Anders als in den 2000er-Jahren, als noch fehlende Lehrstellen im Vordergrund standen, werden Übergänge junger Menschen in Ausbildung und Erwerbsarbeit derzeit insbesondere vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels problematisiert. Aus Sicht von Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben Anpassungsdruck, Prekarität und Ungewissheit jedoch keineswegs abgenommen – umso mehr in Folge der COVID-19-Pandemie (Stauber 2021). Auch institutionelle Akteur*innen sehen weiter Passungsprobleme zwischen Anforderungen der Betriebe sowie der ‚fehlenden Ausbildungsreife‘ und den ‚unrealistischen Ausbildungsansprüchen‘ der Jugendlichen. Möglicherweise hat der Druck auf junge Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen sogar noch zugenommen, (Aus‑)Bildungsangebote anzunehmen, die ihren Interessen nicht entsprechen. Besonders in Kontexten sozialer Benachteiligung ist aus Sicht der Institutionen wie der jungen Menschen selbst unsicher, welche Arbeitsorientierungen und Berufsperspektiven sie entwickeln. Damit ist gemeint, welche Bedeutung sie Erwerbsarbeit in ihren Lebensentwürfen zuschreiben, mit welchen Inhalten und Formen von Arbeit sie sich identifizieren und welche Berufswünsche und Berufswahlentscheidungen sie daraus ableiten (vgl. Walther 2020a).

Benachteiligte Jugendliche und junge Erwachsene, denen der Übergang in eine anerkannte und subjektiv zufriedenstellende Ausbildung und/oder Erwerbsarbeit nicht bruchlos gelingt, werden dabei durch institutionelle Übergangshilfen, die Elemente sozialpädagogischer Unterstützung enthalten, reguliert und prozessiert. War die sozialpädagogische Jugendberufshilfe in den 1990er-Jahren noch eine eigenständige Akteurin, hat sie sich im Kontext des aktivierenden Wohlfahrtsstaats jedoch sukzessive in Organisationen wie Schule, berufliche Bildung und Jobcenter verlagert. Im Rahmen individualisierter Fallführung und Koordinierung von „Hilfen aus einer Hand“ (Klie 2011) ist nicht mehr eindeutig, wo, wie und mit welchen Folgen sozialpädagogische Praxis an der Gestaltung von Übergängen beteiligt ist.

Was bedeutet dies für die arbeitsweltbezogene Positionierung ‚benachteiligter‘ Jugendlicher und junger Erwachsener im Kontext institutioneller Übergangshilfen? Mit dem Konzept der arbeitsweltbezogenen Positionierung fragt der Beitrag, wie sich Arbeitsorientierungen und Berufsperspektiven in einem Wechselverhältnis des Positioniert-Werdens (durch diskursive Zuschreibungen und institutionellen Regulierungen) und des Sich-Positionierens (auf Grundlage subjektiver Erfahrungen, Orientierungen und Ansprüche) formieren. Theoretische Grundlage ist das Konzept Doing Transitions, dem zufolge Übergänge als soziale Vollzugswirklichkeiten im Zuge ihrer Gestaltung fortlaufend durch diskursive, institutionelle und individuell zugeschriebene Praktiken hergestellt werden (Walther et al. 2020).

Im Beitrag wird zunächst kurz die Auseinandersetzung der deutschen Jugend- und Übergangsforschung mit Arbeitsorientierungen und Berufsperspektiven junger Menschen im Kontext sozialer Benachteiligung nachvollzogen, um dann unter Rückgriff auf die Forschungsperspektive Doing Transitions die Heuristik arbeitsweltbezogene Positionierung zu entwickeln. Anschließend werden im Sinne eines minimal-kontrastiven Vergleichs Entwicklungen institutioneller Fallführung der Übergänge ‚benachteiligter‘ Jugendlicher in Deutschland und der Schweiz beschrieben, an jeweils zwei Fällen ihr Beitrag zu Prozessen arbeitsweltbezogener Positionierung analysiert und ihr Potenzial für die Sozialpädagogik resümiert.

1 Arbeitsorientierungen und Berufsperspektiven im Kontext sozialer Ungleichheit

Die sozial- und erziehungswissenschaftliche Jugend- und Übergangsforschung hat sich verstärkt ab Ende der 1970er-Jahre den Arbeitsorientierungen und Berufsperspektiven Jugendlicher zugewandt, als die Brüche im fordistischen Produktionsmodell begannen, sich auf den institutionalisierten Lebenslauf und insbesondere Übergänge in Arbeit und Beruf auszuwirken. Aus einer Generationenperspektive wurde danach gefragt, inwiefern Jugendliche generell noch einen um beruflich verfasste Erwerbsarbeit zentrierten normalbiografischen Lebensentwurf auf Basis des Normalarbeitsverhältnisses (lebenslange, sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung) teilten oder sich ihre Orientierungen zunehmend von Leistung hin zu postmateriellen Werten verschoben (Inglehart 1995). Fragen nach dem Stellenwert von Arbeit und nach subjektiven Ansprüchen an Arbeit werden seitdem regelmäßig in repräsentativen Surveys wie etwa der Shell-Jugendstudie gestellt und nähren zuschreibende und vereinheitlichende Generationenbilder, z. B. „die junge Generation hat die Krise der Arbeitsgesellschaft erreicht“, „pragmatische Generation“ oder „Generation Z“ (vgl. Deutsche Shell 1997, 2006, 2019). Diese lassen sich als Stellvertreterdiskurse für in bestimmten gesellschaftlichen Konstellationen jeweils relevant gemachte Integrationsprobleme interpretieren (vgl. Hornstein 1979).

In dem Maße, in dem sich der soziale Wandel in der Verfestigung struktureller Arbeitslosigkeit niederschlug, konzentrierte sich die Sorge um die Arbeitsorientierungen und Berufsperspektiven Jugendlicher auf die als ‚benachteiligt‘ etikettierten Jugendlichen, die nicht direkt nach der Schule in Ausbildung, Studium oder Beruf mündeten. Zu dieser Gruppe zählten vor allem Schulabgänger*innen mit höchstens Hauptschulabschluss, anfangs eher Mädchen als Jungen (inzwischen längst umgekehrt) und mit der Zunahme von Zuwanderung zunehmend Jugendliche mit Migrationshintergrund (vgl. Autorengruppe Bildungsbericht 2022). Schon Mitte der 1980er-Jahre verwiesen Heinz und Krüger (1985) unter dem Titel „Hauptsache eine Lehrstelle“ auf eine arbeitsmarktbedingte Zunahme extrinsisch motivierter und deshalb weniger belastbarer Berufswahlentscheidungen. Aus Angst vor Arbeitslosigkeit und unter Druck eines wohlfahrtsstaatlichen Primats des ‚Unterkommens‘ seitens Arbeitsagentur und Jugendberufshilfe entschieden sich Jugendliche häufig für Ausbildungen, die nicht ihren subjektiven Interessen entsprachen. Ausdruck dieser Entwicklung sind nicht zuletzt die seit den 1990er-Jahren nicht mehr unter 25 % gesunkene Abbrecher*innenquote dualer Ausbildungen (vgl. BIBB 2022, S. 138 ff.).

