Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 26
DOI: 10.1055/s-2003-816429

Die beeinträchtigte interiktuale Baroreflexfunktion bei Patienten mit Temporallappenepilepsie beruht nicht auf einer primären Hirnstammschädigung

M Dütsch 1, O Devinsky 1, A Mauerer 1, B Neundörfer 1, MJ Hilz 1
  • 1Erlangen, New York

Unsere Arbeitsgruppe beschrieb kürzlich interiktuale Baroreflexdysfunktionen bei Patienten mit Temporallappenepilepsie. Die Mechanismen, die zur Störung der Baroreflexfunktion führen, sind unklar. Tierversuche lassen vermuten, dass interiktuale epileptische Aktivität selektiv die Funktion der den Baroreflex vermittelnden Neurone im Hirnstamm beeinträchtigt. Um dieses Konzept auch auf Patienten mit Temporallappenepilepsie übertragen zu können, muss in dieser Patientengruppe eine kardiovaskuläre Funktionsstörung im Bereich des Hirnstammes ausgeschlossen werden. Evaluierung von Hirnstamm-vermittelten kardiovaskulären autonomen Funktionen bei Patienten mit Temporallappenepilepsie. Wir untersuchten 16 Patienten (8 Frauen) mit Temporallappenepilepsie (unauffällige MRT-Befunde des Hirnstamms, häufige interiktuale epileptische Aktivität) und 16 alters- und geschlechtsentsprechende Kontrollpersonen. Wir zeichneten kontinuierlich Herzfrequenz, Blutdruck und Atmung in Ruhe auf. Mittels Spektralanalyse bestimmten wir die Herzfrequenz- und Blutdruck-Leistung im Frequenzbereich zwischen 0,04 und 0,15Hz (LF-Leistung). Der Low Frequency-Gain der Transferfunktion zwischen Blutdruck und Herzfrequenz wurde als Parameter der Baroreflexfunktion berechnet. Die kardiovaskuläre autonome Funktion des Hirnstamms wurde mittels metronomischen Atmens und Cold Face-Test bestimmt. Wir berechneten die E-I-Differenz und evaluierten die Herzfrequenzreaktion auf den Cold Face-Test. Der spontane Baroreflex-Gain war bei Patienten mit Temporallappenepilepsie (1,12±0,39 bpm/mmHg) im Vergleich zu den Kontrollpersonen (0,83±0,24 bpm/mmHg) erhöht (p<0,05). Die Ergebnisse der kardiovaskulären autonomen Reflextests unterschieden sich nicht zwischen Patienten und Kontrollpersonen (p>0,05). Die beeinträchtigte Baroreflexfunktion unserer Patienten beruht nicht auf einer strukturellen Hirnstammschädigung. Die intakten kardiovaskulären Reaktionen auf den metronomischen Atemtest und den Cold Face-Test – zwei Verfahren mit komplexen Regelkreisen, die den Hirnstamm involvieren – sprechen für eine intakte kardiovaskuläre Hirnstammfunktion unserer Patienten mit Temporallappenepilepsie. In Analogie zu den Ergebnissen aus Tierversuchen könnten auch bei Patienten mit Temporallappenepilepsie interiktuale epileptische Entladungen selektiv Baroreflex-vermittelnde Hirnstammneurone funktionell beeinträchtigen.