Rehabilitation (Stuttg) 2006; 45(5): 314-315
DOI: 10.1055/s-2006-940111
Reha-Politik
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das „Persönliche Budget” - Plädoyer für eine offensive Anwendung

The „Personal Budget” - Pleading for Its Proactive ApplicationW.  Heine1 , B.  Steinke2 , B.  Giraud2
  • 1Deutsche Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation, Berlin
  • 2Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, Frankfurt/Main
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Publication History

Publication Date:
06 October 2006 (online)

Persönliche Budgets liegen im Trend - zumindest bei Menschen mit Behinderungen. Sie beruhen auf deren und ihrer Verbände Forderungen, und sie nehmen als teilhabeorientiertes Instrument des SGB IX das umfassende Wunsch- und Wahlrecht (§ 9 SGB IX) von Leistungsberechtigten ernst. Sie sind politisch parteiübergreifend gewollt[1], inzwischen gesetzlich ausreichend verankert (§ 17 SGB IX), und sie bieten dem gegliederten System mit seinen Leistungsträgern die Möglichkeit, ihre Innovationsbereitschaft gerade hinsichtlich der trägerübergreifenden Kooperation und der Koordination mehrerer Leistungen unter Beweis zu stellen.

Noch ist - trotz hoher (sozialpolitischer) Aufmerksamkeit und zahlreicher Fachveranstaltungen - die Inanspruchnahme der neuen Leistungsform eher zurückhaltend. Doch unbeschadet tendenziell skeptischer Leistungsträger, abwartender Leistungserbringer und orientierungsbedürftiger Leistungsnehmer gibt es gerade für die Rehabilitationsträger mit ihren Selbstverwaltungen und für die Leistungserbringer gute Gründe, die Erprobung und Umsetzung Persönlicher Budgets als neue Leistungsform zu unterstützen. Warum, wie und womit kann also offensiv dafür geworben werden?

Um diese Frage zu beantworten, muss man sich der Grundlagen Persönlicher Budgets vergewissern und damit ihr Potenzial näher bestimmen. Die gesetzliche Verankerung Persönlicher Budgets lässt sich auf die knappe, doch prägnante Formel bringen, dass alle behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen bundesweit und bei allen Leistungsträgern alle einmaligen oder laufenden Leistungen zur Teilhabe, darüber hinaus weitere Sozialleistungen in der Form eines Persönlichen Budgets beantragen können. Der jeweilige Leistungsträger muss den Budgetnehmer dabei beraten, z. B. über die Gemeinsamen Servicestellen, und ihn unterstützen, bevor er im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens über den Antrag entscheidet. Ab dem 1.1.2008 besteht zudem ein unbedingter Rechtsanspruch auf ein Persönliches Budget.[2]

Den Anfang zur Umsetzung dieser klaren Festlegungen haben die Rehabilitationsträger mit der gemeinsamen Erarbeitung von Handlungsempfehlungen zur Umsetzung Persönlicher Budgets auf der Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR), veröffentlicht im Jahr 2005, gemacht [1]. Dort wurden erstmals Leistungskataloge erstellt, die - bezogen auf den damaligen Zeitpunkt - solche Leistungen aufführen und beschreiben, die auf der Basis der Budgetfähigkeit aller Teilhabeleistungen in besonderem Maße geeignet erscheinen, als Persönliches Budget - und damit vorrangig als Geldleistung - erbracht zu werden.

Die gesetzlich vorgesehenen Umsetzungsmöglichkeiten wurden damals von einzelnen Rehabilitationsträgern bezüglich bestimmter Leistungen noch zurückhaltend bewertet. So hatte z. B. die Krankenversicherung Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach §§ 40 und 41 SGB V nur im Zusammenhang mit weiteren budgetfähigen Leistungen als budgetfähig beschrieben ([1], S. 9 ff.): Auch die Rentenversicherung hatte bei regelhaften dreiwöchigen Reha-Maßnahmen Einschränkungen dahingehend postuliert, die budgetierte Leistung müsse einen „Zugewinn an Selbstbestimmung und Eigenverantwortung über das Wunsch- und Wahlrecht” hinaus verschaffen, weshalb bei nicht trägerübergreifenden Persönlichen Budgets das Wunsch- und Wahlrecht als Ausschluss dieser Leistungsform missverstanden werden konnte ([1], S. 20 f.). Der Wortlaut der §§ 7, 13, 17 SGB IX und die dazu vorhandenen Gesetzesmaterialien lassen solch einschränkende Interpretationen nicht zu.