Sukzessiv wurde die Jugendberufshilfe zu einer zentralen Akteurin der Gestaltung von Übergängen ‚benachteiligter‘ Jugendlicher von der Schule in Ausbildung und Beruf, ohne dass sich die Konturen dieses Arbeitsfeldes je eindeutig klären ließen. Jugendberufshilfe bezeichnet einer engen Bestimmung zufolge (in Deutschland) Maßnahmen arbeitsweltbezogener Jugendsozialarbeit nach § 13 SGB VIII. Eine weite Bestimmung umfasst dagegen alle (sozial)pädagogischen Maßnahmen zur Unterstützung Jugendlicher beim Eintritt in eine Ausbildung oder Beschäftigung unabhängig von ihrer Institutionalisierung und Finanzierung. Studien zu Maßnahmen der Jugendberufshilfe zeigten schon früh das Dilemma einer „Vorbereitung auf eine Hoffnung, die vielleicht niemals stattfindet“ (Galuske 2005, S. 890). Die Anerkennung und Unterstützung durch sozialpädagogische Fachkräfte verringere nicht „die Länge der Schlange vor den Toren des Arbeitsmarktes“ (ebd.) – oder anders: Sie bedeutet nicht Überwindung von Benachteiligung, sondern Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Folgen (Hirschfeld 2021). Diese Pädagogisierung des Umgangs mit Ungleichheit am Übergang in den Arbeitsmarkt erhöht nur bedingt die beruflichen Kompetenzen der Jugendlichen, sie trägt vielmehr dazu bei, ihre beruflichen Ansprüche im Sinne eines Cooling-out an die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt anzupassen – „downsizen“, so ein interviewter Sozialarbeiter (Walther 2014, S. 127; vgl. Schaffner 2014; Dahmen 2020). Das Konzept der Lebensbewältigung bot schon früh ein zeitdiagnostisches, sozialisationstheoretisches Deutungsmuster für eine zunehmende Distanz junger Menschen gegenüber diesen Normalitätserwartungen und Normalisierungsweisen an den „Grenzen des Wohlfahrtsstaats“ (Böhnisch und Schefold 1985).

Eine Verbindung zwischen dem Blick auf den allgemeinen Wandel von Arbeitsorientierungen und Berufsperspektiven und seiner besonderen Ausprägung in Konstellationen sozialer Ungleichheit lieferte die qualitative Studie „Jugend: Arbeit und Identität“ (Baethge et al. 1988), deren Gegenstand die komplexen Interdependenzen von Identitätsprozessen und beruflicher Sozialisation waren. Sie zeigte, dass Erwerbsarbeit keineswegs unwichtig, sondern im Gegenteil mit subjektiver Bedeutung aufgeladen wurde: Selbst- und Sozialbezüge von Arbeit wurden wichtiger als instrumentelle und statusbezogene Kriterien; es sei denn – und hier zeigten sich Effekte soziale Ungleichheit – sie ließen sich aufgrund fehlenden kulturellen Kapitals oder aufgrund von Arbeitsmarktsegmentierung nicht umsetzen (ebd., S. 166 ff.). Eine ähnlich differenzierte Studie zu Arbeitsorientierungen und Berufsperspektiven Jugendlicher wurde seitdem nicht mehr durchgeführt. Allerdings zeigen Studien zu Übergängen junger Frauen oder Jugendlicher in Migrationslagen, dass Zuschreibungen, Segmentierungen sowie Vorwegnahme einer schwierigen Vereinbarkeit von Berufs- und Geschlechtsidentität oder von Diskriminierung verhindern, dass intrinsische Berufswünsche in entsprechende Berufswahlentscheidungen münden (z. B. Flaake und King 1992; Granato und Schittenhelm 2003; Spies 2010).

Seitdem hat sich die Lage dahingehend verändert, dass nach einem Einbruch der Ausbildungsstellenangebote in den 1990er- und 2000er-Jahren inzwischen, bedingt durch den demografischen Wandel und die sinkende Attraktivität dualer Ausbildung, vor allem im Handwerk von einem Fachkräftenachwuchsmangel die Rede ist. Immer mehr Jugendliche, die das Schulsystem mit niedrigen Schulabschlüssen verlassen, versuchen eher über weiteren Schulbesuch, etwa der allgemeinen Bildungsgänge beruflicher Schulen, ihre Abschlüsse zu erhöhen, als direkt in eine Ausbildung einzumünden. Aufgrund der geringen Durchlässigkeit des allgemeinen und beruflichen Schulsystems zeigt sich dieser Trend jedoch eher in qualitativen Studien als in Ausbildungsstatistiken (vgl. Walther 2020a).

2 Doing Transitions und die arbeitsweltbezogene Positionierung junger Menschen

Übergänge Jugendlicher und junger Erwachsener wurden von Forschung, (sozial)pädagogischer Praxis und Politik lange mit Fokus auf den Verlauf zwischen als gegeben angenommenen Ausgangszuständen und Zielzuständen thematisiert. Besonders interessierte, ob und wie Jugendlichen der Eintritt in Ausbildung (erste Schwelle) sowie Erwerbsarbeit (zweite Schwelle) gelang und welchen Einfluss soziale und ethnische Herkunft, Geschlecht und Bildungsabschluss dabei hatten. Die normativ bindende Erwartung dieses Übergangs wurde außer in Diskursen zum Ende der Arbeitsgesellschaft (z. B. Galuske 2005) nie hinterfragt. Immer noch werden dagegen Arbeitsorientierungen und Berufsvorstellungen Jugendlicher als individuelle Merkmale und Aspekte ihrer (fehlenden) Ausbildungsreife zugeschrieben. Je nach Passung zu den mit den jeweiligen Schulabschlüssen verfügbaren Ausbildungsstellen werden sie als (un)realistisch gedeutet und zum Gegenstand pädagogischer Adressierung (Walther 2014).

