Elsevier

Osteopathische Medizin

Volume 9, Issue 1, 4 January 2008, Pages 4-16
Osteopathische Medizin

Originalia
Die Gleitfähigkeit subkutaner Strukturen beim Menschen – eine Einführung

https://doi.org/10.1016/j.ostmed.2008.01.002Get rights and content

Zusammenfassung

Wir haben die Mobilität unserer Strukturen so verinnerlicht, sie erscheint uns so natürlich, dass wir sie nicht hinterfragen. Dass wir die Haut abheben und ihr dabei zusehen können, wie sie sich erneut faltet, ihre ursprüngliche Form und Beschaffenheit innerhalb weniger Sekunden wieder einnimmt, ist sicherlich sehr banal, wirft aber auch zahlreiche Fragen auf, wenn man bedenkt, wie viele Elemente daran beteiligt sind. Die gleiche Feststellung gilt auch, wenn man eine Faust macht und über die von außen nicht sichtbare Bewegung der Beugesehne nachdenkt. Über Jahrzehnte beschränkten sich die wissenschaftlichen Erklärungen auf die Elastizität bzw. die Existenz des lockeren lamellären Bindegewebes (connective tissue) und einem mehr oder weniger großen virtuellen Raum, Erklärungen, in denen die Biomechanik relativ ungenau beschrieben wurde. Sieht man zunächst von diesen alten Konzepten, die vor mehr als 50 Jahren entwickelt wurden, ab, ist festzustellen, dass die wissenschaftliche Forschung zur mikroskopischen Ebene übergegangen ist und dabei das globale mesosphärische Konzept vergessen hat. Die chirurgische Dissektion in vivo zeigt uns, dass es Gewebeverbindungen gibt, dass eine echte histologische Kontinuität, ohne klare Trennungen zwischen der Haut und der Subkutis, den Gefäßen, Aponeurosen und Muskeln besteht. Überall sind Strukturen erkennbar, die die Verschieblichkeit zwischen der Muskelaponeurose, dem Fettgewebe, der Dermis sicherstellen. Die Autoren entdeckten im Rahmen ihrer Untersuchungen an den Gleitsystemen zwischen den Organen, und insbesondere im Bereich der Sehnen, eine komplexe, zusammengesetzte Struktur, der sie den Namen kollagenes multimikrovakuoläres dynamisches Absorptionssystem (MCDAS) gaben. Dieses System hat eine sehr chaotische Organisation und seine Funktionsweise ist sehr weit von den traditionellen mechanischen Analysen entfernt. Die funktionelle Einheit für das Gleiten von Strukturen, das durch das dreidimensionale Überkreuzen im Raum bestimmt wird, ist die Mikrovakuole. Sie hat eine vielflächige Form und ihr Gerüst besteht aus Kollagen des Typs I oder III, ihr Inhalt aus Proteoglykoaminoglykanen. Die Dynamik des multimikrovakuolären Systems ermöglicht es verschiedene Vorspannungen, gegenseitige Abhängigkeit und plastische Anpassungsfähigkeit miteinander zu verbinden und bietet somit eine Erklärung dafür, wie der Körper den verfügbaren Raum ausfüllt. Der Begriff der Mikrovakuolen ist auch deshalb so faszinierend, weil er uns eine Erklärung dafür bietet, wie der Körper den verfügbaren Raum ausfüllt. Die molekularen Verschmelzungen, Trennungen, Zerreißungen, und feinen Bewegungen im Inneren des Körpers wirken in Ihrer Verteilung zwar chaotisch wurden jedoch nicht ohne Ordnung angelegt. Sie füllen den Raum optimal aus. Mit Hilfe des Vakuolen-Konzepts können auch die im Laufe eines Lebens auftretenden unterschiedlichen Zustände der Materie, wie etwa Ödeme, Adipositas, Alterungsprozess und Entzündungen besser definiert werden. Das beschriebene Gleitsystem ist im gesamten Körper vorhanden und scheint ein global organisiertes Gewebegerüst darzustellen. Es erfordert eine ganzheitliche Sicht des Körpers. Da es sich bei diesem Gewebe um die untrennbare Verbindung handelt, die wir in allen lebenden Strukturen und auf vielen Ebenen finden, stellt sich uns die Frage, ob es sich bei diesem Gewebe um die architektonische Form des Lebens handelt.

