Suchttherapie 2013; 14 - A1
DOI: 10.1055/s-0033-1357740

25 Jahre Substitutionsbehandlung in der BRD

J Gölz 1
  • 1Praxiszentrum Kaiserdamm, Berlin

In den 70er Jahren begann in der BRD eine wachsende Anzahl von Jugendlichen Heroin zu injizieren. Das einzige zugelassene Therapieangebot war stationärer Entzug und stationäre Abstinenztherapie. Trotz der sehr hohen Rückfallquoten bei dieser Behandlung wurde diese therapeutische Monokultur nie in Frage gestellt. In den 60er Jahren hatten Dole und Nyswander in den USA als therapeutische Alternative die Methadonsubstitution von Heroinabhängigen erprobt und damit überraschend gute medizinische und soziale Ergebnisse erzielt. Im Rahmen der extremen gesellschaftlichen Diskriminierung und Pönalisierung der Heroinabhängigen gab es keine Initiativen nach therapeutischen Alternativen zu suchen. Eine Substitution mit Opiaten widersprach darüber hinaus dem strengen Drogenkontrollprogramm, das die USA als Siegermacht nach dem zweiten Weltkrieg in den Westzonen eingeführt hatte und das auch nach der Wiedervereinigung kritiklos übernommen wurde. Dennoch begannen Mitte der 80er Jahre zunächst niedergelassene Hausärzte in den Problemzonen der großstädtischen Ballungsgebiete Heroinabhängige mit der Verschreibung von Codein zu entkriminalisieren und sozial zu integrieren. Dies fand damals unter dem heftigen Widerstand der Ärzteverbände und der Politiker aller Parteien statt. Die Verordnung von Opiaten an Opiatabhängige war nach der damaligen Rechtsprechung strafbar. Die Situation wurde noch dadurch verschärft, dass sich ab 1982 immer mehr Heroinabhängige mit HIV infiziert hatten und die abstinenzorientierten Kliniken diese Patienten nicht aufnehmen wollten. Damit war eine schwer erkrankte Personengruppe ohne medizinische Versorgung. Immer mehr niedergelassene Ärzte substituierten daraufhin HIV-infizierte IVDU mit Codein oder L-Methadon und verstießen gegen das geltende Betäubungsmittelrecht. Um diesen massenweisen Verstoß der Ärzteschaft nicht zum öffentlichen Skandal werden zu lassen, beschloss am 27.03.1987 eine Sonderkonferenz der Gesundheitsminister der Bundesländer die Zulassung einer einzelfallbezogenen Substitutionsbehandlung bei fünf Indikationen: bei lebensbedrohlichem Entzug, bei Schwangeren, bei opioidpflichtigen Schmerzzuständen, bei schweren Erkrankungen und bei AIDS.

In den folgenden Jahren wurden die Indikationen ständig erweitert bis dann endlich 2003 die Heroinabhängigkeit alleine eine Indikation zur Substitution darstellte. 1987 wurden die ersten Richtlinien zur Substitution durch die Bundesärztekammer veröffentlicht, das Betäubungsmittelrecht wurde um die Substitutionsparagraphen erweitert und am 04.12.1990 wurden die NUB-Richtlinien zur Substitution veröffentlicht, womit die Bezahlung dieser Behandlung durch die Krankenkassen geregelt wurde. Im April 1993 waren schon 4.500 Heroinabhängige bei 1.700 niedergelassenen Ärzten in Substitution. Der überwiegende Teil dieser Ärzte hatte keine suchtmedizinische Qualifikation und wurde in rasch installierten Fortbildungsveranstaltungen qualifiziert. Wegen der Regelungen durch Ärztekammern, KVen, NUB-Richtlinien und BtM-rechtlichen Vorschriften entstand rund um die Substitutionsbehandlungen für den behandelnden Arzt ein ständig wachsender bürokratischer Aufwand und ein ständiges Anwachsen kontrollierender Instanzen. Bei keiner anderen Erkrankung müssen so viele Meldungen und Therapieberichte abgeliefert werden.

