Aktuelle Urol 2006; 37 - V19
DOI: 10.1055/s-2006-947408

„Second–Line“ Polychemotherapie beim metastasierten Urothelkarzinom des Nierenbeckens: Ein bemerkenswerter Langzeitverlauf

A Bannowsky 1, K Bothe 1, CM Naumann 1, B Wefer 1, D Osmonov 1, D Melchior 1, S Hautmann 1, KP Jünemann 1
  • 1Klinik für Urologie und Kinderurologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Kiel

Einleitung: Die Standardtherapie des Urothelkarzinoms des Nierenbeckens ist die radikale Nephroureterektomie mit Entnahme einer Blasenmanschette um das Ureterostium. Bei vorliegenden Metastasen schließt sich meist eine Cisplatin-haltige Polychemotherapie an. Diese Chemotherapie kann nur bei einer geringen Anzahl von Patienten zu dauerhaften Heilungen oder längerfristigen Remissionen führen. Wir stellen den bemerkenswerten Verlauf eines Patienten mit metastasiertem Urothelkarzinom des Nierenbeckens vor.

Kasuistik: Wir führten bei einen 59-jährigen Patienten eine Tumornephrektomie rechts bei V. a. ein pulmonal, lymphogen und ossär metastasiertes Nierenzellkarzinom durch. Im pathohistologischen Befund zeigte sich ein fortgeschrittenes Urothelkarzinom des Nierenbeckens (Tumorstadium pT3a) mit ausgeprägter Metastasierung in die retroperitonealen Lymphknoten (LK), pulmonaler und ossärer Filialisierung im rechten Os ileum. Nach palliativer analgetischer Radiatio der rechten Ileosakralfuge und 6 Kursen Chemotherapie mit Gemcitabin (1200mg/m2 KO) und Cisplatin (70mg/m2 KO) zeigte sich in der Staging-CT ein „stable disease“ (SD). Im weiteren Verlauf führten wir aufgrund eines Progresses nach 4 Monaten erneut 6 Kurse Chemotherapie mit Gemcitabin/Cisplatin durch. Insgesamt wurden 24 Kurse der Polychemotherapie mit Gemcitabin und Cisplatin dem Patienten verabreicht bei rezidivierendem Progress in den Chemotherapiefreien Intervallen. Im letzten therapiefreien Intervall kam es schon nach 6 Wochen zu einer deutlichen Größenzunahme der disseminierten pulmonalen und retroperitonealen Filialisierung, so dass eine „Second-line“ Polychemotherapie mit Gemcitabin (1000mg/m2 KO) und Paclitaxel (175mg/m2 KO) als Therapieversuch eingeleitet wurde. Im Zwischenstaging zeigte sich schon nach 2 Kursen eine deutliche Abnahme der Größe und Anzahl der intrapulmonalen Filiae und der retroperitonealen LK-Filiae. Seitdem führen wir diese Chemotherapie als sequenziell applizierte Erhaltungstherapie im 21-Tage-Zyklus durch. Der Patient lebt derzeit mit andauernder partieller Remission (PR) nach 18 Kursen der begonnenen Chemotherapie beschwerdefrei und berichtet über ein deutlich gesteigertes Wohlbefinden gegenüber der vorherigen Cisplatin-haltigen Therapie.

Diskussion: Patienten mit lymphogen oder hämatogen metastasiertem Urothelkarzinom haben eine 5-Jahres-Überlebensrate von nur noch 15–20%. Das mittlere Überleben beim metastasierten Urothelkarzinom mit viszeralen Metastasen beträgt ca. 10 Monate und kann mit einer Zweierkombination bestehend aus Gemcitabin/Cisplatin auf ca. 14 Monate gesteigert werden bei einer Gesamtansprechrate von 49%. Trotz initial ungünstiger Prognose lebt im vorliegenden Fall der Patient im 44. Monat nach Erstdiagnosestellung z. Z. subjektiv beschwerdefrei in gutem Allgemeinzustand (Karnofsky-Perfomancestatus 100%) nach insgesamt 24 Kursen Gemcitabin/Cisplatin (SD) und 18 Kursen Gemcitabin/Paclitaxel in PR.

Schlussfolgerung: Dieser interessante Fall belegt eindrucksvoll die Notwendigkeit, gerade bei jüngeren Patienten trotz scheinbarem Therapieversagen einer etablierten Chemotherapie neuere Polychemotherapieschemata als Therapieversuch einzusetzen und damit dem Patienten eine weitere Option anbieten zu können. Hierbei möchten die Verfasser darauf hinweisen, geeignete Patienten in geprüfte und kontrollierte Studienprotokolle (www.auo-online.de) einzuschleusen, um eine konsequente Datenerfassung und Auswertbarkeit zu gewährleisten.