Klin Monbl Augenheilkd 1987; 191(9): 184-188
DOI: 10.1055/s-2008-1050492
© 1987 F. Enke Verlag Stuttgart

Quantifizierung und Progredienz des Gesichtsfeldschadens bei Glaukom ohne Hochdruck, Glaucoma simplex und Pigmentglaukom*

Eine klinische Studie mit dem Programm Delta des Octopus-Perimeters 201Quantification and Progression of Visual Field Damage in Low-Tension, Primary Open Angle, and Pigmentary GlaucomaE. Gramer, G. Althaus
  • Univ.-Augenklinik Würzburg (Direktor: Prof. Dr. Dr. h.c. W. Leydhecker)
* Ein Teilaspekt zur Topographie der Gesichtsfeldausfälle wurde als wissenschaftliches Poster (unter Verweis auf diese Arbeit) beim 7. International Visual Field Symposium der International Perimetrie Society in Amsterdam am 10. September 1986 dargestellt.
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Publication History

Manuskript erstmals eingereicht 9.9.1986

Zur Publikation in der vorliegenden Form angenommen 4.2.1987

Publication Date:
11 February 2008 (online)

Zusammenfassung

Bei der Lage und Tiefe sowie der zeitlichen Entwicklung von Gesichtsfeldausfällen bei den verschiedenen Glaukomformen fanden wir Unterschiede, die sich aus der verschiedenen Bedeutung von intraokularen Drucksteigerungen und/oder Gefäßschäden erklären lassen. Die Korrelation der Skotomtiefe mit der Erhöhung de s Augenin nendr ucks ist bei Glaucoma simplex und Pigmentglaukom unterschiedlich. - Wir untersuchten im Laufe von 8 Jahren 451 Augen von 451 Glaukompatienten mit Gesichtsfeldausfällen der Stadien I-IV mit dem Octopus-Perimeter 201 (Programm 31 oder 33): 83 Patienten mit Glaukom ohne Hochdruck, 316 Patienten mit Glaucoma simplex und 52 Patienten mit Pigmentglaukom. Mit dem Programm Delta errechneten wir für jeden Patienten den Gesamtempfindlich-keitsverlust (total loss) im Gesichtsfeld sowie den mittleren Verlust pro Testpunkt im 30°-Gesichtsfeld, in den Gesichtsfeldquadranten sowie in den Exzentrizitätsbereichen von 0-10°, 10-20° und 20-30°. Zusätzlich wurde für jedes Gesichtsfeld der Quotient aus Gesamtverlust und Zahl der gestörten Testpunkte errechnet, der ein Maß für die durchschnittliche Schadenstiefe darstellt. Um die Gesichtsfelder der verschiedenen Glaukomformen im gleichen Erkrankungsstadium, definiert nach der Höhe des Gesamtverlustes, vergleichen zu können, teilten wir die 3 Patientengruppen jeweils in folgende 4 Stadien ein: Stadium 1 : Gesamtverlust < 100 dB; Stadium 2: Gesamtverlust 101-400 dB; Stadium 3: 401-800 dB; Stadium 4: Gesamtverlust 801-1600 dB. - Der Vergleich von Augen mit Glaukom ohne Hochdruck, Glaucoma simplex und Pigmentglaukom im gleichen Stadium zeigt: I. Hinsichtlich der Lage der Skotome: 1. Häufiger Ausfälle in der unteren Gesichtsfeldhälfte bei Glaukom ohne Hochdruck als bei Glaucoma simplex. 2. Häufiger Ausfälle in der oberen Gesichtsfeldhälfte bei Glaucoma simplex. 3. Etwa gleich häufig Ausfälle in der oberen und unteren Gesichtsfeldhälfte bei Pigmentglaukom. 4. Häufiger Ausfälle in der nasalen als in der temporalen Gesichtsfeldhälfte bei Glaukom ohne Hochdruck als bei Glaucoma simplex und bei Pigmentglaukom. Bei allen 3 Glaukomformen ist jedoch die nasale Gesichtsfeldhälfte häufiger betroffen als die temporale. 5. Bei Glaukom ohne Hochdruck und Glaucoma simplex sind bei Betrachtung aller Stadien die Ausfälle am häufigsten im nasal oberen und am seltensten im temporal unteren Quadranten. 6. Bei allen Glaukomen sind die Gesichtsfeldausfälle im Mittel am häufigsten zwischen 10° und 20° Exzentrizität. 7. Bei Glaucoma simplex kommt es mit zunehmendem Augeninnendruck zu zunehmender Gleichverteilung der Ausfälle in der oberen und unteren Gesichtsfeldhälfte. II. Hinsichtlich der Tiefe der Skotome: 1. Die tiefsten Ausfälle zeigen sich bei Glaukom ohne Hochdruck; weniger tiefe bei Glaucoma simplex, die flachsten bei Pigmentglaukom. 2. Bei Pigmentglaukom besteht eine signifikante Abhängigkeit der mittleren Skotomtiefe vom maximalen intraokularen Druck. 3. Bei Glaucoma simplex besteht keine Abhängigkeit der mittleren Skotomtiefe vom maximalen intraokularen Druck; deshalb müssen bei Glaucoma simplex weitere, vom Augeninnendruck unabhängige Schädigungsfaktoren eine Bedeutung für die Entstehung der Gesichtsfeldausfälle haben. III. Hinsichtlich der Progredienz: Aus sehr vielen Gesichtsfeldern mit etwa gleichem Gesamtverlust wird ein mittleres Gesichtsfeld gleichen Stadiums errechnet. So ergeben sich entsprechend der Stadieneinteilung mittlere Gesichtsfelder mit zunehmendem Gesichtsfeldschaden. Diese erlauben Rückschlüsse auf die Progredienz des glaukomatösen Gesichtsfeldverfalls bei den verschiedenen Glaukomen. Der Vergleich der 4 nach dem Gesamtverlust definierten Stadien (siehe oben) zeigt eine unterschiedliche Entwicklung bei den 3 Glaukomformen: 1. Bei Glaucoma simplex und Pigmentglaukom nehmen die Ausfälle anfangs vorwiegend an Fläche zu; erst im fortgeschrittenen Erkrankungsstadium gewinnt die Tiefenzunahme der Skotome an Bedeutung. 2. Bei Glaukom ohne Hochdruck haben wir von Anfang an sehr tiefe Skotome; die Zunahme der Skotomfläche und die Zunahme der Skotomtiefe stehen bei Glaukom ohne Hochdruck dann während des gesamten Verlaufes der Erkrankung in einem konstanten Verhältnis zueinander, wobei jedoch die Breitenzunahme überwiegt. Diese Unterschiede in der Dynamik des Gesichtsfeldverfalls, die Unterschiede in Lage und Tiefe der Ausfälle und die unterschiedliche Korrelation der Skotomtiefen mit der Erhöhung des Augeninnendrucks bei Glaucoma simplex und Pigmentglaukom können durch einen unterschiedlichen Anteil der vaskulären Genese bedingt sein. Bei Glaukom sind somit zumindest zwei Pathomechanismen anzunehmen.

