Anamnese und Befunde

Eine 72-jährige Patientin wurde in unsere Klinik überwiesen. Bei ihr war im Vormonat eine Probeexzision einer seit 3 Monaten bestehenden Hautläsion an der linken Augenbraue durch einen auswärtigen Chirurgen durchgeführt worden. Der histologische Befund ergab Anteile eines Merkel-Zell-Karzinoms (MCC).

Die Patientin war internistisch und ophthalmologisch vorerkrankt. Sie hatte einen Myokardinfarkt mit resultierender Herzinsuffizienz erlitten. Außerdem bestanden eine arterielle Hypertonie und eine linksseitige Karotisstenose von 60 %. Ophthalmologisch war beidseitig ein Ersatz der Hinterkammerlinse durchgeführt worden, es lagen weiterhin eine Glaskörpertrübung, ein Fundus hypertonicus und eine Blepharochalasis vor. Aufgrund einer Optikusatrophie bestand bereits zum Zeitpunkt der Diagnose eine Amblyopie des linken Auges.

Wir führten ein Staging mittels Magnetresonanztomographie der Kopf-Hals-Region und Computertomographie des Thorax/Abdomens durch. Dabei zeigte sich linksseitig frontal eine kutane Raumforderung mit v. a. Infiltration des M. levator palpebrae. Es bestand kein Hinweis auf eine zervikale, thorakale oder abdominelle Metastasierung.

Gemäß der Behandlungsempfehlung der interdisziplinären Tumorkonferenz erfolgte eine radikale Exzision und nach Erhalt des histologischen Ergebnisses die Defektdeckung durch eine lokale Lappenplastik.

Der histologische Befund bestätigte eine vollständige Tumorentfernung mit knappen Sicherheitsabständen nach kaudal (1,6 mm) und zur Tumorbasis (2 mm). Die Begutachtung ergab ein MCC mit einem Tumordurchmesser von 38 mm und einer Tumordicke von 15 mm, Tumorklassifikation pT2 Pn1 L1 V0 (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Histologisches Bild des Primärtumors von der Stirn links und Ausschnittvergrößerung. HE-Färbung, Vergr. 40:1; Ausschnitt: Vergr. 400:1

Mit der Patientin wurde die Nachresektion mit eigentlich notwendiger Enukleation des Bulbus oculi und eine Sentinel-Lymphknoten(SLN)-Biopsie besprochen. Beides lehnte diese jedoch ab. Im Tumorboard wurde daher eine Strahlentherapie des Tumorbettes und der abfließenden Lymphbahnen empfohlen, die mit insgesamt 50,4 Gy erfolgte. Ebenso wurde eine engmaschige Nachsorge vereinbart.

In der klinischen Nachsorge 6 Monate später zeigte sich eine ca. 5 mm durchmessende derbe subkutane Raumforderung hochparietal links. Weiterhin beklagte die Patientin seit 3 Wochen bestehende stechend-bohrende, zirkulär um den Körper verlaufende starke Rückenschmerzen im Bereich der unteren Brustwirbelsäule. Sie habe versucht, die Schmerzen durch Einnahme von Ibuprofen zu reduzieren; die Schmerzen zeigten sich jedoch refraktär.

Wegen des Verdachts auf eine kutane Metastase oder differenzialdiagnostisch ein Zweitkarzinom erfolgte die Exzision der Läsion. Der immunhistochemische Befund bestätigte erneut ein MCC, wobei histologisch nicht zwischen einer Metastase und einem Zweitkarzinom unterschieden werden konnte.

Eine Sonographie der Lymphabflussbahnen zeigte keinen Hinweis auf eine weitere Metastasierung, eine stationäre Aufnahme zum erneuten Staging wurde vereinbart. Bei der Aufnahme klagte die Patientin über die bereits bekannten Rückenschmerzen, die inzwischen so stark waren, dass sie kaum noch durch Analgetika zu beherrschen waren. Wir führten bei der Patientin eine CT von Hals, Thorax und Abdomen durch (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Computertomographie des Abdomens. Ausgedehnte abdominelle Raumforderung (weißer Pfeil) mit Infiltration von Magen, Pankreas und Milz (a transversal, b coronar)

Hier zeigte sich eine ausgedehnte intraabdominelle Raumforderung (10,3 × 10,5 × 9,0 cm) mit Infiltration des Pankreas, der Milz inkl. A. splenica, des Magens, der linken Niere und Nebenniere sowie des linken Leberlappens. Außerdem waren multiple metastasensuspekte retroperitoneale und paraaortale Lymphknoten sowie multiple Milzinfarkte zu erkennen. Im Lungenfenster ließen sich keine pulmonalen Beherdungen entdecken, ebenso zervikal keine auffälligen Lymphknoten.

