Klinische Neurophysiologie 2009; 40 - P364
DOI: 10.1055/s-0029-1216223

Wie kann die kongenitale Prosopagnosie diagnostiziert werden?

A Klippel 1, S Ruge 1, M Gade 1, A Danek 1
  • 1München

Prosopagnosie (PA) ist das Unvermögen, eine Person alleine anhand ihres Gesichts zu identifizieren. Sie kann entweder als erworbene Form nach einer Schädigung des Gyrus occipito-temporalis vorkommen oder als kongenitale Variante auftreten. Letztere Erscheinungsform hat bisher kein anatomisches Korrelat und zeigt einen autosomal-dominanten Erbgang. Trotz einer geschätzten Prävalenz von 2,5% in der deutschen Bevölkerung (Kennerknecht, 2007, J Hum Genet. 52: 230–6), bleibt die kongenitale PA häufig unbemerkt. Wir vermuten dafür folgende Gründe:

  • Die kongenitale PA variiert interindividuell in den Symptomen und im Schweregrad.

  • Existierende neuropsychologische Testverfahren zur Erkennung von Gesichtern sind nicht sensibel genug, um eine kongenitale PA zu diagnostizieren.

In der vorliegenden Studie wurden dazu 10 Probanden mit selbst erkannten Symptomen einer PA im Jugend- und Erwachsenenalter mittels einer eigens dafür eingerichteten Website (www.prosopagnosie-studie.de) und einem Zeitungsartikel rekrutiert. Die Untersuchung erfolgt in zwei Teilen: Im ersten Teil werden andere Ursachen für Schwierigkeiten bei der Gesichtserkennung ausgeschlossen, sowie die allgemeinen kognitiven Fähigkeiten der Probanden überprüft. Der zweite Teil testet das Erkennen von Gesichtern unter verschiedenen Bedingungen. Hierfür verwenden wir einen computergestützten Test zum Lernen und Wiedererkennen von Gesichtern (Philipp & Danek 2004) sowie den Gesichter-Namen-Lern-Test (Schuri & Benz 2000), den Camden Memory Test for Faces (Warrington 1984) und den Benton Facial Recognition Test (Benton 1983). Außerdem beantwortet jeder Proband einen Fragebogen, der seine Fähigkeiten in der Gesichtserkennung überprüft.

Die 10 durchschnittlich intelligenten Probanden zeigen einen unauffälligen klinisch-neurologischen Befund. Ihre Defizite bei der Gesichtserkennung sind unterschiedlich stark ausgeprägt: Während einige sogar Familienangehörige nicht erkennen, haben andere nur Schwierigkeiten bei flüchtigen Bekannten. Zur Kompensierung ihres Defizits verlassen sich alle Betroffenen auf Merkmale wie Frisur, Kleidung oder Körperbau. Dementsprechend haben viele Probanden bei mindestens einem der verwendeten Testverfahren ein normales Ergebnis erzielt. Wir schlagen deshalb vor, neuropsychologische Testverfahren zur Gesichtserkennung zu modifizieren (z.B. durch Reaktionszeitmessung, Abdeckung von Kleidung/Frisur zur isolierten Darbietung der Gesichter), um eine kongenitale PA leichter zu diagnostizieren.