Die medizinische Versorgung chronisch erkrankter Patienten ist komplex und erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Vor allem im Bereich der internistischen Rheumatologie ist eine interdisziplinäre Arbeit unerlässlich, um die komplexen somatischen und psychosozialen Aspekte einer chronischen Erkrankung zu berücksichtigen. Dennoch kommen die Aspekte der interprofessionellen Arbeit im Studium und in der Ausbildung von Ärzt*innen und Psycholog*innen zu kurz und werden dadurch im klinischen Alltag wenig gelebt. Eine unterschiedliche fachspezifische Sprache fördert zusätzlich Ressentiments und Vorurteile zwischen den Professionen, was letztlich zu einer Verschlechterung der Patientenversorgung führt.

Interprofessionelles Verständnis mit dem Ziel einer zunehmenden Interdisziplinarität in der Versorgung von Patienten sollte möglichst frühzeitig, also bereits im Studium vermittelt werden. Hierfür hat sich ein Team des Fachbereichs Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen unter der Leitung von Dr. Rebecca Hasseli und Prof. Dr. Uwe Lange (Abt. für Rheumatologie am Campus Kerckhoff) und der klinischen Psychologie & Psychotherapie unter der Leitung von Silas Pfeiffer, Dr. Judith Kappesser und Frau Prof. Dr. Christiane Hermann gebildet und ein neues Lehrkonzept konzipiert, um Psychologie- und Medizinstudierende erstmalig gemeinsam zu unterrichten. Über einen Zeitraum von 1 Woche erhalten die Studierenden Einblicke in die Bereiche der Physio- und Schmerz(psycho)therapie, Neurologie und Logopädie. Durch praktische Übungen wird das theoretische Wissen in die Praxis übertragen und gefestigt. Die Teilnehmer*innen konnten in Tandemteams (je 1 Mediziner*in und 1 Psychologe*in) gemeinsam Patient*innen befragen und untersuchen und versuchen, die körperlichen und psychischen Beschwerden der Patienten herauszuarbeiten und ganzheitliche Behandlungsangebote zu erarbeiten.

Erstmalig konnte das Lehrkonzept unter dem Titel „Interdisziplinarität in der Patientenversorgung“ in Form eines Wahlfachs zu Beginn des Wintersemesters 2019/20 angeboten werden und stieß bereits in der Anmeldephase auf eine besonders positive Resonanz bei den Studierenden. Durch eine Auswahl an erfahrenen Referenten aus der Praxis und Klinik der Physiotherapie, Logopädie, Schmerztherapie und Neurologie erhielten die Teilnehmer in Theorie und Eigenerfahrung einen Einblick in die jeweiligen Bereiche. Dadurch erlernten die Teilnehmer, die Erkrankungen der Patienten aus dem Blickwinkel verschiedener Fachdisziplinen zu betrachten und Behandlungsmöglichkeiten abzuleiten. Diese Art der Lehre gemeinsam mit der Kooperation der Psychologie und Medizin stellt eine Innovation dar und soll auch Anstoß sein, dieses Konzept umzusetzen und weiterzuentwickeln.

An den ersten beiden Tagen wurde im Rahmen von Referaten, die die Teilnehmer*innen in gemischten Teams vorgetragen haben, ein Einblick in die Psychotherapie und entzündlich rheumatische Erkrankungen gegeben. Mithilfe von Gruppenarbeiten wurde die Theorie zudem in die Praxis übertragen. Hierbei wurden z. B. Imaginationsübungen mit der Gruppe erprobt oder schwierige Behandlungssituationen in Rollenspielen durchgespielt (Tab. 1).

Tab. 1 Zeitplan des Lehrkonzepts

Alle Teilnehmer erhielten zu den unterschiedlichen Themengebieten Grundlagenliteratur, zu denen sie außerdem ergänzende wissenschaftliche Publikationen selbstständig recherchieren und vorstellen konnten. Die Art der Gruppenarbeit und die Gestaltung des Referats setzten die Teilnehmer*innen selbstständig um. Bei Bedarf ergänzte das Organisationsteam relevante Punkte. Die Benotung der Teilnehmer*innen setzte sich aus dem Referat, Umsetzung der Gruppenarbeit und Engagement während der Veranstaltung zusammen.

