Psychother Psychosom Med Psychol 2018; 68(08): e22
DOI: 10.1055/s-0038-1667928
SYMPOSIEN
Arbeit & Gesundheit
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Lieber krank und arbeitslos als nur arbeitslos? – Auswirkungen von Medikalisierung auf Stigmatisierungsprozesse arbeitsloser Personen

P Linden
1   Universität Siegen, Soziologie der Gesundheit und des Gesundheitssystems, Siegen, Deutschland
,
N Reibling
1   Universität Siegen, Soziologie der Gesundheit und des Gesundheitssystems, Siegen, Deutschland
,
S Krayter
1   Universität Siegen, Soziologie der Gesundheit und des Gesundheitssystems, Siegen, Deutschland
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Publication History

Publication Date:
06 August 2018 (online)

 

Einleitung:

Steigende Antragsquoten für Erwerbsminderungsrenten deuten darauf hin, dass Arbeitslosigkeit in Deutschland zunehmend medikalisiert, also in medizinischen Kategorien verstanden wird. Zudem ist der vermeintlich „inferiore“ Status von Betroffenen dabei immer stärker mit Stigmatisierungsprozessen verbunden. So zeigen vorliegende Studien, dass arbeitslose Personen sich häufig Diskriminierungen ausgesetzt sehen und Verhaltensweisen vermeiden, die negative Assoziationen bestätigen würden. Gesundheitliche Einschränkungen können hierbei einen Ausweg bieten, da sie gesellschaftlich hoch angesehen sind und zudem institutionell die Möglichkeit bieten, einen Leistungsbezug mit einer vorübergehenden oder dauerhaften Befreiung von der Aufnahme einer Beschäftigung zu verknüpfen. Hilft die Befreiung damit also arbeitslosen Personen bei der Bewältigung gesundheitlicher Beschwerden? Oder trägt sie zu deren Chronifizierung bei, weil sie Stigmatisierungen weniger wahrscheinlich macht und die Aneignung einer Krankheitsrolle legitimiert?

Material & Methoden:

Die vorliegende Studie verwendet Daten aus Welle 7 (2013) des Panels „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS), welches repräsentative Informationen für 4.306 Haushalte im SGB-II-Bezug bereitstellt. Die Analysen beruhen auf multivariaten OLS-Regressionen der Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitssuche aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen auf die wahrgenommene Stigmatisierung von arbeitslosen Personen unter Kontrolle des Gesundheitszustands.

Ergebnisse:

Ca. 20% der Befragten sind, unabhängig vom Geschlecht, aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen von der verpflichtenden Arbeitssuche freigestellt. Die Freistellung zeigt zudem eine stark negativ signifikante Assoziation mit wahrgenommener Stigmatisierung, vor allem bei Männern, während zunehmende seelische Probleme die Stigmatisierung bei beiden Geschlechtern erhöhen. Zudem haben sowohl der subjektiv eingeschätzte Gesundheitszustand als auch Alter, Bildung und Familienstand keinen Einfluss auf die wahrgenommene Stigmatisierung.

Diskussion & Schlussfolgerung:

Die Medikalisierung der eigenen Arbeitslosigkeit stellt damit zunächst eine Entlastung für die Betroffenen dar. Weitere Längsschnittanalysen sollen sowohl Aufschluss darüber geben, welche konkreten Faktoren zu einer Freistellung geführt haben und inwiefern die Befreiung einen Einfluss auf den weiteren Gesundheitszustand ausübt.