Abstract

The mobility of our body structures is so intrinsic and natural to us that we tend to take it for granted. The very fact of being able to pinch your skin and lift it, then let it go and see it return to its initial shape and texture in just a few seconds may seem banal enough until you begin to think of all the elements involved. The same is true when you bend your fingers and think of the movement of the flexor tendon across the palm without external translation. For decades, scientists thought that the skin was simply an elastic structure with loose connective tissue and a more or less virtual space. However, in biomechanical terms, this explanation is very vague. These old concepts developed more than 50 years ago have evolved thanks to the impact of research at the microscopic level, and the global, mesospheric concept has been abandoned. And yet, surgical dissection in vivo demonstrates that there are only tissue connections, simply a histological continuum without any clear separation between skin and hypodermis, the vessels, the aponeurosis and the muscles. In fact, visible everywhere are structures, which ensure a gliding movement between the aponeurosis, the fat structures and the dermis. As they studied this system of gliding between the various organs, in particular at the level of the tendons, the authors noted the existence of a complex system composed of different structures that they term the Multimicrovacuolar Collagen Dynamic Absorption System (MCDAS). This system looks totally chaotic in organization and seems to function in a manner far removed from traditional mechanical structures. The functional unity of this sliding system is dependent upon a polyhedral three-dimensional crisscrossing in space of the microvacuoles, whose collagen envelope is type 1 or type 4 and whose content is made up of proteoglycoaminoglycans. The dynamic of this multimicrovacuolar system allows all of the subtle movements that occur within the body, thanks to its pre-stressed nature and the molecular fusion-scission-dilacerations that it is capable of. In this way, the system is mobile, can move quickly and interdependently, and is able to adapt is plasticity. This notion of microvacuoles is a fascinating one because it provides an explanation for the system's space-filling ability.The matter is composed of elements. However, although they seem to be arranged in a haphazard manner, this is not the case. In fact, they occupy space in an optimal manner. If we accept this notion of microvacuoles, then it becomes possible to explain certain pathologies occurring with age, such as edema, obesity, aging and inflammation. This sliding system is to be found everywhere in the body and would seem to be the basic network of tissue organization.For this reason, it should be thought of in global terms. Since it constitutes the inseparable link and occurs in all living structures and at many levels, could it be that it the basic architectural design of Life?

Section snippets

Einleitung

Beginnen wir mit einer Feststellung: Strukturen verfügen über Mobilität und Wechselbeziehungen verbunden mit einer scheinbaren somatischen Stabilität.

Wir haben die Mobilität unserer Strukturen so verinnerlicht, sie erscheint uns so natürlich, dass wir sie nicht hinterfragen. Doch unser wissenschaftlich kritischer Geist darf sich, vor allem in unserem Fachbereich, mit dieser Feststellung nicht zufrieden geben.

Tatsachen und Fakten

Wir können immer wieder beobachten, dass sich bei großen Bewegungen, die gesamte Haut, die Arterien, Venen, Nerven, Muskeln und Sehnen alle in eine Richtung bewegen. Dabei kommt es weder zu Rupturen noch zu Blutungen, ja die Strukturen sind, trotz ihrer Spannungen, in der Lage, ihre Kapazitäten noch zu erhöhen. Wir müssen für diese Beobachtungen entsprechende Erklärungen finden, die dem aktuellen Wissensstand entsprechen und dürfen uns nicht mit Erkenntnissen zufrieden geben, die mehr als

Vorteile der chirurgischen Beobachtung

Chirurgen und insbesondere plastische Chirurgen haben täglich mit diesen lebenden Geweben Kontakt, sie genießen das Privileg, diese Gewebe im natürlichen Zustand beobachten zu können. Genau das haben wir getan.

