Z Geburtshilfe Neonatol 2008; 212 - P25
DOI: 10.1055/s-2008-1078928

Perinatale Asphyxie, Sepsis, Anämie, Multiorganversagen: Die neonatale Hämochromatose – ein Chamäleon der Intensivmedizin

A Münch 1, AC Hoyer 1, A Loui 1, W Luck 2, C Röcken 3, S Kampmann 1
  • 1Klinik für Neonatologie, Charité, Berlin
  • 2Klinik für Allgemeine Pädiatrie, Charité, Berlin
  • 3Institut für Pathologie, Charité, Berlin

Einleitung: Die neonatale Hämochromatose ist eine seltene Eisenspeichererkrankung mit hoher perinataler Letalität. Charakteristisch ist eine intrauterin beginnende intra- und extrahepatische Eisenüberladung mit fatalen Folgen. Die Ätiologie ist bisher ungeklärt, maternale Faktoren wie z.B. Antikörper gegen fetale Hepatozyten werden als pathogenetisches Korrelat diskutiert. Eine Assoziation zu den bekannten Genen des Eisenstoffwechsels konnte bisher nicht gefunden werden. Fallvorstellung: Eutrophes männliches Reifgeborenes; zweites Kind bosnischer, nicht konsanguiner Eltern, erstes Kind gesund. Unkomplizierte Schwangerschaft bis zur 32. SSW, weitere vorgeburtliche Untersuchungen erfolgten nicht. Entbindung per Sectio bei pathologischem CTG nach 39+5 SSW, APGAR 6/4/4, Na-pH 7,12. Aufnahme in die Neonatologie wegen Asphyxie, Anämie und septischem Krankheitsbild. Bei schwerer respiratorischer Azidose und pulmonaler Hypertonie Umstellung der Beatmung auf Hochfrequenzoszillation und NO-Therapie. Unter dem Vollbild einer fulminanten Sepsis entwickelte sich ein ausgeprägtes Kapillarlecksyndrom und Multiorganversagen mit disseminierter intravasaler Gerinnung und Anurie. Eine arterielle Hypotonie erforderte hohe Katecholamindosen. Aufgrund der Geburtsasphyxie wurde mit einer Hypothermiebehandlung begonnen, welche nach 16 Stunden bei therapieresistenten Gerinnungsstörungen abgebrochen werden musste. Im Alter von 30 Lebensstunden traten Krampfanfälle auf, die unter antikonvulsiver Therapie mit Phenobarbital und Diazepam sistierten. Ab dem 5. Lebenstag zeigte der Patient einen rasch progredienten Ikterus (Gesamtbilirubin max. 49,4mg/dl; direktes Bilirubin max. 33,6mg/dl). Es fanden sich keine Hinweise auf eine Infektion mit hepatotropen Viren, Blutgruppenunverträglichkeit oder Stoffwechseldefekte. Eine strukturelle Erkrankung von Leber und Gallenwegen konnte sonographisch ausgeschlossen werden. Die Analyse des Eisenstoffwechsels ergab einen massiv erhöhten Ferritinwert (max. 4216µg/l). Unsere Verdachtsdiagnose einer neonatalen Hämochromatose wurde durch eine Leberbiopsie bestätigt. Unter Therapie mit einem antioxidativen Cocktail aus Prostaglandin E1, Vitamin E, Selen, N- Acetylcystein und dem Chelatbildner Desferroxamin kam es zu einer raschen Normalisierung der Cholestaseparameter und einem Absinken des Ferritinwertes auf <500µg/l nach 6 Wochen, so dass bislang keine Indikation zur Lebertransplantation bestand. Kommentar: Bei allen Neugeborenen mit Zeichen einer schweren Sepsis und Leberversagen sollte differentialdiagnostisch eine neonatale Hämochromatose in Erwägung gezogen werden. Die Prognose kann durch frühzeitigen Beginn einer antioxidativen Therapie entscheidend verbessert werden.