Am dritten Tag der Lehrveranstaltung erhielten die Studierenden Einblicke in die Bereiche der Physiotherapie und Logopädie. Neben der Darstellung der Therapieoptionen beider Bereiche, wurden auch verschiedene Krankheitsbilder im Rahmen dessen besprochen. Die Teilnehmer*innen führten unter Anleitung selbst physikalische und logopädische Übungen durch (Abb. 1).

Abb. 1
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Die Teilnehmer führten unter Anleitung von Dr. K. Richter-Bastian selbst physikalische Übungen durch. (Mit freundl. Genehmigung © R. Hasseli)

Da auch die Neurologie bei rheumatischen Patienten eine große Rolle spielt, wurde dies am nächsten Tag thematisiert. Die Abläufe einer neurologischen Untersuchung wurden am Patienten demonstriert. Zudem wurden verschiedene Schmerzqualitäten und ihre Genese besprochen.

Um die erarbeiteten Inhalte auch in der Praxis zu erproben, durften die Teilnehmer*innen in gemischten 2er-Gruppen Patienten anamnestizieren, untersuchen und gemeinsam Problemlösungen erarbeiten. Die Teilnehmer*innen konnten somit Einblicke in die Herangehensweise der jeweils anderen Profession erhalten. Hierbei konnten Schwächen und Stärken beider Professionen dargestellt und behoben werden.

Akquiriert wurden die Studierenden über die digitale universitäre Lehrangebotsplattform für den Fachbereich der Medizin und Psychologie. Da es sich um eine Blockveranstaltung über 1 Woche handelt, wurde das Lehrkonzept in der vorlesungsfreien Zeit angeboten. Trotz der Veranstaltung in diesem Zeitraum war die Bewerberquote höher als die verfügbaren Plätze, was das große Interesse an diesem Modellprojekt unterstreicht. Beide Studiengänge sind unterschiedlich aufgebaut. Im Studiengang der Psychologie, der auf einem Bachelor‑/Masterstudiengang basiert, werden die Lehrveranstaltungen mit Credit-Points (CP) bewertet. Aus diesem Grund musste das Lehrkonzept derartig konzipiert werden, dass dafür 6 CP vergeben werden konnten. Eine weitere Hürde war, dass beide Studiengänge später zwar interprofessionell arbeiten, aber bislang keine Verknüpfung während des Studiums stattfindet. Aus diesem Grund mussten auch Ressentiments bei den jeweiligen Fachbereichen beseitigt werden, was das Organisationsteam sehr gut umsetzen konnte.

Ziel dieses Lehrkonzepts ist es, neben der frühen Sensibilisierung für chronisch erkrankte Patienten auch die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit hervorzuheben. Mithilfe des Lehrkonzepts erfolgte nicht nur eine Wissensvermittlung verschiedener medizinischer Professionen, sondern es konnten auch Berührungsängste der Teilnehmer aus den verschiedenen Fachdisziplinen abgebaut werden.

Als Nebeneffekt wurde den Teilnehmern das Fach der internistischen Rheumatologie deutlich nähergebracht. Längerfristig wird dies sicherlich zu einer besseren Präsenz der Rheumatologie sowohl bei Medizin- wie auch den Psychologiestudierenden führen. Wir hoffen, dass unser Konzept auch an anderen Universitäten Interesse weckt und ggf. auch an anderen Standorten umgesetzt wird. Gerne stehen die Autoren bei der Umsetzung mit Rat und Tat zur Seite.

Fazit für die Praxis

  • Eine interprofessionelle Patientenversorgung verbessert den Krankheitsverlauf (u. a. Therapieadhärenz, Krankheitsbewältigung und Compliance) der Patienten und die Teamarbeit des medizinischen Personals.

  • Bereits die Ausbildung des medizinischen Personals sollte interprofessionell gestaltet werden.

  • Ein erster Schritt für eine interprofessionelle Lehre zwischen den Fachbereichen Humanmedizin und Psychologie konnte erfolgreich an der Universität Gießen umgesetzt werden.

  • Diese interprofessionelle Lehre soll auch in den nächsten Jahren weiter optimiert und umgesetzt werden