Klinische Neurophysiologie 2007; 38 - P211
DOI: 10.1055/s-2007-976339

Vorhersage epileptischer Anfälle: Statistische Signifikanz vs. klinische Relevanz

B Schelter 1, H Feldwisch genannt Drentrup 1, J Wohlmuth 1, J Nawrath 1, A Brandt 1, J Timmer 1, A Schulze-Bonhage 1
  • 1Freiburg

Fragestellung: Epilepsiepatienten leiden an wiederholt scheinbar unvorhersehbar auftretenden Anfällen. Eine rechtzeitige, verlässliche Vorhersage dieser würde die Lebensqualität von Patienten deutlich erhöhen. Dafür ist ein Algorithmus mit einer Vorhersageleistung, die besser ist als Zufall, notwendig. Diese statistische Signifikanz allein sagt wenig über die praktischen Implikationen für Patienten aus, also die medizinische Relevanz. Hier untersuchen wir neben der statistischen Signifikanz eines exemplarischen Vorhersagealgorithmus weitere charakteristische Größen, die den Leidensdruck für Patienten quantifizieren.

Methoden: Anhand von Langzeit-EEG-Registrierungen von 4 Patienten wird die Vorhersageleistung der so genannten „Mean Phase Coherence“ (Mormann et. al, Physica D, 144:358, 2000) mittels der „Seizure Prediction Characteristic“ (SPC) und einem Signifikanzniveau evaluiert (Schelter et al., Chaos, 16:013108, 2006). Die SPC nimmt die Beurteilung der Vorhersageleistung mittels zweier Zeitfenster vor, dem Interventionszeitraum und der „Occurence Period“ (SOP), innerhalb derer das Auftreten eines Anfalles vorhergesagt wird. Für die Evaluation wurden 63 Anfälle und 721 Stunden interiktaler Daten ausgewertet. Neben der Beurteilung der statistischen Signifikanz anhand dieser Daten, wird die klinische Relevanz durch die Zeit, die ein Patient fälschlicherweise einen Anfall erwartet, und den Anteil an falschen Alarmen quantifiziert.

Ergebnisse: Die „Mean Phase Coherence“ zeigt eine statistisch signifikante Fähigkeit, epileptische Anfälle vorherzusagen. Falsche Vorhersagen liegen jedoch im Mittel bei mehr als 50%, in einzelnen Fällen deutlich höher. Dies führt dazu, dass Patienten ca. 15% eines Tages fälschlich einen Anfall erwarten; bei fehlender Unterscheidung von Interventionszeitraum und SOP läge dieser Zeitraum noch wesentlich höher.

Schlussfolgerung: Obwohl die Anfallsvorhersageleistung einiger Algorithmen besser ist als der Zufall, ist eine ausreichende klinische Relevanz noch nicht erreicht. Insbesondere die Fehlalarme tragen zu einer hohen Belastung für Patienten bei. Diese Studie zeigt ferner die Wichtigkeit, das Zeitfenster zur Anfallsvorhersage, in zwei getrennte Zeitfenster zu unterteilen, den Interventionszeitraum und die SOP. Dies ist nicht nur in der Praxis für prädiktionsbasierte Interventionsverfahren unerlässlich, sondern zeigt auch im Hinblick auf die klinische Relevanz deutlich bessere Ergebnisse (Schelter et al., Epi. Research, in press).