Wie lautet Ihre Diagnose?

Aufgrund unklarer Dignität und Verdacht auf eine primäre Pankreasneoplasie führten die Kollegen der Gastroenterologie eine endosonographische Punktion der Raumforderung durch.

Der histopathologische Befund der Punktion ergab eine kleinzellige Neoplasie mit einem perinukleären positiven Signal für Zytokeratin AE1/AE3 und einer Koexpression für Zytokeratin 20 (CK 20). Ebenso zeigten die Tumorzellen eine positive Reaktion für Chromogranin A, der Ki-67-Index betrug 80 % (Abb. 3). In der Gesamtschau zeigte sich eine Metastase des MCC.

Abb. 3
figure 3

Nachweis von Zellen eines Merkel-Zell-Karzinoms. a HE-Färbung, Vergr. 100:1, b Chromogranin-A-Färbung, Vergr. 200:1

Diagnose: ausgedehnte intraabdominelle Metastasierung eines Merkel-Zell-Karzinoms

Therapie und Verlauf

Das interdisziplinäre Tumorboard empfahl eine systemische Therapie mit Avelumab.

Aufgrund der Schmerzsymptomatik und der palliativen Therapiesituation wurde die Patientin auf die Palliativstation unserer Klinik verlegt. Nach Beratung durch die Kollegen der Onkologie entschied sie sich gegen eine Therapie mit dem Checkpoint-Inhibitor.

Eine analgetische und supportiv-palliative Therapie wurde begonnen, hierunter konnte eine Schmerzlinderung und Stabilisierung des Allgemeinzustands erzielt werden. Vorübergehend wurde die Patientin wieder nach Hause entlassen.

Infolge ausgeprägter abdomineller Schmerzen, Ruhedyspnoe sowie des klinischen Bilds eines Subileus erfolgte 14 Tage später die erneute Aufnahme der Patientin auf der Palliativstation, wo insbesondere die analgetische Therapie weiter intensiviert wurde. Sechs Tage nach der erneuten Aufnahme verstarb die Patientin.

Diskussion

Das MCC ist ein seltener aggressiver und maligner primärer Hauttumor mit epithelialer und neuroendokriner Differenzierung [1,2,3]. Es ist ein Karzinom des höheren Lebensalters und in 50 % der Fälle im Kopf-Hals-Bereich lokalisiert [4]. Die Inzidenz in Europa beträgt ungefähr 0,13/100.000/Jahr [5] und ist stark von der geographischen Lage und der ethnischen Zugehörigkeit der Patienten abhängig. So zeigt das MCC eine deutliche Prädilektion für hellhäutige kaukasische Patienten, die in einer Gegend mit einer hohen Exposition an UVB-Strahlung leben [6]. Neben der UV-Strahlen-Exposition und einem Alter > 50 Jahre gelten auch eine Immunsuppression und die Infektion mit dem Merkel-Zell-Polyomavirus (MCPyV) als gesicherte Risikofaktoren [1, 6]. Die generelle Durchseuchung der Bevölkerung mit dem MCPyV beträgt 60–80 %, jedoch entwickelt nur ein Bruchteil der infizierten Personen auch tatsächlich ein MCC [4, 7]. Feng et al. [8] konnten in einer richtungsweisenden Studie aus dem Jahre 2008 das MCPyV als pathogene Ursache einer Vielzahl der MCC nachweisen. Dies wurde in der Folgezeit durch weitere Studien bestätigt [9, 10].

Obwohl die Tumorzellen viele Eigenschaften der Merkel-Zellen der Haut aufweisen, ist die Ursprungszelle nach wie vor unbekannt [1].