Eine solche Perspektive auf Übergänge bezeichnet Schröer (2013, S. 64) als „methodologischen Institutionalismus“. Sie arbeitet sich an der Wirkung sozialer Ungleichheit an Übergängen ab, die sie durch die Annahme dieser Übergänge und ihrer Ausgangs- und Zielzustände als gegeben jedoch selbst reproduziert (vgl. Hirschfeld 2021). Die heuristische Forschungsperspektive Doing Transitions zielt deshalb auf eine reflexive Übergangsforschung, welche die gesellschaftliche Gestaltung und das Hervorbringen von Übergängen selbst zum Gegenstand macht. Übergänge werden aus einer praxistheoretischen Perspektive nicht als soziale Tatsachen, sondern als soziale Vollzugswirklichkeiten verstanden, als soziale Praktiken der Differenzierung zwischen Ausgangs- und Zielzuständen, Lebensaltern, Rollen, beruflichen, sozialen und Subjektpositionen. Zentral sind insbesondere diskursive Praktiken der Problematisierung und Unterscheidung (etwa von Erfolg und Scheitern), institutionelle Praktiken der Regulierung und Prozessierung von Übergängen (einschließlich ihrer pädagogischen Begleitung) sowie der Positionierung der Individuen zur Adressierung als nicht mehr Schüler*in, aber noch nicht berufstätig, indem sie (eigensinnige) Bildungs- und Berufswahlentscheidungen treffen. Arbeitsorientierungen und Berufsperspektiven werden deshalb als arbeitsweltbezogene Positionierung junger Menschen gefasst, und zwar als Wechselverhältnis des Positioniert-Werdens und der Selbstpositionierung. Von jungen Menschen wird erwartet, sich beruflich zu orientieren, dazu müssen sie sich verhalten – auf die eine oder andere Weise (Walther 2020a; Walther et al. 2020).

Im Folgenden werden die Positionierungen Jugendlicher und junger Erwachsener im Verhältnis zu Mechanismen der Fallführung wohlfahrtsstaatlicher Institutionen betrachtet. Im Wandel von einem versorgenden hin zu einem aktivierenden Wohlfahrtsstaat verschiebt sich die Fallführung hin zur Erwartung und Kontrolle der Eigenverantwortung von Hilfeempfänger*innen (deutlich in der Programmatik „Fördern und Fordern“), die durch Eingliederungsvereinbarungen bzw. Kooperationsplan sowie positive und negative Anreize (Sanktionen) ‚aktiviert‘ wird. Die institutionelle Gestaltung des Übergangs vollzieht sich im Sinne des Case Management (Weaver und Hazenfeld 1997; Klie 2011). Dabei verfügen Fachkräfte, im Sinne der ‚Street-Level-Bureaucracy‘ (Lipsky 1980), durchaus über Spielräume, Vertrauen aufzubauen, Partizipation zu ermöglichen, Stigmatisierung zu vermeiden oder Konflikte zu bearbeiten.

Arbeitsorientierungen und Berufsperspektiven als Positionierungen zu verstehen, verweist erstens auf die Interaktivität von Prozessen der Orientierung und Entscheidung, die häufig individuell zugeschrieben werden, damit aber das Wechselverhältnis von Subjektivierungsprozessen zwischen Positioniert-Werden und Sich-Positionieren (Hall 1997; Spies 2010) einseitig auflösen (vgl. Dahmen 2020). Zweitens verdeutlicht es die Machtförmigkeit der Positionierung in Übergängen in Arbeit, ohne einem strukturdeterministischen Kurzschluss anheim zu fallen. Drittens verweist es auf die nie abgeschlossene Prozessualität von Orientieren und Entscheiden. Viertens wird damit deutlich, dass Arbeitsorientierungen und Berufsperspektiven wesentlich komplexer sind als ein institutionalisiertes Marktgeschehen von Angebot und Nachfrage und eine auf qualifikatorische Aspekte reduzierte Passung (z. B. BIBB 2022, S. 198 ff.; Bonvin et al. 2013). Vielmehr zeigen sich Diskurse, die keineswegs widerspruchsfrei, sondern häufig gegenläufig verlaufen und zu eigensinnigen Auflösungen führen – wie etwa dem Bestreben, trotz verfügbarer Ausbildungsstellen im Schulsystem zu bleiben (vgl. Walther 2020a).

3 Die Prozessierung von Übergängen in Erwerbsarbeit in Deutschland und der Schweiz

Für die Analyse der wohlfahrtsstaatlich-institutionellen Gestaltung und Prozessierung von Übergängen im Lebenslauf bieten sich international-vergleichende Untersuchungen an (Walther 2020b). Ein Vergleich von Übergängen junger Menschen in Ausbildung und Beruf in Deutschland und der Schweiz, die beide dem sogenannten erwerbsarbeitszentrierten Übergangsregime zugeordnet werden, ist ein minimal-kontrastiver Vergleich, der es erleichtert, bestimmte institutionelle Faktoren zu identifizieren, aus denen Unterschiede resultieren (Schmid 2010). Dieser Regimetyp ist durch die Verbindung einer selektiven Schule, einer standardisierten Berufsausbildung, begrenzte eigenständige Sozialleistungsansprüche junger Menschen sowie einer zentralen Rolle berufsvorbereitender Maßnahmen und sozialpädagogischer Praxis in der Bearbeitung prekärer Übergänge charakterisiert (Pohl und Walther 2007). Im Wandel zum aktivierenden Wohlfahrtsstaat zeigen sich jedoch teilweise unterschiedliche Entwicklungen (vgl. Stolz und Gonon 2008), was einen minimal-kontrastiven Vergleich erlaubt.

