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Die proportionale Ministerienaufteilung in deutschen Koalitionsregierungen: Akzeptierte Norm oder das Ausnutzen strategischer Vorteile?

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Zusammenfassung

In diesem Aufsatz überprüfen wir die Gamson-Regel für alle deutschen Koalitionsregierungen auf Bundes- und Länderebene und stellen deren generelle Gültigkeit fest. Bei der Frage nach den Ursachen der Performanz der Gamson-Regel kommen wir zu dem Schluss, dass es nicht die aus einer höheren Sitzanzahl resultierende größere Verhandlungsmacht der Parteien ist, die den höheren Ämteranteil erklären kann. Vielmehr stärken unsere Ergebnisse die Hypothese, dass sich die Gamson-Regel als kooperative Norm über die Zeit hinweg etabliert hat. Abweichungen von der proportionalen Ämteraufteilung lassen sich insgesamt zugunsten kleinerer und zulasten größerer Parteien beobachten, wobei dies allerdings nicht in allen Einzelfällen zutrifft: Es gibt einzelne kleine Parteien, etwa Bündnis 90/Die Grünen oder die PDS, die trotz relativ geringer Größe im Durchschnitt nur unterproportional mit Ämtern bedacht werden. Ferner lassen sich Auswirkungen weiterer Variablen feststellen, wie z. B. der Größe des Parteiensystems oder der Anzahl der in einer Koalitionsregierung vertretenen Parteien.

Abstract

In this paper, we corroborate Gamson’s Law for a data set including German coalition governments on the federal and Länder level. We further tackle the question of how to explain this regularity. Here, we conclude that it is not the bargaining power of parties resulting from seat distribution that could be able to explain Gamson’s Law. In fact, we identify Gamson’s Law as a behavioural norm which evolved over time in Germany. We finally confirm the conjecture that on average smaller parties profit and larger parties suffer from deviations from Gamson’s Law. However, there is also a strong party bias which is able to invert this effect for single parties as e. g. the Greens or the Party of Democratic Socialism. Further variables such as the size of the party system or the number of parties which form a coalition government can also explain some deviations from the Gamson’s Law.

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Notes

  1. Ausnahmen sind die Beiträge von Norpoth (1982) und Schofield/Laver (1985), die aufgrund ihres Alters jedoch nicht mehr der aktuellen Datenlage entsprechen.

  2. Es handelt sich hierbei um 18 Zwei-Parteien- und drei Drei-Parteien-Koalitionen sowie um eine Vier-Parteien-Koalition.

  3. Von diesen 173 Koalitionen bestehen 135 aus zwei Parteien, 26 aus drei Parteien und zehn aus vier Parteien. Ferner gibt es jeweils eine Fünf-Parteien- und eine Sechs-Parteien-Regierung.

  4. Insgesamt beinhaltet unser Datensatz 174 Koalitionsregierungen auf Landesebene. Aus den Analysen entfernt wurde aber die dritte Regierung in Hamburg. In diesem Fall regierten SPD und FDP zusammen, obwohl die FDP zu dieser Zeit zusammen mit der CDU und der Deutschen Konservativen Partei dem „Vaterländischen Bund Hamburg“ angehörte. In den zugrunde liegenden Quellen wird nur die Sitzstärke dieses Wahlbündnisses angegeben, nicht die Sitzstärke der einzelnen Parteien, insbesondere auch nicht die der FDP. Weiter wird das Bündnis „Hamburg Block“ (fünfte Regierung in Hamburg, bestehend aus CDU, FDP und DP) als eine Ein-Partei-Regierung behandelt, weil hier wiederum nur die Sitzstärke des gesamten Bündnisses bekannt ist.

  5. Auf Länderebene beinhaltet unser Datensatz 47 parteilose Minister, von denen 27 in einer Koalitionsregierung vorzufinden sind. Davon wiederum konnten drei Minister der Statt-Partei zugeordnet wurden. Den übrigen 24 parteilosen Ministern war auch nach Recherche ihrer Biografie keine Parteizugehörigkeit zuweisbar. Auf Bundesebene tauchen drei verschiedene parteilose Minister im Datensatz auf, von denen zwei offensichtlich von der SPD (Bildungsminister Hans Leussink im Kabinett Brandt I sowie Wirtschaftsminister Werner Müller im Kabinett Schröder I) und einer zweifelsfrei von der Union (der ursprünglich parteilose Ludwig Erhard unter Kanzler Adenauer) berufen wurden.

