Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(49): 1415
DOI: 10.1055/s-2001-18882
Leserbriefe
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Beeinflusst die Misteltherapie die Abwehr epithelialer Tumoren?

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Publication Date:
06 December 2001 (online)

»Unabhängig von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung erscheint uns in Anbetracht der wissenschaftlichen Datenlage die Nutzen-Risiko-Bilanz für Krebspatienten negativ«. Zu diesem Urteil über die Anwendung von Mistelextrakten kommt das unabhängige arznei-telegramm (Heft 9/1999, S. 94) im Gegensatz zu den Autoren der Übersichtsarbeit in dieser Wochenschrift [8]. Warum wir diese in der DMW erschienene Übersicht für nicht ausgewogen halten, soll folgende kurzgefasste Auflistung aufzeigen:

1. Der geweckte Eindruck einer eindeutig positiven Korrelation von Immunparametern zu effektiver Tumorabwehr irritiert. In dieses Konzept lassen sich u. a. tumorfördernde Wirkungen von Immunfaktoren und Absinken der Inzidenz des Mammakarzinoms in Verbindung mit transplantationsbedingter Immunsuppression nicht einfügen (Literatur in [2-4]). Kritische Sichtung der Literatur unterstreicht, dass solche Darstellungen dazu dienen können, »unberechtigte Hoffnungen zu wecken« [6].

2. Lektinbezogene Extraktanwendung ist eine relativ neue experimentelle Variante der Misteltherapie. Der Rückverweis auf langjährige Erfahrung mit nicht-standardisierten Extrakten ohne Angabe des Wirkstoffgehaltes ist als Beweis für Unbedenklichkeit nicht schlüssig. Das folgende Zitat aus der jüngst um diesen Aspekt ergänzten Fachinformation Lektinol® der Fa. Madaus bestätigt unsere diesbezüglich wiederholt geäußerten Bedenken sinn- und z. T. sogar wortgleich: »Bei Tumorerkrankungen des hämatologischen und lymphatischen Systems sowie bei immunogenen Tumoren (z. B. Nierenzellkarzinom, malignes Melanom) sollte eine Anwendung nur nach ärztlicher Empfehlung und unter engmaschiger Kontrolle erfolgen, da hierzu noch keine ausreichenden klinischen Daten vorliegen«. Wir sehen keinen Grund, warum dieser Hinweis z. Zt. nicht auch für solche anthroposophischen Präparate gelten sollte, die entgegen der Menschen- und Naturerkenntnis R. Steiners, der rechtlichen Voraussetzung für ihre Marktfähigkeit, auf den materiellen Wirkstoff Lektin standardisiert sind. Die Wirkebene dieser Präparate im Gegensatz zur anthroposophischen Lehre von Astral- und Ätherleib in den Bereich von Immunfaktoren zu verlegen (siehe o. g. Übersicht) stellt ihre arzneirechtliche Einstufung als Anthroposophika mit wesentlich erleichterten Prüfungsbedingungen aus unserer Sicht in Frage.

3. Im Zusammenhang mit einer Tierstudie (Zitat 30) sprechen die Autoren korrekt die Erhöhung der Tumorgröße (P = 0,02) in der Behandlungsgruppe an, »während die Inzidenz deutlich aber nicht signifikant geringer war«. Diese Aussage ist nicht korrekt. Im Abstract der zitierten Arbeit steht: »The differences of tumor incidences did not reach the level of statistical significance, neither after an experimental duration of 6 (P = 0.88) nor of 15 months (P = 0.71)«. Zwei weitere Tierstudien bestätigen das Fehlen einer protektiven Wirkung der Lektinbehandlung nach Induktion von Harnblasentumoren und auch das Risikopotenzial der Behandlung in diesem Tiermodell (Gesamtzahl der Ratten: 700) (Literatur in [2-4]). Ist die hingegen als Hinweis auf Wirksamkeit genannte Tierstudie von Kuttan und Mitarbeitern (Zitat 31) relevant? Rechnet man die pro Maus benutzte (toxische) Dosis um, so müssten für einen Patienten pro Behandlung ca. 2 Liter Mistelextrakt intraperitoneal verabreicht werden (siehe hierzu Diskussion auf S. 2110 - 4 in [2]).

4. Während der Drucklegung der o. g. Übersicht sind zwei Artikel publiziert, die für die besprochene Problematik und aktuelle Diskussion von Interesse sind: fehlender Einfluss der Mistelbehandlung auf die Lebensqualität in einer kontrollierten klinischen Studie [7] und Nachweis der Stimulation menschlicher Tumorzellen (Linien und Explantate) durch Lektinbehandlung im klinisch empfohlenen Niedrigdosisbereich [1].

Literatur

  • 1 Gabius H -J, Darro F, Remmelink M, André S, Kopitz J, Danguy A, Gabius S, Salmon I, Kiss R. Evidence for stimulation of tumor proliferation in cell lines and histotypic cultures by clinically relevant low doses of the galactoside-specific mistletoe lectin, a component of proprietary extracts.  Cancer Invest. 2001;  19 114-126
  • 2 Gabius S, Gabius H -J. Mistelextrakte in der Krebstherapie.  Pharm Ztg. 1998;  43 2101-2117
  • 3 Gabius S, Gabius H -J. Immunmodulierende Misteltherapie durch Lektinstandardisierung: ein zweischneidiges Schwert?.  Versicherungsmedizin. 1999;  51 128-136 und 2000; 52 : 38 - 40
  • 4 Rüdiger H, Gabius S, Gabius H -J. Neues aus der Lektinologie.  Dtsch Apoth Ztg. 2000;  140 1963-1976
  • 5 Sauer H. Unter welchen Bedingungen ist ein individueller Heilversuch vertretbar?. Zuckschwerdt Verlag, München In: Akt. Onkologie, Vol. 109 (Hrsg. L. Schmid, W. Wilmanns) 2000: 175-185
  • 6 Sauer H. Analyse des Immunstatus bei Patienten mit soliden Tumoren: Klinische Relevanz?.  Münch Med Wochenschr. 1996;  138 159
  • 7 Steuer-Vogt M K, Bonkowsky V, Ambrosch P, Scholz M, Neiß A, Strutz J, Hennig M, Lenarz T, Arnold W. The effect of an adjuvant mistletoe treatment programme in resected head and neck cancer patients: a randomised controlled clinical trial.  Eur J Cancer. 2001;  37 23-31
  • 8 Berg P A, Stein G M. Beeinflusst die Misteltherapie die Abwehr epithelialer Tumoren? Eine kritische Stellungnahme.  Dtsch Med Wochenschr. 2001;  126 339-345

Dr. med. S. Gabius

Onkologische Schwerpunktpraxis

Sternstraße 12

83022 Rosenheim

Univ.-Prof. Dr. H.-J. Gabius

Institut für Physiologische Chemie, Tierärztliche Fakultät, Ludwig-Maximilians-Universität

Veterinärstr. 13

80539 München

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