Gesundheitswesen 2012; 74 - A124
DOI: 10.1055/s-0032-1322110

Was sagt uns die stetig zunehmende Zahl stationärer Notfallaufnahmen?

E Swart 1, BP Robra 1, T Huke 1
  • 1Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Hintergrund und Zielsetzung: In den Krankenhausfallanalysen der AOK Sachsen-Anhalt ist seit Jahren eine kontinuierliche Zunahme der Notfallaufnahmen zu verzeichnen bei gleichzeitigem Rückgang der regulären Einweisungen durch Vertragsärzte. Diese Entwicklung vollzieht sich unabhängig vom demographischen Wandel und dem steigenden Anteil Versicherter im Rentenalter. Die Ursachen des Anstiegs sind unbekannt, gleichwohl für die Verbesserung der Versorgung an der ambulant-stationären Schnittstelle wichtig zu wissen. Es wird daher eine nähere Analyse der Notfallaufnahmen anhand von GKV-Routinedaten vorgenommen. Die Ergebnisse sollen Ausgangspunkt für vertiefende Primärerhebungen sein.

Methoden: Verwendet werden Routinedaten der stationären Versorgung der AOK Sachsen-Anhalt aus den Jahren 2005 bis 2010. Betrachtet werden alle Krankenhausaufnahmen von Versicherten der AOK Sachsen-Anhalt. Mehrere Fälle eines Versicherten lassen sich anhand der pseudonymisierten Versicherungsnummer erkennen. Notfallaufnahmen können über das Feld ‚Aufnahmeanlass‘ identifiziert und nach Merkmalen des Versicherten, des Krankenhauses und der Region vertiefend ausgewertet werden.

Ergebnisse: Der Anteil der Notfallaufnahmen an allen Krankenhausfällen lag 2010 altersstandardisiert bei 44%. Bezogen auf 10.000 Versichertenjahre nahmen die Notfälle seit 2005 um 42% zu, nach Altersstandardisierung noch um 31%. Die Notfälle unterscheiden sich in vielen Indikatoren der stationären Versorgung nur unwesentlich von der Gesamtheit der Fälle. Die durchschnittliche Verweildauer ist nur wenig kürzer (8,6 vs. 9,3 Tage), im Diagnosespektrum überwiegen Herzkreislauferkrankungen (24% vs. 19%), Verletzungen (14% vs. 9%) und Krankheiten des Verdauungssystems (11% vs. 10%). Die Notfallauf-nahmen verteilen sich gleichmäßig über die Wochentage und konzentrieren sich nicht an den Wochenenden, der Anteil der Versicherten mit mehr als einer Notfallaufnahme nicht höher als bei allen stationär behandelten Versicherten. Der Anteil der Verstorbenen ist bei Notfällen mit 5,6% höher als bei der Gesamtheit aller Krankenhausfälle (3,5%).

Diskussion und Schlussfolgerungen: Die vertiefende Analyse der Notfallaufnahmen lässt kein typisches Bild eines Notfalles erkennen. Die Krankenhausbehandlung der Notfälle ähnelt der anderer Fälle. Daher könnten strukturelle Defizite der vertragsärztlichen Notfallversorgung, deren fehlende Akzeptanz oder Bekanntheitsgrad bei der Bevölkerung tieferliegende Gründe für die beschriebene Entwicklung sein. Spezifische Primärerhebungen bei Mitarbeitern der Ambulanzen und bei Patienten und Versicherten bieten sich zur Klärung an. Neben traditionellen Auswertungen von Krankenakten oder Fragebogenerhebungen kommt dabei auch der Einsatz von Fallvignetten in Frage, um die Gründe für die (Nicht-)Inanspruchnahme von vertragsärztlichen Bereitschaftsdiensten und Krankenhaus-notfallaufnahmen zu untersuchen.