  6. Streng genommen ist auch bei n > 2 nur ein vollkommener Freiheitsgrad vorhanden: Sichert sich der erste Spieler eines als sukzessive konstruierten Aufteilungsspiels einen Ämteranteil von k 1, so ist der Anteil des zweiten Spielers k 2 nicht mehr durch [0, 1], sondern durch [0, 1 –  k 1] beschränkt, unabhängig davon, wie viele weitere Spieler noch an der Koalition teilnehmen. Da jedoch keine zu großen Abweichungen von der Gamson-Regel beobachtbar sind, sodass die Einschränkungen der Freiheitsgrade bis auf den n-ten Spieler keine Rolle spielen, halten wir das Zulassen von n – 1 Freiheitsgraden für eine angemessene technische Lösung des Problems. Wir danken einem der Gutachter für den Hinweis, dass sich das Problem weiter reduziert, wenn aus jeder Koalition nur eine Partei anstelle von n – 1 Parteien ausgewählt wird. Bei diesem Vorgehen stellt man zugleich sicher, dass Koalitionen mit mehr Parteien nicht häufiger in die Analyse eingehen als solche mit weniger Koalitionspartnern. Bei diesem Vorgehen werden zwar teilweise Informationen „verschenkt“; dennoch halten wir es aufgrund der beschriebenen Vorteile für sinnvoll, auch diese weitere Möglichkeit zu testen (vgl. Tabelle A1 im Anhang). Zwischen beiden Vorgehensweisen ergeben sich allerdings nur marginale Unterschiede in den Ergebnissen, deren Auswirkungen nicht weiter diskussionswürdig sind.

  7. Der größte gemeinsame Teiler von 226 und 222 ist zwei, sodass (226 + 222)/2 den entsprechenden Wert ergibt.

  8. Seine allgemeine Hypothese besagt, dass jede Partei von ihren Koalitionspartnern eine Forderung nach einer (gemessen an ihren Ressourcen) proportionalen Gewinnbeteiligung erwartet. Der Gewinn selbst wird nur von Gewinnkoalitionen garantiert; ein großer Anteil an diesem Gewinn nur durch minimale Gewinnkoalitionen (vgl. Gamson 1961: 376).

  9. Tabelle 4 zeigt aus Platzgründen nur die Ergebnisse für die Länderebene. Für die Bundesebene sind die Ergebnisse im Wesentlichen gleich. Der einzige Unterschied ist, dass bei ohnehin insignifikanten Resultaten die Koeffizienten ein umgekehrtes Vorzeichen besitzen (vgl. Tabelle A2 im Anhang).

  10. Die beiden Versionen des Deegan-Packel-Indexes unterscheiden sich in Bezug auf die Frage, wie der Wert einer Koalition bestimmt wird. Die erste Version (DPI I) geht davon aus, dass jeder Spieler jede Koalition, an der er beteiligt ist, als gleichwertig bewertet. Die zweite Version (DPI II) fasst hingegen den Wert einer Koalition, der unter den Parteien aufgeteilt wird, als konstant auf, sodass Koalitionen mit einer größeren Anzahl an Parteien durch die einzelnen Spieler schlechter bewertet werden als solche mit weniger Parteien. Die Machtindizes wurden für diese Analyse nachnormiert, sodass sich die Werte über die Regierungsparteien auf 1 aufsummieren, um aus den Machtindizes eine Abschätzung für die Ämteraufteilung herleiten zu können. Das Nachnormieren ändert die Ergebnisse nur unwesentlich und führt eher zu besseren Effekten der Machtindizes.

  11. Dieses Ergebnis ist ein für die Bundesrepublik spezielles Resultat: Warwick und Druckman (2006) kommen bei der Analyse eines Datensatzes, aufbauend auf Koalitionsregierungen aus 14 europäischen Staaten, wie wir zu dem Schluss, dass der Effekt von Machtindizes (bei ihnen gemessen über Einfachgewichte) positiv und signifikant ist. In ihrer Analyse bleibt der Effekt der Machtindizes allerdings in der Regel (außer in Parlamenten mit fünf oder weniger Parteien) positiv und signifikant – wenn auch auf niedrigerem Niveau –, wenn gleichzeitig auf Sitzstärke kontrolliert wird.

  12. Die Ergebnisse für die Bundesebene befinden sich wieder im Anhang (Tabelle A3 ). Die Vorzeichen der entsprechenden Koeffizienten zeigen in die erwartete Richtung; die Ergebnisse für die Bundesebene sind aber nicht signifikant – vermutlich wegen der geringeren Fallzahl dieser Analyse.

  13. Andere Parteiensysteme sind hier immer Systeme mit vier oder mehr Parteien. Ein- und Zwei-Parteien-Systeme führen stets zu absoluten Mehrheiten einer Partei ohne empirisch zu beobachtende Koalitionsbildungen.

  14. Ein-Partei-Regierungen sind nicht Teil des Datensatzes.

  15. Signifikant ist dann jedoch nur der Effekt für die CDU/CSU.

  16. Trotz Wahlergebnissen im 20-Prozent-Bereich in einigen ostdeutschen Bundesländern fassen wir die PDS als kleine Partei auf. Vom Wahlergebnis oder der relativen Sitzstärke ausgehend stellt sich sicher die Frage, ab welcher Stärke die Grenze zwischen kleinen und großen Parteien zu ziehen ist. Von Koalitionen ausgehend bleibt aber festzustellen, dass die PDS stets der kleinere Koalitionspartner ist und sowohl ihr relativer Sitzanteil als auch ihre relative Ämterausbeute in allen Fällen unter 0.5 liegen.

