Zentralbl Chir 2005; 130(3): 189-190
DOI: 10.1055/s-2005-836530
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

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B. Luther1
  • 1Klinik für Gefäßchirurgie, vaskuläre und endovaskuläre Chirurgie, Klinikum Krefeld
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Publication Date:
20 June 2005 (online)

Das viszerale Ischämiesyndrom steht seit mehreren Jahren im Brennpunkt klinisch-wissenschaftlicher Diskussionen, seitdem die Rolle des Intestinums als Auslöser und Katalysator fataler septischer Krankheitsverläufe erkannt wurde. Zahlreiche unklare Langzeitbehandlungen auf Intensivstationen waren nur deshalb erforderlich, weil eine postoperative Reperfusion enteraler Gewebsabschnitte oder eine septisch hervorgerufene nicht okklusive Darmischämie zu einer Translokation von Bakterien und ihren Toxinen geführt hatte. Laborchemie, Bildgebung und selbst Obduktionen können diesen Prozess bisher nicht nachweisen.

Ärzte sollten also bei jedem unklaren Abdomen an eine mesenteriale Durchblutungsnot denken!

Aus den pathophysiologischen komplexen Mechanismen wird verständlich, warum das Krankheitsbild der akuten mesenterialen Ischämie (sprich Mesenterialinfarkt) so undulierend und verdeckt verläuft, so dass immer noch eine sehr hohe spontane und Behandlungsletalität resultiert. Um die Prognose zu verbessern, muss jedem Verdacht auf einen Mesenterialinfarkt notfallmäßig nachgegangen werden, wie etwa einem Herzinfarkt oder einem Apoplex. Dies unterstreicht die Schlüsselrolle des Hausarztes bei der Richtung vorgebenden Einweisung des Patienten und fordert zu konsequenter Notfalldiagnostik und Notfalltherapie auf. Auf diese Weise kann die Sterblichkeit der akuten mesenterialen Ischämie von derzeit vielerorts noch 90-100 % auf 40-50 % gesenkt werden.

Obgleich die moderne Bildgebung viele Verfahren anbietet, mit denen Durchblutungsstörungen der Viszeralarterien diagnostiziert werden können, bleibt die konventionelle Katheterangiographie in frontalem und seitlichem Strahlengang der „golden standard”, weil diese Methode zugleich interventionelle, fibrinolytische und pharmakologische Zusatztherapien ermöglicht. Zumindest können so eine Appositionsthrombose und damit das Ischämieausmaß begrenzt werden. Bei nicht okklusiven Ischämieformen wird sogar ein optimales Therapiekonzept verwirklicht. Darüber hinaus ist mit der intraarteriellen DSA eine subtile und sichere Operationsplanung möglich. Die heute häufige Umgehung dieser Methode zugunsten anderer weniger sensitiver und spezifischer, aber gewinnträchtigerer Verfahren ist eine der Hauptursachen, warum die mesenteriale Ischämie so spät, oft zu spät erkannt und behandelt wird, bedenke man doch, dass das therapeutische Zeitfenster nur wenige Stunden beträgt. So haben die Zentren, in welchen Gefäß- und Viszeralchirurgen innerhalb eines ischämischen Intervalls von 12 Stunden gemeinsam handeln können, die besten Ergebnisse.

Auch die chronische mesenteriale Ischämie stellt wegen des hohen Risikos einer akuten Verlaufsform ein Krankheitsbild mit therapeutischer Dringlichkeit dar. Verschleppungszeiten von über 30 Monaten sollten der Vergangenheit angehören. Parenterale Ernährungsformen und angioplastische Kathetertechniken bilden nur einen palliativen Therapieansatz und sind bisher lediglich geeignet, die bedrohliche Symptomatik vorübergehend zu lindern und die Operationsfähigkeit des Patienten herzustellen. Die chirurgische Gefäßrekonstruktion sollte sowohl den Truncus coeliacus als auch die A. mesenterica superior einbeziehen. Durchgesetzt haben sich antegrade Revaskularisationsverfahren beider Arterien. Bei guter Expertise beträgt die perioperative Letalität 1-2 %. Die Offenheit dieser Rekonstruktionen erreicht nach 1 Jahr noch über 80 %.

Im Bereich der Pfortaderchirurgie wetteifern konventionelle und interventionelle Therapiemethoden. Auch hier sind Erfahrung, Übung und konsequente Beherrschung der Komplikationen der Schlüssel zum Erfolg. Während die akute Pfortader- und Mesenterialvenenthrombose heute eine Domäne der Fibrinolyse via A. mesenterica superior sind, müssen relevante chronische Verschlussprozesse oftmals durch extraanatomische Shunts umgangen werden.

Ein gut studiertes Modell interventioneller Techniken ist die Einbringung von Drahtgerüsten (Schirmen, Filtern) in die V. cava. Zahlreiche Verlaufsformen zeigen eine hohe methodenimmanente Komplikationsrate, so dass die Indikation für diese Behandlungsform heute sehr streng gestellt werden muss.

Viele Aspekte der Durchblutungsstörungen in mesenterialen Gefäßen werden erst bei einer intensiven Diskussion deutlich. Es bleibt deshalb zu wünschen, dass auch zukünftig weitere wissenschaftliche Beiträge interdisziplinäres Interesse wecken und das Wissen um diese im Zeitalter von Arteriosklerose und höherer Lebenserwartung häufiger werdende Erkrankung mehren.

Prof. Dr. Dr. med. Bernd Luther

Prof. Dr. Dr. med. Bernd Luther

Direktor Klinik für Gefäßchirurgie · vaskuläre und endovaskuläre Chirurgie · Klinikum Krefeld

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47185 Krefeld

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