Gesundheitswesen 2009; 71 - A31
DOI: 10.1055/s-0029-1215473

Wirkungen und Nebenwirkungen typischer und atypischer Neuroleptika

M Dose 1
  • 1Isar-Amper Klinikum, Taufkirchen

Seit 1956 wurden auf Vorschlag von Delay und Deniker antipsychotisch wirksame Substanzen, die als (zunächst vermeintlich für ihre therapeutische Wirkung unabdingbare) unerwünschte Wirkung zu extrapyramidalen Symptomen (EPS) führen, zur Gruppe der „Neuroleptika“ zusammengefasst.

Nachdem mit Clozapin ab 1972 eine Substanz zur Verfügung stand, die in antipsychotisch wirksamer Dosierung keine EPS hervorrief, wurde Clozapin als „atypisch“ klassifiziert. Seit 1995 stehen mehrere antipsychotisch wirksame Substanzen zur Verfügung, die von ihren Herstellern, aber auch einem Teil der „Fachwelt“ als „atypisch“ reklamiert werden.

Bei diesen „atypischen“Substanzen handelt es sich um eine sowohl chemisch (strukturell) als auch hinsichtlich ihres (für erwünschte und unerwünschte Wirkungen ausschlaggebenden) Rezeptorprofils heterogene Substanzgruppe. Als gemeinsamer „Nenner“ der antipsychotischen Wirkung gilt weiterhin die antagonistische Wirkung an postsynaptischen Dopamin-D2-Rezeptoren, während das Profil unerwünschter Wirkungen einerseits von der Affinität der Substanzen an Dopamin-Rezeptoren („loose-binding“-Konzept), von Interaktionen mit weiteren Transmitter- und Rezeptorensystemen (Serotonin, Noradrenalin, Histamin, Acetylcholin) und regional präferentiellen Wirkungen abhängig zu sein scheint.

In der klinischen Praxis und vor dem Hintergrund der Ergebnisse unabhängiger Studien weicht die initiale Euphorie bzgl. der Überlegenheit der „Atypika“ als „Gruppe von Substanzen“ (die sie nicht sind) einem nüchternen Realismus. Bereits die „typischen“ Substanzen weisen ein differentielles Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil auf: vom antipsychotisch hochwirksamen, aber mit hohem EPS-Risiko behafteten Haloperidol über Perphenazin, Perazin zum mit ausgeprägt Serotonin-antagonistischen Wirkungen einigen „Atypika“ verwandten Melperon.

Genauso werden sich auch die neuen „atypischen“ Substanzen (vom – hinsichtlich des EPS-Risikos und der Prolaktin-Erhöhung – eher den „Typika“ vergleichbaren Risperidon bis zum den – bezüglich des EPS-Risikos – eher dem Clozapin vergleichbaren Olanzapin und Quetiapin) in das Instrumentarium der antipsychotischen Behandlung einfügen und nach gemeinsamer Nutzen-/Risikoabwägung durch Arzt und Patient (z.B. Risikofaktoren bzgl. extrapyramidaler Symptome vs. Risikofaktoren bzgl. metabolischem Syndrom) für die jeweilige Zielsymptomatik (akut psychotische Symptome vs. Negativsymptome bzw Rezidivprophylaxe) ausgewählt werden. Die (noch in der S-3 Behandlungsleitlinie „Schizophrenie“ der DGPPN, 2005 empfohlene) Bevorzugung der „Atypika“ als „Mittel der ersten Wahl“ zur Behandlung schizophrener Psychosen entspricht nicht dem Stand der wissenschaftlichen Evidenz und wird modifiziert werden müssen.