In Deutschland verzeichnet die duale Ausbildung seit den 1990er-Jahren einen deutlichen Bedeutungsverlust, zum einen aufgrund des Abbaus von Ausbildungsplätzen seitens der Unternehmen, auch wenn für Jugendliche die Entwicklung einer Berufsidentität schon länger nicht mehr so einfach mit jugendkulturellen Lebensstilen zu vereinbaren ist, insbesondere in den Ausbildungsberufen, die die Jugendlichen mit besseren Ausgangsbedingungen als unattraktiv bewerten. Letzteres gilt scheinbar paradoxerweise besonders seit der Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt (BIBB 2022, S. 73 ff.), auch wenn für Jugendliche die Entwicklung einer Berufsidentität schon länger nicht mehr so einfach mit jugendkulturellen Lebensstilen zu vereinbaren ist, insbesondere in den Ausbildungsberufen, die die Jugendlichen mit besseren Ausgangsbedingungen als unattraktiv bewerten (z. B. Handwerk, Einzelhandel, Baugewerbe; vgl. Walther et al. 2007). Die langsam zunehmende Durchlässigkeit im deutschen Bildungssystem hat dazu geführt, dass im Vergleich zu den 1980er-Jahren aktuell nur noch ein und nicht mehr zwei Drittel eines Jahrgangs eine Lehre beginnt (außerdem münden jeweils ca. 10 % in schulische Ausbildungen und Maßnahmen des ‚Übergangssektors‘; BIBB 2022, S. 73 ff.). Institutionell wurde darauf mit einer Vorverlagerung von Berufsorientierung in die Schule (vgl. Chyle et al. 2019), der Ausdifferenzierung eines sogenannten ‚Übergangssektors‘ an berufsvorbereitenden Maßnahmen und der Bearbeitung von Übergängen Jugendlicher und junger Erwachsener im Sozialleistungsbezug durch die Jobcenter bzw. Jugendberufsagenturen reagiert (Kolbe et al. 2018; siehe unten). Wurden in den 1990er-Jahren Maßnahmen der Jugendberufshilfe noch durch sozialpädagogische Träger der Jugendhilfe umgesetzt und durch die Bundesagentur für Arbeit finanziert, findet die sozialpädagogische Bearbeitung von Übergängen in Arbeit zunehmend in nicht sozialpädagogisch organisierten Institutionen statt. Dies ist keineswegs als De-Institutionalisierung von Übergängen zu deuten, jedoch ist deren institutionelle Gestaltung durch den Widerspruch einer Abkehr vom und eines gleichzeitigen Festhaltens am Normalarbeitsverhältnis berufsförmig organisierter Arbeit gekennzeichnet (Bremer und Pfaff 2021). Mittels der Diskursfigur der (fehlenden) ‚Ausbildungsreife‘ wird die Verantwortung für die Passungsprobleme am Übergang den Jugendlichen und ihrem Mangel an „realistischen Berufsperspektiven“ zugeschrieben (Walther 2014).

In der Schweiz stellt sich die Entwicklung ein wenig anders dar. Hier beginnen pro Kohorte etwa 50 % der Jugendlichen und jungen Erwachsenen nach der Sekundarstufe I eine berufliche Grundbildung, etwa 30 % besuchen eine allgemeinbildende Schule (gymnasiale Maturitätsschulen, Fachmittelschulen oder Fachmaturitätsschulen; vgl. Gomensoro und Meyer 2021, S. 6 f.). Eine Berufsausbildung ist damit – wohl auch aufgrund der höheren Durchlässigkeit im Bildungssystem und damit zum Studium – nach wie vor die erste Wahl, auch wenn die Matura an Bedeutung gewinnt. Gleichzeitig bleiben circa 10 % der jungen Erwachsenen bis zu ihrem 25. Lebensjahr ohne berufliche Grundbildung (Golder et al. 2019; BFS 2022). Um das bildungspolitische Ziel von 95 % der jungen Menschen im Alter von 25 Jahren mit einem Abschluss der Sekundarstufe II zu erreichen (vgl. WBF und EDK 2019), besteht in allen Kantonen ein Grundangebot schulischer Berufsorientierung und sogenannter ‚Zwischenlösungen‘ (Brückenangebote, Motivationssemester, Laufbahnberatung, Lehrstellenvermittlung oder Mentoring; vgl. Schmidlin et al. 2018; Dahmen 2020; SBFI 2022). All diese Maßnahmen des Schweizer Übergangssystems wurden de facto zum Regelangebot, das von rund 20 % der Schulabgänger*innen genutzt wird, obwohl sie in der formalen Bildungssystematik nicht vorgesehen sind (Schaffner et al. 2022, S. 17; vgl. Gomensoro und Meyer 2021).

Unterschiede zu Deutschland zeigen sich u. a. mit Blick auf die Zuständigkeiten: So gab es in der Schweiz nie eine dezidierte Jugendberufshilfe. Berufsorientierung und -vorbereitung gelten als Aufgaben der Schule, wenn auch mit sozialpädagogischen Mitteln (Schaffner 2014, S. 120). An den Angeboten sind Institutionen aus den Bereichen (Berufs‑)Bildung, Arbeit und Soziale Sicherheit (v. a. Invalidenversicherung und Sozialhilfe) beteiligt, deren Finanzierung, Zuständigkeiten, Zielgruppendefinition, Leistungsanspruch und Leistungen sich deutlich unterscheiden. Inzwischen besteht zur Förderung interinstitutioneller Kooperation das Case Management Berufsbildung (CM BB); eine Einzelfallhilfe für Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 25 Jahren mit erhöhten Problemlagen bei der Berufsintegration.

4 Arbeitsweltbezogene Positionierung Jugendlicher und junger Erwachsener in Prozessen institutioneller Fallführung im Vergleich

Im Folgenden werden auf Grundlage der Daten mehrerer Forschungsprojekte jeweils zwei biografische Fälle der beruflichen Übergänge junger Menschen im Kontext von Benachteiligung und institutioneller Fallführung im deutschen Jobcenter und im Schweizer CM BB präsentiert, um dann im Vergleich von individuellen Übergangsverläufen und institutionellen Kontexten Muster arbeitsweltbezogener Positionierung herauszuarbeiten.

4.1 Fallführung und Positionierung im deutschen Jobcenter

In Deutschland werden Übergänge junger Menschen, die zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes mittelbar über ihre Familie oder direkt Transferleistungen des Sozialstaates beziehen, durch die Jobcenter bzw. Jugendberufsagenturen prozessiert (JBA). In den JBA arbeiten Jobcenter, Berufsberatung und Jugend(berufs)hilfe auf unterschiedliche Weise auf lokaler Ebene zusammen. In der Regel liegt die Federführung beim Jobcenter, während die Jugendberufshilfe für die ‚schwierigen‘ Fälle mit ‚multiplen Vermittlungshemmnissen‘ zuständig ist (Kolbe et al. 2018). Dadurch wird ihre traditionell nachrangige und kompensatorische Funktion in neuer institutioneller Form festgeschrieben (vgl. Münder und Hofmann 2017). Im Sinne der ‚Aktivierung‘ soll das zentrale Ziel der Unabhängigkeit von Sozialleistungen über die Integration in Erwerbsarbeit (vgl. § 1 SGB II) mittels Maßnahmen der beruflichen Orientierung und Vermittlung in Ausbildung bzw. Erwerbsarbeit erfolgen. Diese Prämisse überträgt sich in der neu geschaffenen Institution der JBA auch auf die Jugend(berufs)hilfe und ist Ausdruck der Verschiebung zum aktivierenden Wohlfahrtsstaat. Verantwortlich für die Fallführung und die Steuerung und Koordination von „Hilfen aus einer Hand“ (vgl. Göckler 2006) sowie Maßnahmen externer Bildungsträger sind sogenannte ‚persönliche Ansprechpersonen‘ (pAp) der Jobcenter, die selten über (sozial)pädagogische Qualifikationen verfügen (Baethge-Kinsky et al. 2007).