Doch kommt mittlerweile Bewegung in die zurzeit noch überschaubare Leistungslandschaft. So haben sich einzelne Leistungsträger neu orientiert und weitere Umsetzungsschritte vorgenommen.

Persönliche Budgets durch die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg: Die DRV Baden-Württemberg folgt dem gesetzlich klar vorgegebenen Grundsatz, dass alle Teilhabeleistungen in der Form eines Persönlichen Budgets erbracht werden können; darum bezieht sie explizit Leistungen in Rehabilitationseinrichtungen mit ein [2]. Auf diese Weise wird die Gleichrangigkeit von Geld- und Sachleistungen auch für die Teilhabeleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt. Gefordert wird von der DRV Baden-Württemberg zudem, dass sich die Rentenversicherungsträger neu positionieren müssen, um (potenziellen) Budgetnehmern gerecht zu werden. Sie müssen den Versicherten Unterstützung anbieten, indem z. B. Ergebnisse der Qualitätssicherung transparent gemacht werden, damit interessierte Budgetnehmer - mit diesen Informationen ausgestattet - selbstbestimmt auf dem Markt agieren können.

Interne Handlungsempfehlung der Bundesagentur für Arbeit: Die Bundesagentur für Arbeit spricht sich in ihrer neuen Handlungsempfehlung/Geschäftsanweisung [3] für einen offensiven Umgang mit dem Persönlichen Budget aus und beschreibt es als attraktive Förderform mit eher überdurchschnittlichen Integrationsergebnissen (Wirkung) bei gleichem Mitteleinsatz. Die örtlichen Agenturen für Arbeit werden aufgefordert, ihr Ermessen zu Gunsten des Persönlichen Budgets auszuüben und, losgelöst von den herkömmlichen Förderinstrumenten, definierte Leistungspakete entsprechend den individuellen Gegebenheiten zu schnüren. Für den Budgetnehmer werden Anreize geschaffen, wirtschaftlich und sparsam mit seinem Budget umzugehen. Wie so etwas in der Praxis aussieht, wird in den „kobinet”-Nachrichten berichtet [4]. Danach erhält ein junger behinderter Mann künftig Geldleistungen in der Höhe sonst für ihn zu bewilligender Leistungen in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Das Geld verwendet er für einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, ohne Anbindung an eine WfbM.

Was hier für den Bereich der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben konzeptionell vorgedacht und in der Praxis schon erprobt wird, gilt kraft Gesetzes für alle Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Warum also nicht auch hier neue Wege ausprobieren und die regelhaften dreiwöchigen Reha-Maßnahmen alleine oder in Verbindung mit weiteren Leistungen als Persönliche Budgets - und damit in der Regel als Geldleistung - erbringen? Hierfür können alle Leistungsträger auf die im April 2006 in Kraft getretene Verwaltungsrichtlinie [5] setzen. Das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales sieht in ihr finanzielle Anreize vor, um die Anzahl der bewilligten Persönlichen Budgets zu erhöhen. Dabei soll dem projektbezogenen Mehraufwand der beteiligten Leistungsträger - z. B. durch das neue, in der Budgetverordnung geregelte trägerübergreifende Verfahren - über Zuschüsse begegnet werden. Motiviert ist diese Intervention durch die Notwendigkeit, rechtzeitig vor dem In-Kraft-Treten des unbedingten Rechtsanspruchs auf ein Persönliches Budget zum 1.1.2008 genügend Erfahrungen zu sammeln, sie wissenschaftlich auszuwerten und so den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes einen Bericht vorzulegen, mit dem Fragen zur Weiterentwicklung der rechtlichen Grundlagen Persönlicher Budgets beantwortet werden können.

