Psychother Psychosom Med Psychol 2018; 68(08): e55
DOI: 10.1055/s-0038-1668022
POSTER
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wirkungen der gemeinschaftlichen Selbsthilfe

C Kofahl
1   Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Medizinische Soziologie, Hamburg, Deutschland
,
M Haack
2   Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover, Deutschland
,
S Nickel
1   Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Medizinische Soziologie, Hamburg, Deutschland
,
S Werner
1   Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Medizinische Soziologie, Hamburg, Deutschland
,
G Seidel
2   Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover, Deutschland
,
O von dem Knesebeck
1   Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Medizinische Soziologie, Hamburg, Deutschland
,
ML Dierks
2   Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover, Deutschland
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Publication History

Publication Date:
06 August 2018 (online)

 

Einleitung:

In Deutschland engagieren bis zu 3,5 Millionen Menschen in überwiegend gesundheitsbezogenen Selbsthilfeorganisationen und/oder ca. 100.000 Selbsthilfegruppen (SHG).

Material & Methoden:

Im dritten Modul der BMG-finanzierten Studie „Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland – SHILD“ (11/2012 – 06/2018) wurden 3.163 Patienten in vier Indikationsgebieten und Angehörige von Demenzkranken innerhalb und außerhalb von SHG daraufhin untersucht, welche Wirkungen die Selbsthilfebeteiligung erzielt. In postalischen und Online-Erhebungen wurden u.a. Skalen zu Selbstmanagement, krankheitsbezogenem Wissen und indikationsspezifischer Lebensqualität eingesetzt.

Ergebnisse:

Im Vergleich mit Betroffenen ohne Selbsthilfeerfahrung haben SHG-Mitglieder eine höhere Gesundheitskompetenz und ein adäquateres Selbstmanagement sowie mehr Wissen über ihre Erkrankung als Nichtmitglieder. Die Effektstärken sind gering bis moderat, wobei diese zwischen den Indikationen variieren. In der gesundheitsbezogenen Lebensqualität zeigten sich keine Unterschiede. Die bedeutsamsten Wirkungen liegen in den Bereichen Teilhabe und psychosoziale Entlastung. Negative Erfahrungen sind in der Regel gruppendynamischer Natur oder verspürte Belastungen durch das Leid der jeweils anderen SHG-Mitglieder. Neben Immobilität oder Gruppenauflösungen, aber im positiven Sinne auch wegen Befriedigung ihres Anliegens, sind dies die wesentlichen Gründe von SHG-Mitgliedern, ihre Gruppe wieder zu verlassen.

Darüber hinaus zeigte sich bei den SHG-Mitgliedern im Vergleich zu den Nichtmitgliedern eine längere Krankheitsdauer und stärke Belastungen durch Komorbidität, Behinderungen und Schweregrad der Erkrankung. Betroffene suchen SHG häufig erst dann auf, wenn die Alltagseinschränkungen zunehmen und die professionelle Versorgung ihnen keine ausreichende Entlastung und Hilfe mehr bringt.

Diskussion:

SHG erzielen bei bestehender Passung in der Inanspruchnahme vielfältige positive psychosoziale und edukative Wirkungen.

Schlussfolgerung:

Eine systematischere Integration des Selbsthilfesystems in die bestehenden professionellen Versorgungsstrukturen erhöht betroffenenseitig die Chance auf ein besseres Selbstmanagement und die Steigerung der Gesundheitskompetenz. Mit dem bereits existierenden Konzept der Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen liegen strukturierte und systematische Ansätze der Patientenbeteiligung auf der Meso-Ebene der Patientenversorgung vor. Dieses Konzept sollte stärker umgesetzt werden.