Zwar wurde zwischen 1987 und 1990 auf Länderebene in Modellversuchen die Wirksamkeit der Substitutionsbehandlung bewiesen und die Bundesärztekammer veröffentlichte Richtlinien zur Opiatsubstitution, sodass dies jetzt eine offizielle Therapieform geworden war. Der nationale Rauschgiftbekämpfungsplan von 1990 jedoch setzte weiterhin ausschließlich auf Repression, Prävention und Abstinenztherapie. Diese fortdauernde politische Einmischung in ein medizinisches Sachgebiet zwang die substituierenden Ärzte dann 1991 zu ihrem organisierten Zusammenschluss: Die Deutsche Gesellschaft für Drogen- und Suchtmedizin (DGDS e.V.) wurde gegründet. 1999 wurde sie in Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS e.V.) umbenannt. Sie ist heute der mitgliederstärkste Verband der deutschen Suchtmedizin. Die DGS organisiert jährlich einen suchtmedizinischen Kongress. Die Vorstandsmitglieder arbeiten in mehreren nationalen und internationalen suchtpolitischen Institutionen mit. Sie geben drei suchtmedizinische Zeitschriften heraus und entwickeln Richtlinien für den Praxisalltag. Viele Mitglieder der DGS haben die beiden großen deutschen Verlaufsstudien zur Opiatsubstitution (COBRA, PREMOS) mitgestaltet. Ebenso die Erprobung zur Einführung der Heroinsubstitution. Der Vorstand hat daneben dauerhaft Kontakt zu den suchtpolitischen Spezialisten der großen Parteien.

Heute sind etwa 75.000 Drogenabhängige bei 2.700 Ärzten in Substitutionsbehandlung. Diese Therapieform der Heroinabhängigkeit ist damit zum medizinischen Standard geworden. Der Substitutionstherapie sind zwei einschneidende Erfolge zuzuordnen: einmal die Reduktion der jährlichen heroinbedingten Todesfälle von 2.500 auf 900. Daneben ist die Bundesrepublik eines der wenigen Länder auf der Welt, die eine extrem niedrige Neuinfektionsrate mit HIV bei IVDU aufweist: seit 13 Jahren nicht mehr als 150 – 250 neue HIV-Infektionen bei 150.000 aktiv Heroinabhängigen. Da alle noch lebenden 8.000 HIV-infizierten IVDU in Substitutionsbehandlung sind, können sie niemanden auf der Drogenszene anstecken. Das erfolgreiche deutsche Modell der HIV-Prävention bei IVDU wird zurzeit durch mehrere DGS-Mitglieder in Nepal etabliert. Mehrere asiatische Länder wollen dieser Initiative folgen. Der Geburtsfehler der Substitutionsbehandlung ist bis heute nicht beseitigt. Die therapeutische Praxis wird in hohem Maße von den prohibitiven Kontrollbedürfnissen gestaltet und nicht von den Erfordernissen eines meist langjährigen Arzt-Patientenverhältnisses. Alle Versuche, die strenge Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs zu lockern, sind bis auf wenige kleine Ausnahmen bisher im Bundesrat gescheitert. Das Verhältnis von Arzt und Patient ist durch groteske Strafandrohungen und Bevormundungen pervertiert. So kann z.B. ein Arzt auch nach 20-jähriger Behandlung eines Substituierten nicht selbst entscheiden, für welchen Zeitraum er dem Patienten das Substitut aushändigt. Dieser Übergriff der Prohibition in den Behandlungsalltag führt dazu, dass immer weniger junge Kollegen bereit sind, diese Therapie durchzuführen. Immer mehr Praxisinhaber müssen beim Verkauf ihrer Praxis zuerst die Substitutionspatienten abgeben, damit ihre Praxis überhaupt von einem Nachfolger übernommen wird. Die DGS arbeitet ständig an politischen Initiativen zur Vereinfachung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften und gegen die gut organisierte Apothekerlobby, die das Dispensierrecht für Medikamente alleine für sich beansprucht und dadurch einen grotesken Aufwand bei der Vergabe des Methadons verursacht. Es bleibt zu hoffen, dass mit dem internationalen Umdenken in Bezug auf die gescheiterten Prohibitionsbemühungen auch der therapiestörende Kontrollapparat bei der Substitutionsbehandlung langsam wieder abgebaut wird.