Gesundheitswesen 2014; 76 - A158
DOI: 10.1055/s-0034-1387008

Individuelle Unterstützung pflegender Angehöriger bei Demenz: das Erlanger Demenz Register (EDR)

S Schaller 1, V Marinova-Schmidt 1, J Gobin 1, K Luttenberger 2, T Richter-Schmidinger 3, E Gräßel 2, JM Maler 3, J Kornhuber 3, P Kolominsky-Rabas 1
  • 1Interdisziplinäres Zentrum für Health Technology Assessment (HTA) und Public Health der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (IZPH), Erlangen
  • 2Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung, Psychiatrische und Psychotherapeutische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
  • 3Psychiatrische und Psychotherapeutische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Hintergrund: In Deutschland leben gegenwärtig mehr als 1,4 Millionen Personen mit Demenz, jährlich treten ca. 300.000 Neuerkrankungen auf. Bis zum Jahr 2050 gehen Schätzungen von 3 Millionen Demenzerkrankten aus [1]. Zwei Drittel der Demenzerkrankten werden im häuslichen Umfeld, meist von pflegenden Angehörigen betreut und versorgt. Eine sehr hohe Pflegebelastung pflegender Angehöriger bei Demenz wird in zahlreichen Studien belegt („invisible second patient“) [2 – 4] und ist zudem ein Prädiktor für Institutionalisierung [5]. Zur Prävention der Pflegebelastung sind vor allem Maßnahmen, welche die individuelle Situation des pflegenden Angehörigen adressieren effektiv. Ziel dieser Arbeit ist die Darstellung der individuellen Bedürfnisse pflegender Angehöriger von Demenzpatienten.

Methodik: Im Erlanger Demenz Register (EDR) werden seit 2013 erstdiagnostizierte Demenzpatienten (ICD-10) sowie pflegende Angehörige zur individuellen Versorgungssituation befragt. Insgesamt wurden im EDR im Zeitraum 2013 bis 2014 Daten von 50 Demenzpatienten und 45 pflegenden Angehörigen erhoben. Für die systematische Erhebung zur Identifizierung von Problembereichen und individuellen Bedürfnissen wurde das Erhebungsinstrument „Carers' Needs Assessment for Dementia (CNA-D)“ eingesetzt [6]. Darin werden insgesamt 20 Problembereiche erfasst. Ein weiteres Ziel ist die Bedarfsermittlung in den entsprechenden Problembereichen sowie die Frage nach der Nutzung und dem Wunsch an entsprechenden Hilfsangeboten.

Ergebnisse: Das durchschnittliche Alter der pflegende Angehörigen beträgt 64 Jahre (SD= 14,2). Mehr als die Hälfte (60%) der Pflegenden sind weiblich. Es handelt sich vorwiegend um Partner (73%) und Kinder (20%) wobei knapp zwei Drittel (62%) der pflegenden Angehörigen mit dem Demenzpatienten zusammen im gleichen Haushalt wohnen. Darunter gehen 24% einer Voll- oder Teilzeiterwerbstätigkeit nach. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung gab bereits ein Viertel oder mehr der Angehörigen mittelschwere bzw. ausgeprägte Probleme in folgenden Bereichen an: Sorgen über den Krankheitsverlauf (40%), zu wenig Zeit für sich selbst (27%), Überforderung (27%), fehlende Informationen über Behandlung (24%), Übernahme rechtlicher Aufgaben (24%), herausfordernde Verhaltensweisen (24%). Dabei sind ein Drittel der Befragten nicht mit dem Ausmaß und der Art der bisherigen Hilfen in den jeweiligen Bereich zufrieden. Ein Bedarf an Hilfen wurde insbesondere für folgende Hilfsangebote postuliert: Informationsmaterial, Informationen durch Arzt oder Experten, Angehörigengruppen, stundenweise Beaufsichtigung durch geschultes Personal/Tagespflege.

Diskussion: Unsere Ergebnisse belegen, dass bei einem signifikanten Anteil pflegender Angehöriger von Demenzpatienten bereits zum Zeitpunkt des Krankheitsbeginns/der ersten Diagnosestellung spezifische Probleme und nicht erfüllte Bedürfnisse vorliegen. Dieser Bedarf ist nicht immer gedeckt; das Vorliegen eines Bedarfs an spezifischen Hilfsangeboten konnte aufgezeigt werden. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit, Belastungen pflegender Angehöriger bereits zum Zeitpunkt des Krankheitsbeginns/der ersten Diagnosestellung gezielt und präventiv vorzubeugen, um Angehörige zu unterstützen. In diesem Zusammenhang wird empfohlen, über existierende sowie geplante Maßnahmen zur Angehörigenunterstützung bei Demenz frühzeitig zu informieren. Bereits präventiv ansetzende Angebote spielen hierbei eine zentrale Rolle.

Zu beachten ist, dass sich Bedürfnisse und Lebenssituationen (Erwerbstätigkeit, Wohnsituation) pflegender Angehöriger von Demenzpatienten über den Krankheitsverlauf hinweg verändern. Um diesen Fragestellungen zu begegnen können (neben der durchgeführten Querschnittsuntersuchung) zukünftig vorliegende Längsschnittdaten des Erlanger Demenz Registers Aufschluss geben.

Förderhinweis: Das Forschungsvorhaben wird von der Europäischen Kommission im 7. Rahmenprogramm (FP7) gefördert (Förderkennzeichen: ID 287509).