Zu Beginn einige einleitende Beobachtungen, die von Wichtigkeit sind:

  • Erstens, die Gewebekontinuität

  • Die chirurgische Dissektion in vivo zeigt uns, dass es Gewebeverbindungen gibt, dass eine echte histologische Kontinuität, ohne klare Trennungen zwischen der Haut und der Subkutis, den

Anatomische Beobachtungen mittels Videomikroanalyse

Während verschiedener chirurgischer Eingriffe wurden am lebenden Menschen insgesamt 95 Videoaufnahmen mit den entsprechenden Bewegungsanalysen durchgeführt (Abb. 2).

Die gefilmten Sequenzen wurden bei geplanten chirurgischen Eingriffen gedreht, wobei die Aufnahmedauer auf weniger als 30 Minuten beschränkt wurde, um den OP-Ablauf nicht zu stören. Die Eingriffe wurden entweder mit einer Abschnürbinde ausgeführt, wodurch eine minutiösere Beobachtung möglich war, die allerdings zu Lasten der

Neudefinition des Bindegewebes als MCDAS

Nach Durchdringen der Dermis und der Subkutis zeigt sich uns ein sehr bewegliches Gewebe, eine Art alles umspannende Fläche, die sich über die gesamte Strukturoberfläche ausbreitet. Sie überzieht die gesamte so genannte „décollement”-Fläche, welche die Fettläppchen umgibt und sich auch zwischen die Muskelfasern schiebt. Dabei handelt es sich um ein so genanntes areoläres Bindegewebe, auf das wir nun weiter eingehen werden (Abb. 3).

Wenn man dieses Gewebe mit einer Pinzette ergreift, entdeckt man

MCDAS und Mikrovakuolen

Beweis für die Kontinuität der Materie und die Existenz eines Verbindungsgewebes zwischen den verschiedenen funktionellen Komponenten

Frühere Erklärungen bezogen sich auf das Konzept gegeneinander oder übereinander verschieblicher Schichten oder auf das Konzept des virtuellen Raums, den man sich leichter vorstellen als ihn wirklich verstehen kann. Und das obwohl uns unsere genauen Beobachtungen dem Begriff der Kontinuität der Materie zwischen dem Organ und der Gleithülle dem Vorzug einzuräumen,

MCDAS und seine beiden Funktionen

Das System muss als Grundprinzip vollständige Bewegungsfreiheit gewährleisten, ohne dass sich gleichzeitig das Gewebe bewegt, das dieses System umschließt. Die vakuoläre Struktur muss widerstehen, sich den externen fundamentalen physikalischen Kräften anpassen und gleichzeitig seine Architektur aufrechterhalten.

Das heißt also: absolutes Bewegungsprinzip und Stossdämpferfunktion in einem! Diese beiden vom Standpunkt der Dynamik widersprüchlichen Funktionen müssen dabei ohne Unterbrechung des

Schlussfolgerungen

Das lange vergessene Gleitgewebe hat zwar noch lange nicht alle seine Geheimnisse Preis gegeben, aber es hält Antworten bereit, die sowohl für die Wissenschaft als auch für das Leben an sich von großer Bedeutung sind.

Es unterstreicht auch die wesentliche Tatsache, dass unser Körper ein Ganzes ist und zwingt uns, ihn weniger reduziert und eingeschränkt, sondern vielmehr holistisch zu betrachten. Das auf den ersten Blick chaotisch und sehr komplex wirkende MCDAS System ist ein aus mehreren

References (0)

Cited by (1)

  • Tensegrity in osteopathy

    2010, Osteopathische Medizin
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