Über eine lange Zeit haben sich die Menschen nach dem 2. Weltkrieg in Europa sicher gefühlt. Natürlich gab es immer wieder in den 1970er bis 1980er Jahren linksorientierten Terror durch Entführungen oder Anschläge: durch die Rote Armee Fraktion (RAF) in Deutschland, durch die bürgerkriegsartigen Szenarien im Baskenland der Euskadi Ta Askatasuna (ETA) und durch Anschlagsserien in England und Irland durch die Irisch-Republikanische Armee (IRA).

Doch erst seit dem Jahrtausendwechsel haben die Intensität und die mediale Wirkung von Terroranschlägen in Europa bedeutend zugenommen (Tab. 1). Entsprechend dem „Global Terrorism Index“, bei dem neben der Anzahl der Terroranschläge im jeweiligen Land die Anzahl der durch die Attacken verletzten und getöteten Personen sowie der durch die Anschläge verursachte Schaden berücksichtigt werden, nimmt Deutschland im weltweiten Ranking bereits Platz 38/163 ein und steht damit nach Frankreich (23/163) und Großbritannien (35/163) auf Platz 3 in Europa (Abb. 1; [9]). Heute kommt es immer wieder durch verschiedene Terrorgruppen und andere Einzeltäter oder Tätergruppen zu Angriffen mit Sprengsätzen, Schusswaffen und Kraftfahrzeugen auf die Bevölkerung [1,2,3, 5, 11]. Aber nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt gibt es Extremsituationen mit und ohne terroristischen Hintergrund (z. B. Boston Marathon [10], Las Vegas Shootings [8]).

Tab. 1 Terroranschläge von 2004 bis 2017. (Mod. nach [1])
Abb. 1
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Global Terrorism Index. Skala geht von hellgelb (keine Auswirkung von Terrorismus) bis dunkles Rot (Höchste Auswirkungen von Terrorismus). (Nach [6, 9]). Mit freundlicher Genehmigung, all rights reserved © Institute for Economics & Peace, Global Terrorism Index 2017

Bei der Bewältigung solcher lebensbedrohlichen Einsatzlagen steht sowohl die polizeiliche als auch die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr vor enormen Herausforderungen. Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen und die Bedeutung des Themas zu unterstreichen, erscheint in 2 Ausgaben der Zeitschrift Notfall + Rettungsmedizin jeweils ein Schwerpunkt dazu. Darin werden von verschiedenen Experten die unterschiedlichsten Aspekte zum Thema lebensbedrohliche Einsatzlage beleuchtet und konkrete Lösungsansätze dargestellt.

Einen historischen Überblick über die terroristischen Anschläge des letzten Jahrzehnts weltweit und in Europa präsentieren Wirtz et al. In einem anderen Zusammenhang gab es einmal den Ausspruch „Die normative Kraft des Faktischen“: Dieser normativen Kraft sind wir nun mit voller Brutalität im Rettungs- und Notarztdienst, Notaufnahmen und Krankenhäusern ausgesetzt und müssen uns auf entsprechende Schadenslagen vorbereiten, die so nicht im Alltäglichen der Notfallmedizin liegen. Vor diesem Hintergrund stellen Neitzel et al. die Grundzüge/-lagen der Taktischen (Nofall‑)Medizin vor.

Unter Umständen werden wir unerwartet mit Szenarien konfrontiert, bei denen eine unvorstellbare Gewalt eingesetzt wird, wie wir sie nicht gewöhnt sind [4]. Gerade vor diesem Hintergrund müssen wir uns mit dem Thema „Taktische (Notfall‑)Medizin“ beschäftigen. Aktuell erfolgt dies durch zahlreiche Initiativen regional auf Ebene rettungsdienstlicher und krankennhausassoziierter Strukturen, auf Städte- und Länderebene, aber auch bundesweit durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Folgerichtig identifizieren wir die bestehenden Defizite und systembedingten Limitationen und richten uns darauf ein, diese Schwächen im Bedarfsfall zu kompensieren [7].

Ein Konzept zum prähospitalen Vorgehen bei bedrohlichen Lagen präsentieren Hossfeld et al. Nach der initialen prähospitalen Versorgung werden die Verletzten entsprechender Einsatzszenarien den weiterversorgenden Klinikstrukturen zugeführt.

Das besondere an diesen Lagen ist die absolute Notwendigkeit zur engen Zusammenarbeit zwischen der polizeilichen und nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr. Auf die Zusammenarbeit mit der Polizei bei terroristischen Lagen bzw. Polizeilagen gehen daher Wurmb et al. in Zusammenarbeit mit Kollegen von der Deutschen Hochschule der Polizei in ihrem Artikel ein.

Die Rolle des Krankenhauses bei bedrohlichen Lagen fassen Wurmb und Friemert prägnant und kurz zusammen.

Das vorliegende Leitthemenheft kann nur einen begrenzten Beitrag zu dieser schwierigen Entwicklung leisten, aber wir alle müssen uns mit dieser Thematik beschäftigen, um für zukünftige Einsatzlagen gewappnet zu sein: „Jederzeit an jedem Ort“. Die aktuellen Leistungen, die auf lokaler und bundesweiter Ebene vollbracht werden, können gar nicht hoch genug geschätzt werden. Vor diesem Hintergrund haben wir auch noch die kommende Ausgabe der Notfall+Rettungsmedizin mit Beiträgen zu diesem Fokus gestaltet.

Wir wünschen Ihnen trotz der bedrückenden Thematik einen guten Wissenszuwachs und wichtige Erkenntnisse, die Sie im hoffentlich niemals eintretenden Ereignisfall dann als Einsatzkraft sinnvoll umsetzen können.

Ihre

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Michael Bernhard

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Thomas Wurmb

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Matthias Helm