Im Rahmen der Dissertationsstudie „Die richtige Hilfe!? Junge Menschen in Auseinandersetzung mit dem Jobcenter“ wurden im Zeitraum von 2015 bis 2019 mit 17 Personen zwischen 16 und 24 Jahren, die Grundsicherung beziehen, biographisch-narrative Interviews geführt und angelehnt an die Fallrekonstruktion nach Rosenthal (2011) und die Positionierungsanalyse (z. B. Spies 2010) ausgewertet. Fokus der Studie sind die biographischen Konstruktionen der jungen Menschen im Spannungsfeld gesellschaftlicher und institutioneller Normierungs- und Regulierungsprozesse sowie die Frage nach ihrer Handlungsfähigkeit in der Nutzung von institutionellen Hilfen im Übergang in Ausbildung und Arbeit.

4.1.1 „Beim Jobcenter, die meinte zu mir, ja ich wär’ nicht mal fähig ’ne Ausbildung zu finden, auch nicht eine zu machen.“

Chahida Alaoui ist zum Zeitpunkt des Interviews 18 Jahre alt. Mit vier Jahren migriert sie mit ihrer Familie aus Nordafrika nach Deutschland. Ihren Hauptschulabschluss erwirbt sie ein Jahr nach Abschluss der allgemeinbildenden Schule in einem Bildungsgang zur Berufsvorbereitung (BzB). Da ihre Eltern Grundsicherung beziehen, wird sie am Ende ihrer Schulzeit vom Jobcenter adressiert. Da sie als ‚unversorgt‘ gilt (weder in Schule noch in Ausbildung oder Arbeit), muss sie nach ihrem Schulabschluss innerhalb von knapp zwei Jahren an drei Maßnahmen zur ‚Aktivierung‘, beruflichen Orientierung und Vermittlung teilnehmen. Zwei Ausbildungsplatzangebote (in einem Fast-Food-Restaurant und als Fleischereifachverkäuferin) lehnt sie ab. „Das war nicht mein Ding“, erläutert Chahida die fehlende Passung zwischen den Angeboten und ihren Vorstellungen. Ihren Wunschberuf Fachverkäuferin für Textilien und Bekleidung rechtfertigt sie mit dem aus ihrer Sicht geringen Anforderungsniveau, wenngleich ihr der Berufsberater der Arbeitsagentur mit Verweis auf ihre Noten wenig Hoffnung macht. Bestätigung für diesen Wunsch erfährt sie durch eine Teilzeitbeschäftigung in einem Modeladen. Diese Zeit benennt sie als die glücklichste in ihrem Leben – mit einem geregelten Alltag und einem Job, der ihr „einfach Spaß“ macht. Ihre Auseinandersetzung mit der Arbeitsverwaltung (Arbeitsagentur und Jobcenter) schildert sie als zunehmende Belastung und markiert retrospektiv den ersten Kontakt als negativen Wendepunkt in ihrem Leben: Während sie zu Beginn angenommen habe, Hilfe zu erhalten und die erste Arbeitsvermittlerin ihr Partizipationsmöglichkeiten im Hilfeprozess zugestand, fühlt sie sich durch ihre aktuelle pAp stigmatisiert. Hintergrund ist ein Test des Berufspsychologischen Dienstes der Arbeitsagentur, der ihr eine Behinderung attestiert. Dies und den Vorschlag, sie in eine Reha-Ausbildung zu vermitteln, lehnt Chahida vehement ab. Sie vergleicht das Jobcenter mit einem Gefängnis und fühlt sich kontrolliert. Sie positioniert sich als alleingelassen und sieht auch in ihrer Familie keine unterstützende Ressource. Sie positioniert sich als Person, die sich (institutionelle) Unterstützung und Hilfe wünscht(e), eben auch da ihre Familie dies nicht leisten kann, aber die Fachkräfte hätten ihr anfängliches Vertrauen in institutionelle Unterstützungssysteme verspielt. Die Integration in Ausbildung und Arbeit verbunden mit einem geregelten Alltag präsentiert sie als ihr Ideal.

4.1.2 „Ich habe dann von allen Seiten Druck gekriegt“

Olaf Nies nimmt im Alter von 20 und 21 Jahren an zwei Interviews teil. Wie Chahida präsentiert er seinen Sozialleistungsbezug als familiär bedingt im Sinne einer Vererbung sozialer Ungleichheit durch die Sucht der Eltern. Auch ihn zwingt die Adressierung seitens des Jobcenters als ‚unversorgt‘ zur Auseinandersetzung mit der Institution. Allerdings liegt der Fokus von Olafs pAp auf Vermittlung in Arbeit statt Ausbildung, u. U. aufgrund Olafs langjähriger Ablehnung bzw. Boykottierung sozialpädagogischer Maßnahmen in Gruppensettings und seiner beruflichen Orientierungslosigkeit. Er schätzt seine (beruflichen) Handlungsmöglichkeiten „mit diesem, miserablen Hauptschulabschluss, äh mit einer versemmelten Ausbildung“ als gering ein. Ihm werden zwei Jobs bei Zeitarbeitsfirmen vermittelt. Diese Arbeitserfahrungen beschreibt er, anders als Chahida, negativ. Zwar sagt Olaf, nur arbeiten zu wollen, wenn es „Spaß macht“, doch zeigt die Ausrichtung seiner Alltagsstruktur am Job seine Bemühungen, den arbeitsweltlichen Anforderungen im Niedriglohnsektor gerecht zu werden. Die Schichtarbeit bringt ihn jedoch an seine körperliche Belastungsgrenze und ihm wird gekündigt. Olaf unternimmt noch einzelne Anläufe zur beruflichen Integration, erfährt jedoch Rückschläge. Sein pAp verweist ihn, nachdem er an einer Maßnahme erneut nicht regelkonform teilnimmt und ihm eine Sanktionierung bevorsteht, an die Jugendberufshilfe unter dem Dach der JBA. Dort erlebt Olaf zwar mehr „Verständnis für [s]eine Lage“, doch das Jobcenter bestimmt auch hier die eingeschränkte Möglichkeitsstruktur: Olaf hat sich zur Erlangung des Realschulabschlusses und um der „Zeitarbeitsfirma-Falle“ zu entkommen, an einer Abendschule eingeschrieben. Dies wird vom Jobcenter aufgrund der abendlichen Schulzeiten nicht anerkannt, sodass er als ‚unversorgt‘ gilt und verpflichtet wird, mit Unterstützung der Jugendberufshilfe eine (Teilzeit‑)Erwerbstätigkeit zu finden. Olaf bemüht sich zwar weiterhin darum, seine beruflichen Möglichkeiten zu erweitern, vor allem um den Anforderungen seiner Familie gerecht zu werden, die sich um ihn und seine Zukunft sorgt, fragt sich jedoch desillusioniert „warum sollte man dann noch anfangen, Träume zu machen, wenn man sowieso weiß, dass das Meiste davon zumindest nicht hinhauen wird“.

