eine Metapher.
Regungen kehren zurück, die schon einmal früher hier
genistet haben. Und sind sies auch wirklich selber wieder?
Ist es nicht vielmehr ihre Brut, die von einem dunklen
Heimatgefühl hierher zurückgetrieben wird? Genug,
etwas kehrt wieder. Und etwas begegnet sich in uns
mit anderem. Wir sind nicht mehr als ein Tauben-
schlag.
Clemens: Seltsam, daß dich dieser Gedankengang
daraus führt. Ich bin aus einem andern Wege darauf
gekommen, aus einem ganz andern: es ist schwer, nicht
daran zu zweifeln, daß es in der menschlichen Natur
irgend eine Wesenheit gibt. Furchtbar ist eö, die Ge-
walt der Äußerlichkeiten zu erwägen: es muß unendlich
schwer sein, ein Drama zu schreiben, und unendlich hart,
über einen Mörder zu Gericht zu sitzen.

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