Gesundheitswesen 2016; 78 - A3
DOI: 10.1055/s-0036-1586513

Zugang und Inanspruchnahme: Wie erleben AsylbewerberInnen und Geduldete in Sachsen-Anhalt die medizinische Versorgung?

N Ladebeck 1, M Kleinke 1, BP Robra 1, A Spura 1
  • 1Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Hintergrund: Über den Gesundheitszustand von AsylbewerberInnen und Geduldeten, deren Orientierung im Gesundheitssystem sowie Informationen über Zugänge und Inanspruchnahmen aus ihrer Perspektive, gibt es derzeit noch wenig belastbare Informationen. Ziel ist es deshalb, Erfahrungen mit medizinischer Versorgung in Sachsen-Anhalt aus der Perspektive der Asylsuchenden zu erfassen.

Studiendesign: Im Zeitraum August-November 2015 wurden in einer explorativen qualitativen Interviewstudie insgesamt 16 Interviews (männlich = 9, weiblich = 7) mit Personen, deren gesundheitliche Versorgung im Asylbewerberleistungsgesetz geregelt und insoweit eingeschränkt ist, realisiert. Die Befragten stammen aus aktuell relevanten Herkunftsregionen (Syrien, Albanien, dem Westen und Nordosten Afrikas, Türkei, Indien) der Asylsuchenden in Deutschland. Die dolmetscherunterstützten Leitfadeninterviews wurden mit einer inhaltsanalytischen Globalauswertung [1] erschlossen.

Ergebnisse: Das geschilderte vielfältige Beschwerde- und Belastungsspektrum unterscheidet sich – außer in der spezifischen psychosozialen Belastungslage – nicht maßgeblich von der Wohnbevölkerung Sachsen-Anhalts. Der zentrale Zugangsweg aller Befragten beginnt über die zuständige Sozialbehörde (Ausstellung eines Behandlungsscheins) im ambulanten Sektor. Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist im Erleben der meisten befragten Asylsuchenden sehr hürdenreich, bürokratisch-ineffizient und entmündigend und ist durch sprachliche und kulturelle Verständigungsschwierigkeiten sehr herausfordernd. Die Erfahrungen und die subjektive Gesundheit sind maßgeblich dadurch beeinflusst, wie die Gewährungspraxis durch die „Krankenscheinbürokratie“ der Sozialbehörde zuvor erlebt wurde. Die Gewährungspraktiken sind je Landkreis verschieden und die Entscheidungsgrundlagen erscheinen den InformantInnen intransparent.

Fazit: Die Befragten wünschen sich einen bessere Aufklärung und mehr Transparenz. Der Abbau der „Krankenscheinbürokratie“ durch landesweit einheitliche Regelungen bis hin zur Einführung der Gesundheitskarte für Asylsuchende kann aus der Perspektive von Asylsuchenden eine Erleichterung für den Zugang zu und die Inanspruchnahme von medizinischer Versorgung bewirken. Die Einführung der Gesundheitskarte würde auch die Entscheidungskompetenzen zur medizinischen Indikationsstellung aus der Sozialbehörde in das Medizinsystem rückübertragen. DolmetscherInnen, auch per Telefon, können eine Unterstützung in der Behandlungssituation darstellen. Referenzen beim Verfasser.