Auch wenn Olaf seine Beziehungen zu den Fachkräften des Jobcenters weniger konflikthaft schildert als Chahida und sich handlungsfähig fühlt, indem er den Fachkräften Integrationsbemühungen vorspielt, gehen Anpassungsdruck und Defizitzuschreibungen an beiden nicht spurlos vorbei. Immer wieder ringen sie um eine subjektiv zufriedenstellende Berufsperspektive und lehnen ein ‚Unterkommen um jeden Preis‘ ab. Auch wegen der familiären Verantwortungszusammenhänge, in die sie eingebunden sind, versuchen sie, Kompromisse auszuhandeln, die ihnen jedoch entweder verwehrt werden oder nicht aufgehen. Während sie selbst dies damit begründen, dass ihre Kompetenzen und Anpassungsbemühungen von Seiten institutioneller Akteur*innen nicht angemessen anerkannt werden, sehen sich die Vertreter*innen des Jobcenters in ihrer Zuschreibung bestätigt, dass es für diese jungen Menschen weniger um eine anerkannte berufsbiografische Perspektive als um die Vermittlung in irgendeinen Job geht.

4.2 Fallführung und Positionierung im Schweizer CM BB

In der Schweiz wurde ab 2008 das Case Management Berufsbildung (CM BB) mit dem Fokus der beruflichen und sozialen Integration von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit „besonderen Vermittlungsschwierigkeiten“ eingeführt (vgl. SBFI 2022). Auf Ebene der Kantone wird es jedoch unterschiedlich umgesetzt, sowohl was den Zugang als auch die systematische und präventive Bearbeitung riskanter Übergänge betrifft (vgl. BIZ 2015). Mit seinem Handlungsansatz des Case Managements, dem als Fallführungsinstrument eine hohe Bedeutung für die Arbeit mit „komplexen Fällen“ beigemessen wird, und der Kooperation mit unterschiedlichen Akteur*innen zielt es auf eine jugendgerechte, ganzheitliche Beratung (vgl. Amstutz 2019, S. 222). Ähnlich wie im deutschen Jobcenter, fokussiert das CM BB formale Unterstützungsleistungen der beruflichen Integration (Bewerbungsunterlagen anfertigen, Stellen recherchieren, administrative Fragen klären etc.). Anders als in Deutschland, liegt die finanzielle Unterstützung nicht beim CM BB, sondern im Aufgabenbereich der Sozialhilfe, auch wenn das CM BB als fallführende Stelle oftmals Jugendliche weitervermittelt.

Die biografischen Interviews mit Teilnehmer*innen des CM BB, die im Folgenden analysiert werden, wurden 2018 im Rahmen einer Vorstudie für einen Forschungsantrag des [Name Institut] (Interview Rolf Meier) und in einem Lehrforschungsprojekt mit Masterstudierenden der [Name Hochschule] 2022 (Interview Ana Zaric) geführt. Die Interviews wurden in Anlehnung an Flick (2007) thematisch codiert und für den Beitrag mit einem diskurstheoretisch-sensibilisierten Blick (Spies 2010) neu ausgewertet. Der Fokus lag beide Male darauf, zu rekonstruieren, welche berufsbezogenen Erwartungen an junge Menschen im Kontext sozialpädagogischer Übergangshilfen an sie herangetragen werden, wie sie diese verarbeiten und bewältigen.

4.2.1 „Ich wollte immer am liebsten arbeitslos sein.“

Rolf Meier ist zum Interviewzeitpunkt 25 Jahre alt und im zweiten Lehrjahr. Er wuchs bei seiner alleinerziehenden Mutter ohne Kontakt zum Vater auf. Seine Kindheit ist geprägt von verschiedenen Konflikten in der Familie und der Schule. Er sei „kein einfaches Kind“ gewesen und habe sich weder an Regeln noch an Grenzen gehalten. Zeitweise sei er deshalb in einem Schulheim untergebracht gewesen und mit 18 Jahren von zu Hause ausgezogen. Dennoch beschreibt er ein vertrautes Verhältnis zu seiner Mutter. Seine Schulzeit schildert Rolf aufgrund von Mobbing und Ärger mit Mitschüler*innen sowie wenigen Freundschaften als herausfordernd und konflikthaft. Zudem sei er mit dem Stoffpensum zeitweise über- oder unterfordert gewesen. Es folgen mehrere Schulwechsel, teils initiiert von der Mutter, um ihn vor dem Mobbing zu schützen, teils aufgrund schlechter Schulleistungen. Mit seiner Berufswahl setzt sich Rolf erstmals während der Schulzeit auseinander. Seinen Wunschberuf Polizist verwirft er schnell: einerseits aufgrund seiner Körpergröße; andererseits da er „sehr früh sehr in Clinch gekommen mit dem Gesetz“ sei. Rolf betont mehrfach, dass er eigentlich gar nicht arbeiten möchte, beginnt aber nach seinem Sekundarschulabschluss eine Lehre als Konditor, die er nach einem halben Jahr aufgrund der Rahmenbedingungen abbricht. In der folgenden Zeit finanziert er sich über Schwarzarbeit auf dem Bau und in der Gastronomie, bis dies aufgrund seiner fehlenden Berufsausbildung immer schwerer wird. Er gerät in finanzielle Engpässe, meldet sich beim Sozialamt und beantragt Sozialhilfe. Diese wird bewilligt, zudem erhält er eine finanzielle Wohnunterstützung und wird an ein Berufsintegrationsangebot verwiesen. Da dies mit einer höheren finanziellen Unterstützung verbunden sei, entscheidet sich Rolf für eine Teilnahme. So kommt Rolf in Kontakt mit dem CM BB. Er erlebt den Mitarbeiter als aufgeschlossen, da dieser seine Entscheidung (vorerst) nicht arbeiten zu wollen akzeptiert und keinen Druck ausübt. Er kann auch einzelne Unterstützungsangebote ablehnen, ohne sanktioniert zu werden, weshalb er das CM BB als „Lebensbegleitung“ wahrnimmt. Nach etwa einem halben Jahr schlägt der Mitarbeiter Rolf vor, eine Ausbildung zu beginnen und eröffnet ihm verschiedene Möglichkeiten. Rolf hat das Gefühl, selbst entscheiden zu können und beschließt, sich „wirklich wieder essenziell an diesem Ding zu beteiligen“. Er absolviert zwei Praktika und beginnt eine Ausbildung zum Fachangestellten Behinderung in einer Einrichtung für körperlich behinderte Menschen, die er als zu seinem Lebensstil passend empfindet.

