Gesundheitswesen 2012; 74 - A134
DOI: 10.1055/s-0032-1322120

Entwicklung und Erprobung von Zugangswegen zum Aufbau einer Migrantenkohorte als Teil der Nationalen Kohorte

R Yesil 1, U Ellert 1, M Schlaud 1, P Heuschmann 2, S Willich 2, L Krist 2, T Keil 2
  • 1Robert Koch-Institut, Berlin
  • 2Charité – Universitätsmedizin Berlin

Hintergrund: Personen mit türkischem Migrationshintergrund machen in Deutschland insbe-sondere in großstädtischen Ballungszentren einen großen Teil der Bevölkerung aus. Sie stammen entweder selbst aus der Türkei oder sind als deren Nachfahren in Deutschland gebo-ren. Diese Bevölkerungsgruppe ist in epidemiologischen Gesundheitsstudien bislang jedoch nur unzureichend vertreten, da aufgrund von Sprachbarrieren und kulturellen Besonderheiten gesonderte Zugänge und ein hoher logistischen Aufwand erforderlich sind.

Methoden: Im Rahmen einer laufenden Machbarkeitsstudie zur Nationalen Kohorte, durchge-führt vom Robert-Koch-Institut und dem Institut für Sozialmedizin der Charité, sollen zwi-schen Februar 2011 und September 2012 (a) Zugänge zu türkeistämmigen Bevölkerung, (b) Rekrutierungsstrategien im Hinblick auf Response, Selektionseffekte und Effizienz sowie (c) Konzepte für eine langfristige Probandenbindung identifiziert, erprobt und optimiert werden. Dazu werden zwei Zugänge erprobt: (a) Random Sample aus dem Melderegister Berlins mit anschließender onomastischer Namensprüfung auf mutmaßliche Türkeistämmigkeit (schriftli-che Einladung, Erinnerungsbrief, Telefonat, Hausbesuch) und (b) Convenience Sample von Freiwilligen nach Informationsmaßnahmen (Anschreiben, Poster, Flyer, Vorträge) über Ein-richtungen und Vereine der türkeistämmigen Population in Berlin. Alle Informationsmateria-lien wurden auf Deutsch und auf Türkisch verfasst. Die Rekrutierung erfolgt über das RKI, die Untersuchung in der Charité. Aus beiden Zugängen sollen jeweils 300 Probanden (20–69 Jahre) rekrutiert, befragt und un-tersucht werden. Die Befragungsinstrumente (deutsch und türkisch) stammen aus der DEGS-Studie des RKI, die Untersuchungselemente aus dem geplanten Basisprogramm der Nationa-len Kohorte. Die Studie wurde mit der Ethikkommission der Charité sowie dem Bundesbeauf-tragten und dem Landesbeauftragten für den Datenschutz in Berlin abgestimmt.

Ergebnisse: Im Rahmen der Zufallsstichprobe wurden 3000 Einladungsbriefe und ca. 2750 Erinnerungsbriefe verschickt, bei Nichterreichbarkeit wurden zusätzlich Telefonate und Hausbesuche durch zweisprachige Mitarbeiter durchgeführt. Bis zum 05.04.2012 erklärten sich insgesamt 473 Personen teilnahmebereit und wurden dem Untersuchungszentrum an der Charité zur Terminierung und Untersuchung gemeldet. Zur Rekrutierung der Netzwerkstichprobe wurden Anschreiben an ca. 80türkische Einrich-tungen sowie an 328 Hausarztpraxen in den Bezirken Wedding, Kreuzberg und Neukölln so-wie türkeistämmige Hausärzte in ganz Berlin verschickt. Die flankierenden Vorträge und Be-suche sind noch nicht abgeschlossen. Bis zum 05.04.2012 haben sich 138 Personen zur Teil-nahme bereit erklärt.

Schlussfolgerung: Unsere vorläufige Auswertung lässt trotz intensivierter Rekrutierungsan-strengungen eine deutlich niedrigere Teilnahmebereitschaft an medizinisch-wissenschaftlichen Studien in der türkeistämmigen Population vermuten als in der deutschen Allgemeinbevölkerung. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen in Empfehlungen an die Natio-nale Kohorte zur Teilnehmergewinnung für die geplante zusätzliche „Migrantenkohorte“ (25.000türkeistämmige Erwachsene) münden. Die Projekterfahrungen sind aber auch für an-dere populationsbezogene Gesundheitsstudien mit türkeistämmigen Erwachsenen nutzbar.