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Das pädagogische Portfolio – Die Privatheit der Lehrpersonen in der Öffentlichkeit von Bildungsorganisationen

The educational portfolio: The issue of teachers privacy within educational institutions

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Österreichische Zeitschrift für Soziologie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Der Wandel des Verhältnisses zwischen Privatheit und Öffentlichkeit zeigt sich nicht nur an der Präsentation des Selbst im Web 2.0, sondern kann auch an sogenannten Selbstlernarchitekturen beobachtet werden. Dazu zählt beispielsweise die Portfolioarbeit an Pädagogischen Hochschulen, in der Studierende und bereits praktizierende Lehrpersonen gegenüber ihrer Berufsgruppe neben ihrer Lerngeschichte, auch Elemente ihrer privaten Biographie präsentieren. Lernprozesse sollen sichtbar gemacht werden, gleichzeitig aber auch das lernende Subjekt selbst. Es zeigt sich, dass mit dieser Portfolio-Variante nicht nur der Mensch in seiner Berufsrolle vermessen und erfasst wird, sondern eben auch als Privatperson. Die Person in ihrer Gesamtheit wird einer (Dauer-)Reflexion unterzogen und zum Thema gemacht, wobei die Frage ist, für wen letztendlich die Selbstbeschreibungen und -darstellungen produziert werden, für sich selbst oder für andere? Und inwiefern lassen sich die von Seiten der pädagogischen Bildungsorganisation an die Portfolio-Autorinnen und Autoren gestellten Reflexionsansprüche mit den Leistungs- und Selbstdarstellungen verbinden und im Portfolio verwirklichen? Diesen Fragen geht der Beitrag anhand der Ergebnisse eines empirischen Forschungsprojektes nach. Diskutiert wird auch, inwiefern die dominante Rolle der Person bei der Portfolioarbeit in die Debatte um Subjektivierung von Arbeit bzw. zur Logik von Subjektivierungsprozessen passt. Das Portfolio legt zumindest nahe, dass die Selbstthematisierung, die Innenorientierung in der Außendarstellung, zu einem normativen Ideal wurde, dem sich nur wenige entziehen können.

Abstract

The transformation of the private-/public-relation becomes evident not only in the presentation of the self on Web 2.0, but also in so-called self-learning architectures. These include, for example, portfolio-work at universities of teacher education. In portfolios, students and practitioners present their learning histories by referring to elements of their private biographies. Learning processes as well as the learning subject itself shall be made visible. Engaging with this variant of the portfolio a person is not only recognized and measured as a professional but also as a private person. The entire person is subjected to (permanent) reflection. Based on the results of an empirical research, the paper in hand discusses these questions: Who are the addressees of these self-descriptions and presentations – oneself or others? To what extent are the institutional requirements to self-reflection connected with one’s own achievements and self-presentation, and to what extent are they realized in a portfolio? The analysis refers to the debate about the subjectivation of work respectively the logic of subjectivation processes. The results of the portfolio-research suggest, that self-description and turning the inside outside became normative ideals even within the professional public.

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Notes

  1. Häcker hat zur Charakterisierung der unterschiedlichen Formen von Portfolioarbeit ein differenziertes Rahmenmodell entwickelt (vgl. Häcker 2011, S. 168).

  2. Illouz kommt in Bezug auf die therapeutische Erzählung zu dem Schluss, sie sei inszenatorisch bzw. performativ und „in diesem Sinn mehr als eine Geschichte, weil sie Erfahrung umstrukturiert, während sie sie erzählt“ (Illouz 2009, S. 309). Zu Prozessen der (biographischen) Umdeutung bei der Portfolioarbeit siehe Heid (2011).

  3. Der Schutz der Privatsphäre war für die von uns interviewten Personen kein diskussionswürdiges Thema, auch wenn für die Erstellerinnen und Ersteller der Portfolios mit der öffentlichen Präsentation von privaten Lebensbereichen immer wieder Fragen nach der Außenwirkung auftraten.

  4. Zum Privatheitskonzept siehe auch Weiss und Groebel (2002).

  5. Reckwitz zufolge werden in der Postmoderne Arbeit, Konsum insb. Medienkonsum und Intimität zu Mitteln expressiver Subjektivität und Selbstverwirklichung (vgl. Reckwitz 2006, S. 527 ff., 555 ff., 564 ff.).

  6. Zur Konstruktion vernetzter Subjektivität/en siehe Paulitz (2005)

  7. Reichert argumentiert in seinem Aufsatz zum E-Portfolio dafür, „Portfolios nicht als sozial determinierende respektive repressive Subjektivierungsapparate aufzufassen“, sondern das E-Portfolio „im grundsätzlich ambivalenten Spannungsfeld von Subjektivierung und Entsubjektivierung zu verorten“ (Reichert 2011, S. 106). „Einerseits steht es für eine sich neu formierende Medialisierung des Subjekts und damit einhergehend für bestimmte Technologien der Subjektivierung, andererseits ermöglicht es eine permanente Absetzbewegung und eine Praxis der Entsubjektivierung (…)“ (ebd.). Sein Fazit in Bezug auf das E-Portfolio: „Es oszilliert im Spannungsfeld zwischen Selbst- und Fremdführung, zwischen Unterordnung und Ermächtigung und zwischen Freiheit und Regulierung“ (ebd.).

  8. Deshalb wird dieser Entgrenzungsprozess auch als Subjektivierung von Arbeit beschrieben (vgl. Moldaschl und Voß 2002).

  9. Zur Kritik an der Qualitätsentwicklung im Bildungsbereich siehe Würker (2009) und Bierbaum und Kehren (2009) sowie zum Wert des Privaten Rössler (2001).

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Heid, M. Das pädagogische Portfolio – Die Privatheit der Lehrpersonen in der Öffentlichkeit von Bildungsorganisationen. Österreich Z Soziol 39 (Suppl 1), 41–60 (2014). https://doi.org/10.1007/s11614-014-0130-x

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