Klinisch imponiert das MCC als solider violett-rötlicher Tumor mit glatter Oberfläche und weicher Konsistenz. Ulzerationen treten meist erst in einem späten Stadium auf [1]. Häufig ist er an den sog. Sonnenterassen des Gesichts lokalisiert [4].

Die beweisende Diagnose eines MCC kann nur durch Immunhistochemie (IHC) gestellt werden, wobei das MCC sowohl epitheliale als auch neuroendokrine Antigene präsentiert. Als etablierte IHC-Marker gelten CK 20, Synaptophysin, Chromogranin A, Melan A, S‑100B, neuronenspezifische Enolase (NSE) sowie „leukocyte common antigen“ (LCA) und „thyroid transcription factor 1“ (TTF‑1) [1].

Das MCC metastasiert frühzeitig lymphogen und hämatogen. In einem Drittel der Fälle besteht bereits zum Diagnosezeitpunkt eine Metastasierung [6].

Die Ausbreitungsdiagnostik bei Erstdiagnose umfasst deshalb eine Sonographie oder Schnittbildgebung der abfließenden Lymphbahnen, eine Schnittbildgebung von Thorax und Abdomen sowie eine SLN-Biopsie [1]. Gupta et al. [11] zeigten, dass durch die SLN-Biopsie das rezidivfreie Überleben in 3 Jahren von 0 % auf 51 % gesteigert werden konnte.

Ungefähr ein Drittel der Patienten mit einem MCC entwickelt im Verlauf der Erkrankung eine Fernmetastasierung [12,13,14]. Song et al. [14] wiesen nach, dass bei 13 % der Patienten eine Fernmetastase das erste Anzeichen eines MCC war. Am häufigsten traten Fernmetastasen, wie im vorliegenden Fall, im Abdomen (51 %) und entfernten Lymphknoten (46 %) auf, wohingegen sich Metastasen in der Lunge und im Gehirn erst später und selten zeigten. Diese Verteilung wurde auch in weiteren Studien beschrieben [12, 13, 15].

Für das lokoregionär begrenzte MCC ist die chirurgische Resektion mit Sicherheitsabständen von 2–3 cm, die SLN-Biopsie sowie die (adjuvante) Strahlentherapie der Tumorregion und der abfließenden Lymphbahnen mit mindestens 50 Gy die primäre Therapieoption der Wahl [3, 16, 17].

Das Vorliegen von Fernmetastasen verschlechtert die Prognose erheblich; in diesen Fällen ist eine systemische Chemotherapie indiziert [3]. Als First-Line-Therapie kommen cisplatin- oder zyklophosphamidbasierte Therapieregime zum Einsatz, in der Second-Line-Therapie dann kombinierte Schemata mit Vincristin + Zyklophosphamid + Doxorubicin oder Topotecan oder Carboplatin [3, 18].

Im März 2017 wurde mit Avelumab der erste Checkpoint-Inhibitor, ein PD-L1-Antikörper, für die Behandlung des metastasierten MCC zugelassen [19]. In einer Studie aus dem Jahre 2018 zeigte eine Erstlinientherapie mit Avelumab eine Ansprechrate von 62 % (95 %-Konfidenzintervall 42–79) nach Restaging innerhalb von 6 Wochen [20]. Weitere Checkpoint-Inhibitoren wie Pembrolizumab, Ipilimumab und Nivolumab werden aktuell in klinischen Studien getestet [3].

Fazit für die Praxis

  • Das Merkel-Zell-Karzinom ist ein hochmaligner Hauttumor mit epithelialer und neuroendokriner Differenzierung und einer frühen lymphogenen und hämatogenen Metastasierung.

  • Etwa 30 % der Patienten mit MCC entwickeln Fernmetastasen, bei 13 % ist eine Fernmetastase die erste entdeckte metastatische Läsion.

  • Ein konsequentes Staging mit Sentinel-Lymphknoten-Biopsie und Schnittbildgebung von Hals, Thorax und Abdomen ist vor Therapiebeginn essenziell.

  • Eine engmaschige vierteljährliche Nachsorge mit Schnittbildgebung sollte bei jedem Patienten mit MCC erfolgen.