4.2.2 „Ich weiß, in der Schweiz bekommt man immer Hilfe, man muss nur wollen und, ja, holen.“

Ana Zaric ist zum Interviewzeitpunkt 24 Jahre alt. Ana beschreibt ihre Kindheit als herausfordernd: Sie wuchs mit ihrem Zwillingsbruder bei ihren Großeltern in Serbien auf, ihre Mutter lebte nicht mit ihnen zusammen, der Vater migrierte in die Schweiz. Mit 9 Jahren zieht sie mit ihrem Bruder zu ihm und ihrer Stiefmutter. Ihr fällt es zunächst schwer, sich an den neuen Lebensort zu gewöhnen. Ihr fehlen Freund*innen, sie erfährt Mobbing, versteht die Sprache nicht und erlebt ihren Vater als wenig unterstützend. Immer wieder gibt es Konflikte mit ihm und der Stiefmutter, die letztlich zum Auszug und Kontaktabbruch führen. Während Ana in Serbien die Schule nur unregelmäßig besuchte, geht sie nach einem Intensivkurs für Deutsch in der Primarschule in der Schweiz regelmäßig zur Schule. Dennoch muss sie aufgrund fehlender Sprachkenntnisse eine Klasse der Primaschule wiederholen. Sie ist bemüht, den Anforderungen gerecht zu werden, sieht den Schulabschluss als große Chance, um eine Berufsausbildung sowie einen Job zu finden und nutzt Unterstützungsangebote. In der Sekundarstufe I begibt sich Ana selbst auf die Suche nach Unterstützung und findet sie bei ihrem (Klassen‑)Lehrer. Dieser rät ihr, als sie in der 9. Klasse keine Ausbildungsstelle findet, das 10. Schuljahr zu absolvieren und stellt den Kontakt zum CM BB her. Damit wird Ana deutlich früher als Rolf Adressatin des CM BB. Nach anfänglichen Zweifeln erlebt sie diese Unterstützung, deren Fokus zunächst auf dem Finden einer Berufsausbildungsstelle liegt, zunehmend als hilfreich; vielleicht auch, weil sie nach einem absolvierten Praktikum eine verkürzte Ausbildung als Hauswirtschaftspraktikerin beginnen kann. Während der Lehre zwingt ihr Vater sie zum Auszug, woraufhin Ana zeitweise wohnungslos ist und psychische Probleme hat. Das CM BB hilft ihr bei der Wohnungssuche und vermittelt ihr Kontakte zu einer Jugendberatung, zur Sozialhilfe, einem Projekt zur Unterstützung wohnungsloser Menschen und einer Psychologin. Ana schließt die Lehre ab, besteht aber die praktische Prüfung nicht. Auf Anraten des CM BB meldet sie sich beim Sozialamt und kann über Umwege letztlich eine eigene Wohnung beziehen. Um finanziell unabhängig zu sein, strebt Ana eine Festanstellung an, statt die Ausbildung nachzuholen. Es folgen mehrere Stellenwechsel sowie das Nachholen der praktischen Prüfung, um den Lehrabschluss zu erhalten. Dabei erlebt Ana, dass persönliche Kontakte zu Betrieben Wege eröffnen, die über das Schreiben von Bewerbungen oftmals verschlossen bleiben. Zuletzt arbeitet sie in Festanstellung als Verkäuferin, verfolgt aber ihren über die Zeit gewachsenen Wunsch, eine schulische Ausbildung zur Sicherheitsassistentin zu absolvieren.

Anas und Rolfs arbeitsweltbezogene Positionierung ist geprägt vom Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit, der lange Zeit gegenüber intrinsischen Berufswünsche im Vordergrund steht. Nach einer Zeit des Gelderwerbs entwickelt Ana dann eine eigenständige berufsbiografische Perspektive und will berufliche Anerkennung erfahren. Rolf dagegen macht seine biografischen Erfahrungen zum Ausgangspunkt seiner Berufsbiografie und will der „Gesellschaft einmal etwas zurückgeben“. Finanzielle Aspekte schlagen sich in subjektiven Sinnkriterien von Arbeit nieder und treiben beide an, Berufsabschlüsse zu erreichen. Die Unterstützung durch das CM BB erfahren beide mehrheitlich positiv, als hilfreich und im Einklang mit ihren Bedürfnissen.

5 Vergleich und Diskussion

Welche unterschiedlichen arbeitsweltbezogenen Positionierungen zeigen sich in den oben skizzierten Fällen? Welche Rolle spielen dabei Prozesse institutioneller Fallführung? Gemeinsam ist Chahida Alaoui, Olaf Nies, Rolf Meier und Ana Zaric ein Aufwachsen mit familiären Konflikten und in sozialer Benachteiligung. Ihre Übergänge seit Beenden der Regelschule beinhalten verschiedene Maßnahmen, Ausbildungsanfänge und -abbrüche sowie Phasen prekärer Beschäftigung und Arbeitslosigkeit. Allerdings unterscheidet sich die Fallführung seitens des Jobcenters und des CM BB. So sind Ana und Rolf trotz ihrer Erwerbstätigkeit bzw. Ausbildung nach wie vor Teilnehmende des CM BB; Chahida und Olaf bleiben als ‚Unversorgte Kund*innen‘ des Jobcenters. Alle vier Übergangsverläufe weisen nicht nur Berufswünsche, sondern auch Ambivalenz, Unsicherheit oder sogar Distanz zu Erwerbsarbeit und Berufssystem auf. Wie Ana begründet auch Rolf Arbeit eher mit Geldverdienen als mit intrinsischen Berufsinteressen. Dass er dies jedoch über den Weg einer regulären Ausbildung angeht, begründet er mit der Passung des betreffenden Berufs zu seinem Lebensstil, der seitens des CM BB akzeptiert wird. Auch Ana bilanziert die Hilfe des CM BB als orientierend, stabilisierend und wertschätzend, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass sie die Entscheidung die praktische Prüfung zunächst nicht zu wiederholen eher undramatisch präsentiert (und später revidiert). Dagegen beharren Chahida und Olaf auch nach jahrelangen Suchprozessen und Maßnahmeteilnahmen auf einem selbstgewählten, ihren subjektiven Relevanzkriterien entsprechenden Berufswunsch, und zwar auch in Diskrepanz zu den Versuchen des Jobcenters sie in einen Status als ‚Versorgte‘ zu drängen. Obwohl sich Olaf gezwungen sieht, bei einer Zeitarbeitsfirma anzuheuern, scheint hier vor allem die Institution Arbeit auf das Geldverdienen zu reduzieren.