Summary

Visual field defects of stages IIV, in 451 eyes of 451 glaucoma patients, were examined with the Octopus 201 perimeter: 83 patients with low-tension glaucoma (LTG), 316 patients with primary open-angle glaucoma (POAG), and 52 patients with pigmentary glaucoma (PG). Program 31 or 33 was used, with an eccentricity range of up to 30°, 73 test points, and a 6° grid. The mean total field loss (TL) as well as the mean loss per test point (TL/TP) in the 30° field, in the field quadrants, and in the eccentricity ranges from 0-10°, 10-20°, and 20-30° were calculated for each patient with Programm Delta. In addition, for each visual field the quotient of total loss and of the number of disturbed test points was calculated, providing a measurement of the mean depth of the field defects. For definition and comparison of visual fields in the different glaucomas at identical stages of the disease according to the amount of TL, the 3 patient groups were subdivided into 4 stages of sensitivity loss : Stage 1 : TL < 100 dB ; Stage 2 : TL 101-400 dB; Stage 3: TL 401-800 dB; Stage 4: 801-1600 dB. The results of a comparison of eyes with LTG, POAG, and PG at the same stage of disease were as follows: I. Location of scotomas: 1. Defects more frequent in the lower field in LTG as compared to POAG in stage 2. 2. Defects more frequent in the upper than in the lower field in POAG. 3. Almost equal number of defects in the upper and lower halves in PG. 4. In all 3 glaucoma types the defects are more frequently found in the nasal than in the temporal half of the visual field. 5. In LTG and POAG of all stages the defects are most frequently found in the upper nasal and most seldom in the lower temporal quadrant. 6. In all glaucoma types the defects occur on average most frequently between 10° and 20° of eccentricity. 7. With increasing IOP in POAG the scotomas tend to be equally distributed in the upper and lower quadrants. II. Depth of scotomas: 1. Scotomas are deepest in LTG; they are less deep in POAG, and least deep in PG. 2. In PG the mean scotoma depth depends significantly on maximum IOP. 3. In POAG the mean scotoma depth is independent of maximum IOP; therefore, damaging factors other than pressure-related ones must also be involved in the development of visual field defects in POAG. III. Progression of field loss: Mean visual fields with increasing field loss are calculated from a great number of single fields with almost the same amount of total loss. These mean fields allow conclusions to be drawn regarding the progression of glaucomatous field damage in the three types of glaucoma. Comparing the 4 stages defined according to total loss, a different development of field damage in LTG, POAG, and PG becomes evident: 1. In POAG and PG field defects initially increase mainly in area. Only later, at the advanced stages, does the increase in scotoma depth become more significant. 2. In LTG scotomas are deep from the very beginning. The increase the depth and area of the defects remain in a constant proportion to one another throughout the subsequent course. The increase in area, however, is predominant.

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