Als Fazit bleibt: Die Implementation Persönlicher Budgets stößt noch auf Hindernisse, die mit den externen und internen Bedingungen des gegliederten Systems im Zusammenhang stehen [6]. Sie zu verändern oder zu beeinflussen muss von allen Beteiligten in Angriff genommen werden. Auch die Rehabilitationsträger sollten sich mit ihren Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur medizinischen Rehabilitation offensiver als bislang bei der Erprobung Persönlicher Budgets engagieren. Sie kommen damit den Forderungen vieler Menschen mit Behinderungen und deren Verbänden entgegen, das Wunsch- und Wahlrecht umfänglicher zu verwirklichen als bisher. Sie beweisen der Politik ihre Befähigung, komplexe Aufgaben auch (oder gerade) mit der Hilfe und innerhalb des gegliederten Systems von Rehabilitation und Teilhabe zu lösen. Und sie können - gleichsam nebenbei - wertvolle Erfahrungen über Nutzerzufriedenheit, Qualität, Kundenorientierung erbrachter Leistungen, auch über strukturelle Wirkungen - etwa im Verhältnis ambulanter, wohnortnaher zu stationären Versorgungsformen - sammeln.

Literatur

  • 1 Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation .Vorläufige Handlungsempfehlungen „Trägerübergreifende Aspekte bei der Ausführung von Leistungen durch ein Persönliches Budget” vom 01. November 2004, Stand 29. März 2005. Frankfurt/Main; BAR 2005 - verfügbar unter: www.bar-frankfurt.de (Stichwort: Trägerübergreifendes Persönliches Budget)
  • 2 Seiter H, Lohmann E. Das persönliche Budget: Ablösung des Sachleistungsprinzips durch das Geldleistungsprinzip? In: Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg): Tagungsband, 15. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium, 13. bis 15. März 2006 in Bayreuth.  DRV-Schriften. 2006;  (64) 319-320
  • 3 Bundesagentur für Arbeit .Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben - Persönliches Budget gem. § 17 SGB IX i. V. m. § 103 SGB III. Handlungsempfehlung/Geschäftsanweisung 06/2006 lfd. Nr. 03 vom 20.06.2006. Nürnberg; BA 2006 - verfügbar unter: www.arbeitsagentur.de/content/de_DE/hauptstelle/a-01/importierter_inhalt/pdf/Persoenliches_Budget_HE-GA_06_06_Nr.3.pdf
  • 4 Bartz E. BA-Handlungsempfehlungen zum Persönlichen Budget im Internet. Verfügbar unter: www.kobinet-nachrichten.org (Pfad: Archiv, Meldung vom 10.7.2006)
  • 5 Richtlinie für die Gewährung von Zuschüssen zu dem projektbezogenen Mehraufwand, der Leistungsträgern im Rahmen der Bewilligung von Persönlichen Budgets in der Modellphase entsteht, vom 7. April 2006. Bonn; BMAS 2006 - verfügbar unter: www.projekt-persoenliches-budget.de (Stichwort: Verwaltungsrichtlinie)
  • 6 Klie T, Siebert A. Integriertes Budget - die Verbindung von Pflegebudget und Persönlichen Budgets nach § 17 SGB IX.  Rechtsdienst der Lebenshilfe. 2006;  (2) 62-65

1 So z. B. - mit Zustimmung des Bundesrates - bei den Änderungen im Rahmen des Gesetzes zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht vom 21.3.2005.

2 Eine Übersicht über die gesetzlichen Grundlagen enthalten die Handlungsempfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation [1], vgl. dort die Seiten 49 ff.

Dr. Wolfgang Heine

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation (DEGEMED)

Fasanenstraße 5

10623 Berlin

Email: degemed@degemed.de

Bernd Giraud

Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR)

Walter-Kolb-Straße 9 - 11

60594 Frankfurt/Main

Email: bernd.giraud@bar-frankfurt.de

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