Ohne diese Unterschiede angesichts der Vielzahl an beteiligten Praktiken, Prozessen und Akteur*innen überzubewerten (vor allem naheliegende geschlechter- und migrationsbezogene Aspekte werden aus Platzgründen nicht systematisch einbezogen), dienen sie dennoch als Anregung für eine Spurensuche differenter Konstellationen der Subjektivierung und arbeitsweltbezogenen Positionierung sowie der Rolle institutioneller Fallführung. Diese erscheint in den Darstellungen von Rolf und Ana als durch eine lange Leine charakterisiert, die den beiden das Gefühl gibt, ihre eigenen Entscheidungen entsprechend ihrer subjektiven Relevanzkriterien zu treffen, ohne den Kontakt zum CM BB aufzugeben. Auch die materiellen Hilfen stellen sie eher als Ressourcen für ihren individuellen Lebensstil, denn als an Bedingungen geknüpft dar. Diese Hilfen fallen bei Chahida und Olaf keineswegs geringer aus, werden jedoch als mit Erwartungen und Bedingungen verbunden erfahren und deshalb im besten Fall ambivalent bewertet.

In Anbetracht der Rahmenbedingungen lässt sich in beiden Kontexten eine Aktivierung der wohlfahrtsstaatlichen Prozessierung von Übergängen zeigen – jedoch mit kleinen Unterschieden: Erstens ist in der Schweiz die Aufnahme einer Berufsausbildung noch häufiger, die Unterwerfung unter betriebliche und berufliche Normen in höherem Maße Normalität des Aufwachsens und wird deshalb möglicherweise weniger als Zumutung erfahren als in Deutschland. Dies entspricht zweitens einer eher berufsbildungspolitisch institutionalisierten Fallführung in der Schweiz und einer sozial- und arbeitsmarktpolitischen in Deutschland, die in besonderem Maße durch eine Übersetzung von Benachteiligung in individuelle Defizite und Hilfebedarfe geprägt ist. Drittens vollzieht das CM BB, anders als das Jobcenter, nicht Fallführung und Hilfeerbringung ‚aus einer Hand‘, sondern als Koordination eines lokalen Netzwerkes, so dass die Fachkräfte weniger leicht als verantwortlich für Entscheidungen zu (Un‑)Gunsten der Jugendlichen wahrgenommen werden. Dies kann auch durch die stärkere föderale Struktur in der Schweiz bedingt sein, wo fast alle übergangsrelevanten Institutionen auf kantonaler Ebene angesiedelt sind. Aus Sicht der Jugendlichen können damit höhere Freiheitsgrade verbunden sein, auch wenn diese sich in beiden Fällen letzten Endes in Entscheidungen im Sinne des Aktivierungsparadigmas niederschlagen, und zwar sowohl bezüglich der Richtung der Verläufe als auch im Sinne der individuellen Selbstzuschreibung (vgl. Dahmen 2020). Dagegen überträgt sich im Jobcenter der Druck, die Fallführung auch selbst zu einem Abschluss zu bringen, unvermittelt auf die Jugendlichen. Während Ana und Rolf die Unterstützung als hilfreich und ihren Bedürfnissen entsprechend deuten, fühlen sich Chahida und Olaf fremdbestimmt und erleben das Jobcenter als machtvolle Instanz, der sie sich kaum entziehen können. Sind für Rolf und Ana Armutserfahrungen ausschlaggebend, um sich der Aktivierungslogik zu unterwerfen, dominieren bei Chahida und Olaf Ungerechtigkeitserfahrungen, die eine vollständigen Unterwerfung verhindern. In allen vier Fällen lassen sich Cooling-out-Prozesse feststellen, allerdings scheinen diese im Kontext von CM BB ‚erfolgreicher‘ als im Kontext des Jobcenters. Erfolgreich meint hier im Sinne der interaktionistischen Logik des Cooling-out-Konzepts einer tatsächlich vollzogenen, ratifizierten und selbst verantworteten Anspruchsreduktion seitens der Subjekte (Goffman 1952; Walther 2020a; Hirschfeld 2021).

6 Schlussfolgerung

Arbeitsorientierungen und Berufsperspektiven junger Menschen entwickeln sich in Praxiskonstellationen der Gestaltung und Herstellung von Übergängen vom Bildungs- ins Erwerbssystem, an denen zahlreiche wohlfahrtsstaatlich institutionalisierte Akteur*innen beteiligt sind. In der Bearbeitung durch soziale Benachteiligung geprägter Übergänge greifen diese auf sozialpädagogische Formen der Begleitung und Beratung zurück, jedoch ohne dass sozialpädagogische Fachlichkeit eine klar von anderen Rationalitäten abgrenzbare Rolle spielt (vgl. Chyle et al. 2019). Das Konzept der arbeitsweltbezogenen Positionierung erlaubt, die im Vollzug und der Nutzung dieser Hilfen angelegten Cooling-out-Prozesse in einen weiteren Kontext zu stellen. Erstens dürfen diese nicht isoliert, sondern müssen als Momente lebenslanger Prozesse der Aufschichtung von Adressierung und Aneignung verstanden werden. Zweitens sind daran keineswegs nur Fachkräfte und Adressat*innen beteiligt, sondern vielfältige Akteur*innen und Praktiken im Rahmen historisch gewordener, diskursiv artikulierter und institutionell interdependenter Übergangsregimes (Walther 2020b). Drittens sind diese Positionierungen längst Teil responsibilisierender Subjektivierungsweisen im aktivierenden Wohlfahrtsstaat geworden. Diese vollziehen sich dabei keineswegs nur im Kontext repressiver Fallführung, sondern auch an der ‚langen Leine‘. Schließlich beziehen sie sich keineswegs ‚nur‘ auf die Relevanz der jeweiligen Hilfen, sondern sind folgenreich für die Bedeutung von (Erwerbs‑)Arbeit in den Biografien der jungen Menschen wie auch im weiteren gesellschaftlichen Kontext. Auch in Konstellationen sozialpädagogischer Bearbeitung erfahren junge Menschen die Dominanz des Aktivierungsparadigmas (vgl. Dahmen 2020), entwickeln aber dennoch Ansprüche auf subjektiv relevante Erwerbsarbeitsperspektiven und ringen um deren Umsetzung und vor allem darum, an dieser Umsetzung beteiligt zu sein. Auch wenn sozialpädagogische Fachlichkeit nicht per se gegen aktivierungspolitische Logiken immun ist, so ermöglicht doch ein Bestehen auf einer eigenen Fachlichkeit die Markierung von Widersprüchen zu anderen Rationalitäten und damit möglicherweise das Aufrechterhalten oder sogar eine Ausweitung von Spielräumen für eigensinnige Positionierungsweisen.