Gesundheitswesen 2008; 70 - A123
DOI: 10.1055/s-0028-1086348

Repräsentationen von Versicherteninteressen in der gesetzlichen Krankenversicherung durch Kassenwahl und Selbstverwaltung

S Greß 1, B Braun 2, H Rothgang 2, J Wasem 3
  • 1Fachbereich Pflege und Gesundheit, Hochschule Fulda
  • 2Zentrum für Sozialpolitik, Abteilung Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung, Universität Bremen
  • 3Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen

Einleitung/Hintergrund: Eine der wichtigsten Voraussetzungen für wirksames und wirtschaftliches Handeln der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist, sich so eng wie möglich am Bedarf ihrer Versicherten zu orientieren. In Anlehnung an eine von Albert Hirschman entwickelte Klassifizierung existieren im deutschen Gesundheitssystem zwei Repräsentationsmechanismen nebeneinander: Ein „Voice“- und ein „Exit“-Mechanismus: Selbstverwaltung und Kassenwahl. Die Wirklichkeit der Repräsentation von Versicherteninteressen in der GKV ist bemerkenswert wenig untersucht. Material und Methoden: Die Erkenntnisquellen waren mehrere repräsentative schriftlich standardisierte Befragungen. Ergebnisse: Die Selbstverwaltung und die Möglichkeit ihrer Wahl in Sozialwahlen war 44% der im Jahr 2004 gefragten Bevölkerung völlig unbekannt. Dort wo gewählt wurde, sank aber die Wahlbeteiligung ebenfalls kontinuierlich und lag 2005 bei 32%. – Die Selbstverwaltung schöpft die bestehenden Initiativ-Möglichkeiten, beispielsweise im Bereich der Prävention, der Kontakte zwischen Kasse und Versicherten oder der Qualitätssicherung oder die Möglichkeit, ihre Umsetzung zu kontrollieren bei weitem nicht aus. Das Ergebnis der empirischen Untersuchungen zum Kassenwechsel ist, dass die Wechselbereitschaft der Versicherten hinreichend groß ist, um über den Exit-Mechanismus Druck auf die Krankenkassen auszuüben. Wenn sich diese nicht in entsprechenden Wechselquoten niederschlägt, liegt dies an unzureichenden Alternativen und zu hohen Wechselbarrieren. Diskussion/Schlussfolgerungen: Nach Kenntnis der grundlegenden Mängel beider Mechanismen erscheint die Steuerungsfähigkeit des Gesamtsystems durch das Zusammenwirken beider Mechanismen besser als in einer Situation, in der es nur jeweils einen der beiden für sich optimierten Mechanismen gibt.

Literatur:

[1] Braun B, Greß S, Rothgang H, Wasem J (Hrsg.). Einflussnehmen oder Aussteigen? Theorie und Praxis von Kassenwechsel und Selbstverwaltung in der GKV. Berlin, Edition Sigma. 2008

[2] Hirschmann, A. Exit, voice and loyalty – Responses to decline in firms, organizations and states. Cambridge, Harvard University Press. 1970

[3] Greß S, Braun B, Rothgang H, Wasem J. Kassenwechsel zur Durchsetzung von Versicherteninteressen? Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von GKV-Versicherten. Soziale Sicherheit 2008; 57(1): 12–17

[4] Höppner K, Greß S, Rothgang, H, Wasem J. Instrumente der Risikoselektion – Theorie und Empirie. Jahrbuch Risikostrukturausgleich 2006– Zehn Jahre Kassenwechsel. D. Göpffarth, S. Greß, K. Jacobs, J. Wasem. St. Augustin, Asgard: 2006; 119–44

[5] Braun B, Greß S, Lüdecke D, Rothgang H, Wasem J. Funktionsfähigkeit und Perspektiven von Selbstverwaltung in der GKV. Soziale Sicherheit 2007; 56(11): 365–73