Diabetologie und Stoffwechsel 2011; 6 - P255
DOI: 10.1055/s-0031-1277526

Angst vor Hypoglykämien: Niedrige Inzidenz bei geschulten Patienten mit Diabetes mellitus

K Reise 1, V Hartung 1, C Kloos 1, N Müller 1, G Wolf 1, UA Müller 1
  • 1Universitätsklinikum Jena, Klinik für Innere Medizin III, Jena, Germany

Fragestellung: Hypoglykämien sind die häufigste Nebenwirkung der medikamentösen Diabetestherapie und können im schlimmsten Fall letal verlaufen. Angst vor Hypolykämien (AH) ist somit eine verständliche Reaktion. Ist die Ausprägung jener durch Häufigkeit, Schweregrad oder Umstände bedingt? Nächtliche Hypoglykämien und Notwendigkeit der Fremdhilfe als Faktor sind naheliegende Annahmen.

Wir untersuchten Häufigkeit und Intensität von AH bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 und 2.

Methodik: Wir erfassten AH bei 719 Patienten mit Diabetes (Alter 62,2J, Zeit seit Diagnose 16,3J; BMI 31,2kg/m2; HbA1c 7,3%) in einer Hochschulambulanz für Endokrinologie mit einem standardisierten Fragebogen. Alle Patienten haben innerhalb der letzten 20 Jahre an einem strukturierten Schulungsprogramm teilgenommen. Wir bildeten eine Likert-Skala von 1–6 um AH zu messen (1: keine Angst; 6: sehr große Angst). Die Patienten wurden in keine AH (Score 1–2) und AH (Score 4–6) gruppiert. Score 3 wurde als unsichere Entscheidung gewertet und somit ausgeschlossen (n=109). Klinische und laborchemische Daten stammen aus der elektronischen Patientenakte EMIL (http://www.itc-ms.de). HbA1c wurde anhand der DCCT adjustiert.

Ergebnisse: 118 Patienten (8%) gaben AH an. 492 Patienten (68%) haben keine AH. Patienten mit AH waren mehr Frauen (49%; 36%; p<0,01), jünger (59J; 64J; p<0,01), hatten einen höheren HbA1c (7,5%; 7,2%; p=0,026), eine höhere Lebenszeitinzidenz schwerer Hypoglykämien (0,69; 0,26; p<0,01), mehr nicht schwere Hypoglykämien (0,92 vs. 0,46/Woche; p<0,01), hatten einen höheren Grenzwert der Blutglukose für die Wahrnehmung erster Hypoglykämiesymptome (3,8 vs. 3,5mmol/l; p=0,01), maßen häufiger Blutglukose (26 vs. 21/Woche; p<0,01), hatten mehr Insulininjektionen (3 vs. 2/Tag; p<0,01) und überwiegend Typ1 Diabetes (33 vs. 19%; p<0,01). Desweiteren haben Patienten mit AH einen niedrigeren WHO (Five) Well-Being Index (12; 16; p<0,01; max. Score 25), eine größere Beeinträchtigung durch Hypoglykämien (4; 3; p<0,01; max. Score 6) und mehr Schwierigkeiten am Arbeitsplatz durch Hypoglykämien (3; 1; p<0,01; max. Score 6) verglichen mit denen ohne AH.

Hinsichtlich der Zeit seit Diagnose (17J; 16J), des BMI (31 vs. 32kg/m2), der Inzidenz schwerer Hypoglykämien in den letzten 12 Monaten (0,08; 0,04), des Sozialstatus Score (10 vs. 11; max. Score 21) traten keine signifikanten Unterschiede auf, ebenso wenn während der Hypoglykämie niemand in der Nähe war (46 vs. 40%) oder wenn sie nachts auftraten (47 vs. 40%).

Schlussfolgerungen: Relativ wenige Patienten mit Diabetes haben Angst vor Hypoglykämien. Die Gründe für Angst sind mehr bei den Konsequenzen wie Beeinträchtigung oder Schwierigkeiten am Arbeitsplatz zu finden und weniger in den Umständen per se. Das allgemeine Wohlbefinden scheint ebenfalls einen Einfluss zu haben.

Da diese gut geschulten Patienten eine Selektion sein könnten, ist es zu diskutieren inwieweit diese Ergebnisse auf die Gesamtpopulation übertragen werden können.