Übervolle EKG-Sessions, gespannt an den Lippen des Vortragenden hängende Zuhörer aller Alterskategorien – das war auch schon vor Corona eine Rarität und für mich vor allem mit einem Namen assoziiert: Hein Wellens. Am 09.06.2020 verstarb Hein (Heinrick Joan Joost) Wellens im Alter von 84 Jahren und hinterlässt eine große Anhängerschaft von „EKG-Fanatikern“.

Hein Wellens ist einer der Begründer der klinischen kardialen Elektrophysiologie und Wegbereiter der modernen Diagnostik und Therapie kardialer Arrhythmien. Er begann seine klinisch-kardiologische Karriere unter der Leitung von Professor Dirk Durrer 1964 in Amsterdam und entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit zum „Chef de Clinique“ der kardiologischen Abteilung des Wilhelmina Gasthuis der Universität von Amsterdam. Er war von Beginn an den Studien zur kardialen elektrischen Stimulation von Durrer beteiligt und entwickelte hieraus die heute selbstverständlichen Kenntnisse der Initiierung und Terminierung von Arrhythmien mittels Stimulationsmanövern und das Wissen über deren Mechanismen und Ursprungsorte. Mit nur 38 Jahren wurde Wellens Professor für Kardiologie an der Universität Amsterdam und wechselte 1977 als „Head of the Department“ an die neugegründete Universität von Limburg in Maastricht.

Aus seiner über 40 Jahre dauernden aktiven wissenschaftlichen Karriere entstanden bahnbrechende Erkenntnisse, unter anderem zu Mechanismen und Differenzierung von supraventrikulären und ventrikulären Arrhythmien, über unterschiedliche Eigenschaften akzessorischer Leitungsbahnen bei WPW-Syndrom, Mapping und Terminierung sowie Effektivität der Therapie von Arrhythmien, Digitaliseffekten und -nebenwirkungen. Als „Wellens’ sign“ bekannt wurden die EKG-Auffälligkeiten der proximalen hochgradigen LAD-Stenose vor Auftreten eines relevanten Vorderwandinfarktes. Durch viele dieser Arbeiten konnte die Korrelation von komplexer EKG-Analytik zu klinischer Diagnostik wesentlich vorangetrieben werden.

Auch nach seiner Emeritierung 2002 blieb Hein der kardialen Elektrophysiologie erhalten und bildete zahlreiche Kardiologen in exzellenten Kursen und Vorträgen fort. Neben über 700 publizierten wissenschaftlichen Manuskripten war Hein Wellens in seiner Zeit in Amsterdam und Maastricht an der Ausbildung wohl fast aller namhafter Elektrophysiologen unserer Zeit beteiligt, indem er sein Verständnis der Integration von Informationen aus EKG, invasiv aufgenommenen Elektrogrammen und Hinweisen aus der programmierten kardialen Stimulation weitergegeben hat und somit ermöglichte, auch komplexeste Arrhythmien zu entschlüsseln. Hein Wellens wurde mit internationalen Preisen hoch dekoriert, war Doctor honoris causa der Universität von Liège, Mitglied der Royal Netherlands Academy of Arts and Sciences sowie Mitglied in unzähligen Komitees und Ausschüssen in Wissenschaft und Lehre. Hein Wellens wurde 2001 zum Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie ernannt. Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Karriere hat Wellens durch multiple Beiträge das Management der Diagnostik und Therapie kardialer Arrhythmien grundlegend verändert.

Mein erster persönlicher Kontakt mit Hein Wellens war im Rahmen eines Symposiums zur Ehrung seiner 33-jährigen Tätigkeit in der Kardiologie und Elektrophysiologie im Jahr 2000 in Maastricht. Das Buch „Professor Hein J.J. Wellens – 33 years of Cardiology and Arrhythmology“ ist ein wunderbares Zeugnis seiner wissenschaftlichen Tätigkeit und spiegelt seinen Einfluss auf die moderne Elektrophysiologie eindrücklich wider. Seit dieser Zeit habe ich die vielen Gelegenheiten genutzt, von ihm zu lernen, mit ihm zu diskutieren und seine Art des Teachings zu bewundern. In vielen Kursen durfte ich neben Hein vortragen, was mir jetzt, noch mehr als zu diesen Zeitpunkten, als große Ehre erscheint. Er zog seine Zuhörer immer wieder durch seine unnachahmliche Art, komplexeste Zusammenhänge einfach darzustellen, in den Bann. So hat er viele Generationen von Elektrophysiologen stimuliert, sich intensiv und detektivisch mit dem EKG und den daraus rückzuschließenden klinischen Informationen zu beschäftigen.

Hein Wellens war aber nicht nur der „EKG-Mann“, er hat vielmehr immer alle zur Verfügung stehenden klinischen Informationen in die Interpretation des EKGs integriert und so den diagnostischen und therapeutischen Wert des 12-Kanal-EKGs hervorgehoben und sich als Manifest des „klinischen Elektrophysiologen“ definiert.

Viele Elektrophysiologen in Deutschland erinnern sich an Hein Wellens als „good cop“ aus den EKG-Kursen mit „bad cop“ Mark Josephson und nicht zuletzt an seine interaktiven EKG-Kurse bei den Deutschen Rhythmus-Tagen 2016 bis 2018 in Berlin. Die Kardiologie trauert um einen „Master Teacher“ und einen der wenigen Elektrophysiologen, die sich auch mal mit einem einzigen EKG mehrere Stunden einschließen konnten, um dann mit einer klaren Interpretation und Erklärung hervorzukommen.

Ich möchte mich ganz herzlich bei Hein für die vielen Dinge, die er mir beigebracht hat, bedanken und denke gerne an die vielen schönen Momente bei Wein mit ihm zurück. Neben diesen Erinnerungen bleiben uns allen die vielen herausragenden Publikationen und wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Hein in seiner über 56-jährigen Tätigkeit im Auftrag der klinischen Elektrophysiologie angehäuft hat. Es lohnt sich für uns alle, diese intensive und pedantische Analyse von klinischen Zusammenhängen und EKG-Befunden zu verinnerlichen und das Erbe von Hein Wellens anzutreten. Für die Zukunft müssen wir versuchen, in seine Fußstapfen zu treten und die „Wellens-sche EKG-Schule“ auch didaktisch fortzuführen.

Lieber Hein, vielen Dank, dass ich Zeit mit Dir verbringen durfte. Der Patient ist das Zentrum unseres Universums und der einzige mögliche Weg, die Versorgung der uns anvertrauten Patienten zu verbessern, ist durch die Anhäufung medizinischen Wissens.

Thomas Deneke

Abb. 1
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Typisch für Hein Wellens: seine unnachahmliche Art des Teachings – hier bei seinem EKG-Kurs für Fortgeschrittene und Anfänger im Rahmen der Deutschen Rhythmus-Tage 2017. (Quelle: privat)

Abb. 2
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Hein Wellens zusammen mit Philipp Sommer und Thomas Deneke 2018 bei den Deutschen Rhythmus-Tagen in Berlin. (Quelle: privat)