Geburtshilfe Frauenheilkd 2016; 76 - A11
DOI: 10.1055/s-0036-1571408

Kolposkopie ohne Menschlichkeit?! Hinselmann und die Versuche an Frauen in Auschwitz

J Hübner 1
  • 1Hamburg

Nicht Schuldzuweisung an den Einzelnen, sondern exemplarische Darstellung des Verhaltens und der Ambitionen innerhalb einer spezifischen ärztlichen Berufsgruppe – hier von Gynäkologen – sind Inhalte einer Recherche zum Thema Kolposkopie-Versuche in Auschwitz Block 10.

1994 hatten die Fachgesellschaft der Gynäkologen (DGGG) sowie der Psychiater, Psychotherapeuten und Neurologen (DGPPN) im Rahmen ihrer Jahrestagungen die Zeit des Nationalsozialismus thematisiert. Als Ergebnis der Debatte haben sich die Vertreter der jeweiligen Standesorganisation bei den betroffenen Opfern der Zwangssterilisation und Zwangsabtreibung für das ihnen angetane Unrecht entschuldigt.

Spätere sozialmedizinische Analysen zeigen, dass die aus gynäkologischer Sicht gesunden „zu sterilisierenden“ Frauen als „Forschungseinheit“ für weitere gynäkologische Experimente zur Verfügung standen. Am Beispiel der Kolposkopie-Versuche in Auschwitz werden dieser Kontext und der Bezug zur medizinischen Forschung in der NS-Krebsbekämpfung fokussiert. Die Leiden und Verstümmelungen der betroffenen Frauen spiegeln eine brutale „Verwertungsmaschinerie“ und sind durch deren Aussagen und das Zeugnis der Häftlingsärztinnen ausführlich dokumentiert. Keiner der in die Kolposkopie-Experimente involvierten Ärzte, insbesondere Prof. Hans Hinselmann, Dr. med. Helmut Wirths und der ausführende Standortarzt von Auschwitz Dr. med. Eduard Wirths konnte dafür juristisch zu „Verbrechen an der Menschlichkeit“ belangt werden. Für den Verbleib der entsprechenden „Originalarbeit“ mit dem im Rahmen der Strafermittlung gegen Prof. Carl Clauberg 1955 bezeugten Titel: „Carcinom: Die Geißel der Frauen der Welt ist heilbar“ gibt es jedoch neue Indizien.

Speziell die Entwicklungen an der Frauenklinik Altona/Hamburg zwischen 1933 und 1943 unter der Ägide von Hans Hinselmann, die zu den Forschungsexperimenten in Auschwitz/Stammlager führten, waren bis 2015 unzureichend aufgearbeitet. Im Zentrum standen sowohl der Aufbau von prophylaktischen Reihenuntersuchungen an Frauen zur Frühdiagnostik des „Collumkarzinoms“ unter „staatlicher Führung“ als auch die rein technische Entwicklung des Kolposkops und der Dokumentationsinstrumente.

Für die Rekonstruktion der Abläufe während der NS-Zeit wurden Personalakten, Sitzungsprotokolle, Briefwechsel, Archiv- und medizinisches Zeitschriftenmaterial aus den Jahren 1933 bis 1959 umfangreich und neu inspiziert.