Zusammenfassung
Die Gewinnung und Bindung von ehrenamtlichen Vorständen gilt als wachsendes und zunehmend existenzielles Problem von Sportvereinen. Allerdings ist wenig darüber bekannt, welche Ursachen dafür verantwortlich sind und warum bei gleicher berichteter Problemgröße einige Vorstände das Problem als existenzbedrohend etikettieren, andere dagegen nicht. Anhand einer Befragung von Sportvereinen im Sportbund Rheinland (n = 770) wird ein theoriebasiert entwickeltes Modell getestet. Das Modell ist erklärungskräftig in Bezug auf die artikulierten Probleme der Gewinnung und der Bindung. Es ist jedoch hinsichtlich der tatsächlichen Vakanz bei Vorstandsämtern erklärungsschwach. Die Entkoppelung zwischen tatsächlicher und berichteter Problemlage wird auf die höhere Renditeerwartung der berichtenden Vorstände zurückgeführt, die aus der größeren Aufmerksamkeit und Anerkennung der geleisteten Arbeit bei gerade noch glaubhafter Größe des berichteten Problems resultiert. Für eine derartige Interpretation spricht auch, dass keine relevanten Unterschiede zwischen den Vorständen gefunden wurden, die eine Existenzbedrohung bzw. keine Existenzbedrohung ihres Vereines erkennen.
Abstract
The recruitment and commitment of voluntary board members of sport clubs are reported as a growing problem. Some sport clubs report that the recruitment and commitment of board members is existence-threatening. Little is known why some sport clubs perceive this problem as a challenge for their existence and others do not — even if the extent of the problem is reported equal. This article provides a theory-based model grounded on a survey of several sport clubs of the “Sportbund Rheinland” (n = 770). The model has explanatory power for the perceived problem recruiting of board members but not for the real numbers of vacancies. The difference between the number of vacancies and the perceived problem in the recruitment of board members is explained by the expected return from the drawn attention generated by the reporting board members. This explanation is supported by the findings that there are no significant differences between the reports of board members who perceive the problem existence challenging for their sport club and those who do not.
Notes
Es wird davon ausgegangen, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung des Problems und dem Bericht des Problems im Fragebogen gibt. Dies schließt strategisches Antwortverhalten im Sinne einer Optimierung berichteter Problemlagen aus.
Zu den ehrenamtlichen Funktionsträgern zählen vorwiegend ehrenamtliche Vorstandsmitglieder (Breuer, Feiler, & Wicker, 2013, S. 140).
1 = kein Problem, 5 = ein sehr großes Problem (Breuer & Feiler, 2016, S. 21).
Im Sportentwicklungsbericht werden an dieser Stelle keine Angaben zu den Fallzahlen und der Standardabweichung gemacht, sodass die Bestimmung der Effektstärke nicht möglich ist.
Hier: Größe des Vereins = Mitgliederzahl und Spartenzahl (Nagel et al., 2004, S. 64 i. V. m. S. 35 ff.).
Die Autoren geben keine Effektstärke an.
Im Gegensatz dazu beschäftigen laut Sportentwicklungsbericht 2013/2014 nur 7,8 % der Sportvereine in Deutschland bezahlte Mitarbeiter im Bereich „Führung und Verwaltung“ (Breuer & Feiler, 2015a, S. 36).
Hierzu zählen: Kultur, Sport, Freizeit- und Traditionsvereine, Bildung und Forschung, Sozial- und Gesundheitswesen sowie sonstige Interessenvertretungen und Themenanwälte (Wolf & Zimmer, 2010, S. 30).
Die verschiedenen Organisationstheorien legen unterschiedliche Schwerpunkte hinsichtlich ihrer Wirkungsannahmen von Personen, Organisationsstruktur und Umweltbedingungen auf das organisationale Handeln und den Organisationswandel. Keine der aktuell diskutierten Theorien kommt jedoch ohne mindestens eine der genannten Aspekte aus; häufig stehen Wirkungen im Kontext von mindestens zwei dieser Merkmale im Mittelpunkt der jeweiligen Theorie.
Hierzu zählen Vollzeit- und Teilzeitkräfte, geringfügig Beschäftigte und Honorarkräfte.
Hierbei sei angemerkt, dass die Frage im Rahmen der Online-Befragung nur den Vereinen gestellt wurde, die vorher die Frage „Wie groß ist zurzeit das Problem, der Bindung und Gewinnung von ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern in Ihrem Verein?“ mit „Dies ist in unserem Verein ein sehr großes Problem“ (5) beantwortet haben. Im Lichte der nachfolgend dargestellten Ergebnisse sollte künftig diese Frage allen Vereinen vorgelegt werden, um so die Frage nach der Problemstärke von der nach einem existenziellen Problem zu entkoppeln.
Die geringe Reliabilität des Konstruktes „Persönlichkeit“ dürfte u. a. darauf zurückzuführen sein, dass neben soziodemographischen Merkmalen (Geschlecht, Alter) auch durchschnittliche Annahmen des Befragten über die Präferenzen potenziell für Vorstandsämter geeigneter Personen enthalten sind. Allerdings ergeben sich auch bei Trennung dieses Konstruktes in „soziodemografische Merkmale“ und „Präferenzannahmen“ keine reliablen Skalen.
Die konkrete Formulierung der Items findet sich im Anhang.
Die Hinweise zu weiteren potenziell erklärungskräftigen Variablen verdanken wir einem anonymen Gutachter.
Das geteilte Maß an möglicher Übertreibung könnte als Element einer starken Ideologie im Sinne von Brunsson (1989) interpretiert werden. Ob dem tatsächlich so ist, kann anhand der vorliegenden Daten allerdings nicht beurteilt werden.
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L. Thieme, T. Liebetreu und S. Wallrodt geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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Thieme, L., Liebetreu, T. & Wallrodt, S. Gewinnung und Bindung von Vorständen im Sportverein. Ger J Exerc Sport Res 47, 133–148 (2017). https://doi.org/10.1007/s12662-017-0444-5
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