  17. Die ersten vier Koalitionsregierungen auf Bundesebene bestanden jeweils aus drei oder vier Parteien, alle weiteren Koalitionsregierungen aus zwei Parteien. Nachdem sich bestätigt hat, dass es sich bei der Gamson-Regel um eine etablierte Norm handelt, die mit zunehmender Zeit stärker gültig ist (vgl. Abschnitt 4 bzw. Tabelle A3 ), kann aufgrund dieser Datenstruktur H2 auf Bundesebene gar nicht bestätigt werden. Hinzu kommt, dass bis auf eine Ausnahme (die Koalitionsregierung von 1949 aus CDU/CSU, FPD und DP) alle Koalitionen mit mehr als zwei Parteien übergroße Koalitionen waren, weswegen die Gamson-Regel im strengeren Sinne gar nicht auf sie anwendbar ist (vgl. Fußnote 8).

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Correspondence to Eric Linhart.

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*Wir danken zwei anonymen Gutachtern für wertvolle Hinweise. Wir danken außerdem dem Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) für die Bereitstellung von Rahmenbedingungen, ohne die dieser Artikel nicht hätte entstehen können.

Anhang

Anhang

Tabelle A2 zeigt Ergebnisse, die möglicherweise auf den ersten Blick verwundern: Alle Machtindizes haben – wenn auch auf insignifikantem Niveau – negative Effekte auf die Ämteraufteilung, wenn gleichzeitig auf die Sitzstärke kontrolliert wird. Dies rührt im Wesentlichen von der Logik her, die Machtindizes zugrunde liegt: Im Großen und Ganzen sind Machtindizes schwach monoton. Die Werte der Indizes nehmen also mit den relativen Sitzanteilen zu. Im Gegensatz zur Sitzverteilung wachsen die Werte von Machtindizes aber nicht kontinuierlich an, sondern springen von einem Wert zum nächsten, sobald eine Grenze der Pivotalität überschritten ist. Dies hat zur Folge, dass Parteien mit sehr unterschiedlichem Sitzanteil denselben Machtindexwert besitzen können. Prominentestes Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland für dieses Phänomen ist die Phase des Drei-Parteien-Systems (CDU/CSU, SPD, FDP) von 1961 bis 1983, in der keine der im Bundestag vertretenen Parteien eine absolute Mehrheit besaß. Daraus folgt zwingend, dass jede Zwei-Parteien-Koalition minimal gewinnend ist. Gleichzeitig ist jede der drei Parteien gleich häufig in Zweier-Koalitionen vertreten, in diesen Koalitionen entscheidend, im Parteiensystem pivotal usw. Alle gängigen Machtindizes weisen daher jeder der Parteien einen Indexwert von einem Drittel zu. Diesen Wert erhalten sowohl große Parteien mit über 40 Prozent an Sitzanteilen als auch kleine Parteien, die die Fünf-Prozent-Hürde nur knapp überspringen. Die Grenze zu einem höheren Machtindexwert liegt bei der absoluten Mehrheit (mehr als 50 Prozent an Sitzanteilen), sodass die Monotonie hier besonders schwach ausgeprägt ist. Empirisch weisen Machtindizes stets allen drei zwischen 1961 und 1983 im Bundestag vertretenen Parteien einen Indexwert von .33 zu, sodass die Aussage, die Werte von Machtindizes variieren schwach monoton mit der Sitzstärke, zwar weiterhin richtig ist, aber in diesem speziellen Fall einen falschen Eindruck vermittelt.

Tabelle A1 : Die Gültigkeit der Gamson-Regel in Deutschland auf Bundes- und Länderebene (zufällige Auswahl eines Akteurs jeder Koalition)
Tabelle A2 : Sitzverteilung und Verhandlungsmacht als Erklärungsvariablen für Ämteraufteilung (Bundesebene)
Tabelle A3 : Die Gamson-Regel im Laufe der Zeit (Bundesebene)

Aus dem Effekt der erläuterten Monotonie resultiert somit grundsätzlich ein positiver Zusammenhang zwischen Machtindex und Ämteraufteilung. Die Schwachheit dieser Monotonie kann den Effekt aber gerade umkehren, wenn gleichzeitig auf die Sitzverteilung kontrolliert wird. Genau dies geschieht auf Bundesebene, wo bei häufig vorzufindenden Drei-Parteien-Systemen, wie oben beschrieben, die Monotonie besonders schwach ausgeprägt ist.

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Linhart, E., Pappi, F.U. & Schmitt, R. Die proportionale Ministerienaufteilung in deutschen Koalitionsregierungen: Akzeptierte Norm oder das Ausnutzen strategischer Vorteile?. PVS 49, 46–67 (2008). https://doi.org/10.1007/s11615-008-0087-0

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