Z Geburtshilfe Neonatol 2007; 211 - P313
DOI: 10.1055/s-2007-983283

Die unmittelbar postnatale Mimik Neugeborener nach Geburt per Kaiserschnitt – erste Beobachtungen

J Hentschel 1, F Jütte 1, R Ruff 1, L Gortner 1
  • 1Klinik für Allgmeine Pädiatrie und Neonatologie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar

Hintergrund: Während der Primärversorgung von Neugeborenen ohne Interventionsnotwendigkeit nach Sectio caesarea wurde apparent, dass unmittelbar postnatal Augen- und Mundbewegungen einsetzen. Die Gesichtsbewegungen Neugeborener in den ersten Lebensminuten sind bisher noch nicht genau beschrieben worden. Daher sollte beobachtet werden, ob Augen- und Mundbewegungen regelmäßig auftreten, und welche Einflussfaktoren eine Rolle spielen. Methodik: Als Mimik-Elemente wurden Eye Opening (EO) und Tongue Thrust (TT) definiert: bei EO handelt es sich um rhythmisches Öffnen und Schließen der Augen, bei TT wird (repetitiv) der Mund geöffnet und die Zunge hervorgeschoben. Die Pilot-Beobachtungen erfolgten unter quasi-experimentellen Bedingungen der Primärversorgung von 74 Neugeborenen, die von November 2003 bis Dezember 2004 per Kaiserschnitt geboren wurden. Im zeitlichen Raster des APGARs wurde nach 5 bzw. 10min notiert, ob die Kinder EO und/oder TT zeigten. Als mögliche Einflussvariablen wurde ein Zusammenhang mit Gestationsalter, Nabelschnurarterien-pH, summierten APGAR-Werten, sowie Narkoseart (Allgemein- versus Regionalanästhesie) und Sectio-Indikation mittels SPSS 13,0 gesucht. Ergebnisse: Von 0–10min zeigten 73,0% der Neugeborenen EO, 59,5% zeigten TT. Ein signifikanter Zusammenhang bestand zwischen Gestationsalter und dem Auftreten von EO in den Zeiten 0–5, 5–10 und 0–10min, zwischen Gestationsalter und Auftreten von EO und/oder TT im Zeitraum 0–10min, zwischen der Narkoseart und dem Auftreten von EO in allen Zeiträumen, zwischen APGAR-Werten und dem Auftreten von TT im Zeitraum 0–5min und zwischen APGAR-Werten und dem Auftreten von EO und/oder TT im Zeitraum 0–10min. Ein signifikanter Zusammenhang zwischen den Variablen Nabelschnurarterien-pH-Wert oder Sectio-Indikation mit Auftreten der Mimik-Elemente bestand nicht.

Diskussion: Als spezifische Mimik waren EO und TT regelmäßig unmittelbar postnatal bei Neugeborenen zu beobachten. Das Auftreten war von Reife, Adaptationsqualität und Narkoseart bei der Mutter mitbestimmt. Die Berechnungen konnten nur Tendenzen ergeben, da es in der Studie zu wenige vom Normalkollektiv abweichende Neugeborene gab. Ultraschall-Studien zufolge kann ein ähnliches reifeabhängiges Verhalten pränatal beobachtet werden: auch bei den Gesichtsbewegungen scheint eine feto-neonatale Kontinuität zu bestehen.

Es wurden folgende Hypothesen aufgestellt:

- Es könnte ein Zusammenhang zwischen neurologischem Zustand des Neugeborenen und der Mimik bestehen

- EO könnte eine Reaktion auf Stimuli und die Umgebungsumstellung (z.B. Licht, Geräusche) sein

- TT ist möglicherweise ein angeborener Automatismus und Indikator für die Saugbereitschaft des Kindes

Schlussfolgerungen: Die Phänomene EO und TT gehören regelhaft zu den ersten eigenen Aktionen von Neugeborenen und könnten den Beitrag des Kindes zur Interaktionsinitiation mit den Eltern darstellen. Für Folgestudien ist sinnvoll, sowohl Spontangeborene, als auch vom Normalkollektiv abweichende Neugeborene einzubeziehen.