Suchttherapie 2015; 16 - S_45_01
DOI: 10.1055/s-0035-1557671

Sucht oder Impulskontrollstörung? Vergleich von DSM und ICD in der Diagnostik Pathologischen Glücksspielens

HJ Rumpf 1, A Bischof 1, C Meyer 2, U John 2, K Mann 3
  • 1Universität Lübeck
  • 2Universitätsmedizin Greifswald
  • 3ZI Mannheim

Einleitung: Die Diagnostik des Pathologischen Glücksspielens erfolgte im DSM-IV mittels 10 Kriterien, von denen 5 vorliegen mussten. Im DSM-5 wurde ein Kriterium herausgenommen und der polythetische Ansatz erfordert nun 4 von 9 Kriterien. In der ICD-10 (Forschungskriterien) müssen in einem monothetischen Ansatz alle vier beschriebenen Kriterien vorliegen. Für die ICD-11 werden nur leicht abgeänderte Kriterien vorgeschlagen. Während im DSM-5 Pathologisches Glücksspielen von den Impulskontrollstörungen zu den Suchterkrankungen verschoben wurde, verbleibt nach jetziger Planung die Diagnose in der ICD-11 bei den Impulskontrollstörungen. Dieser Beitrag vergleicht die Ansätze von DSM und ICD auf Basis einer großen weitgehend bevölkerungsbasierten Stichprobe und zeigt auf, welche Anteile der Gesamtpopulation der Pathologischen Glücksspieler unter Umständen bei den verschiedenen diagnostischen Vorgehensweisen unerkannt bleiben. Die Befunde sind im Rahmen der Feldstudien für das ICD-11 von Bedeutung.

Methoden: Die Daten entstammen der Studie „Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie“ (PAGE). Hier wurden über eine repräsentative Bevölkerungsstichprobe Pathologische Glücksspieler identifiziert. Ergänzend wurden Selbstmelder über Presseaufrufe und Werbung in Suchtberatungsstellen, Selbsthilfeeinrichtungen, Schuldnerberatungsstellen und Bewährungshilfe sowie Patienten aus Behandlungseinrichtungen rekrutiert. Insgesamt stehen Daten von 594 Probanden zur Verfügung, die mindestens ein Kriterium für Pathologisches Glücksspielen erfüllten und von denen 444 die Diagnose nach DSM-IV erfüllten. Die Diagnostik erfolgte für das Pathologische Glücksspielen mithilfe des Composite International Diagnostic Interview (CIDI).

Ergebnisse: Vergleicht man die Resultate auf Basis der ICD-10-Diagnostik mit denen nach DSM-IV so ergibt sich, dass von 447 Fällen, die in mindestens einem der beiden Systeme diagnostisch positiv sind, 260 (58,2%) von beiden erkannt werden, 3 (0,7%) nur von ICD-10 und 184 (41,2%) nur von DSM-IV. Die Rate der mit DSM-IV und ebenfalls von der ICD-10 als Pathologische Glücksspieler identifizierten Personen ist insbesondere in der Allgemeinbevölkerungsstichprobe mit 20,6% niedrig und erreicht selbst bei der Teilstichprobe aus Kliniken nur 79,6%.

Diskussion: Die Diagnostik Pathologischen Glücksspielens als Impulskontrollstörung in der ICD-10 identifiziert einen hohen Anteil der in DSM-IV Klassifizierten nicht. Das liegt wahrscheinlich zum einen am Fehlen einer Reihe nur im DSM aufgenommener Kriterien (Toleranz, Entzug, Chasing etc.), wie auch am monothetischen Ansatz. Der derzeitige Vorschlag für die ICD-11 weicht nicht deutlich von ICD-10 ab und enthält noch keine klare kriterienbasierte Instruktion für die Diagnostik. Erwartbar ist zum jetzigen Zeitpunkt, dass jedoch auch hier ein hoher Anteil nicht diagnostiziert wird. Die Aufnahme von weiteren Kriterien und ein polythetischer Ansatz wären notwendig. Dies ist für die Entscheidungen bezüglich der Diagnostik Pathologischen Glücksspielens in der ICD-11 von hoher Relevanz.