Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P34
DOI: 10.1055/s-0033-1337175

Interhemisphärische Inhibition (IHI) bei Musikern und ihr Einfluss auf den Lernprozess in bimanuellen motorischen Aufgaben

H Vollmann 1, CJ Steele 1, V Conde 1, J Claßen 1, A Villringer 1, P Ragert 1
  • 1Universität Leipzig, Klinik für Neurologie, Leipzig, Deutschland

Einleitung: Motorisches Lernen ist in einem Netzwerk unterschiedlicher kortikaler und subkortikaler Strukturen organisiert. Zwischen beiden Motorcortices bestehen bahnende und hemmende Verbindungen, die elektrophysiologisch mittels transkranieller Magnetstimulation (TMS) untersucht werden können. Die interhemisphärische Inhibition (IHI) wird über Fasern des Corpus callosum vermittelt, die insbesondere bei bimanuellen Aufgaben eine wichtige Rolle spielen. Das frühe Erlernen eines Musikinstruments führt zu strukturellen Veränderungen des Corpus callosum. Ziel der aktuellen Studie war es, die Auswirkungen von beidseitigem motorischem Lernen auf die interhemisphärielle Inhibition zwischen Musikern und musikalisch ungeschulten Personen zu vergleichen, um mehr über die physiologischen Grundlagen bimanuellen Lernens zu erfahren.

Material und Methoden: 47 Rechtshänder, davon 24 Musiker (15 Frauen, 9 Männer; Alter: 20 – 27J., im Mittel 23J., Beginn einer musikalischen Ausbildung mit durchschnittlich mit 5 ½ Jahren) und 23 Kontrollen (12 Frauen, 11 Männer; 20 – 29J., Mittel: 24J.) erlernten in zwei Blöcken von je 12 min eine bimanuelle visuomotorische Kraftdosierungsaufgabe ("pinch force task"), die hohe Anforderungen an die motorische Genauigkeit im Verhältnis zu vorgegebenen Bewegungssequenzen stellt. Die IHI wurde mittels Magnetstimulation durch ein Doppelpulsparadigma (M1-hotspots für FDI bei 1 mV MEPs, 10 ms Interstimulusintervall) vor und nach den Lernblöcken untersucht. Alle Versuchsteilnehmer erhielten vorher ein MRT des Schädels (T1 und DWI, b = 1000, 60 Richtungen, 1,7 mm3 Voxelgröße, 3 Tesla, MAGNETOM Trio, Siemens, Erlangen). Es wurde u.a. die fraktionelle Anisotrophie (FA) ermittelt (whole-brain und Corpus callosum als region of interest (ROI) x =-2 bis 2 von Medianebene). Die FA wurde mit der IHI innerhalb der ROI korreliert (alle Korrelationsanalysen signifikant ab p < 0,05, vollständig korrigiert für multiple Vergleiche, gegen Alter und Geschlecht kontrolliert).

Ergebnisse: Musiker zeigten im Vergleich zu den Kontrollen eine signifkant stärkere interhemisphärische Inhibition unter baseline Bedingungen (im Mittel 54 versus 38%, p = 0,03, n = 17 vs. 16). Durch das Training konnte bei allen Versuchsteilnehmern aber keine Veränderungen im Ausmaß der IHI festgestellt werden. Die zeitliche Genauigkeit der Aktionen der rechten Hand nahm hingegen bei Musikern durch das Training signifikant stärker zu als bei den Kontrollen (32 versus 6% Verbesserung der Lernsequenz relativ zu einer random-Sequenz, p = 0,01, gepaarter T-Test).

Diskussion: In einer visuomotorischen Aufgabe, die eine beidhändige Koordination erfordert, verbesserte sich die zeitliche Genauigkeit von Handbewegungen bei Musikern mehr als bei musikalisch ungeschulten Personen. Diese Unterschiede könnten mit einer höheren strukturellen und funktionellen Konnektivität zwischen beiden Hemisphären durch frühe Aufnahme einer musikalischen Ausbildung in Zusammenhang stehen.