Zusammenfassung
Versucht man, die Wirkungen des Paradigmenwechsels in der Alterssicherung in Deutschland aus dem Blickwinkel der lebenslaufbezogenen Geschlechterdimension zu würdigen, zeigen sich Licht und Schatten – sie ist ein Konglomerat aus individuen- und familienbezogenen Leistungen, mit einer Beitrags- und Steuerfinanzierung sowie mit Maßnahmen der expliziten und impliziten, intendierten und nicht-intendierten ex post und ex ante Umverteilung und Diskriminierung.
Durch den Paradigmenwechsel ist die Komplexität des Alterssicherungssystems erhöht worden und es wurden einerseits zusätzliche Elemente der geschlechtsspezifischen Diskriminierung eingeführt und andererseits bestehende Elemente des sozialen Ausgleichs eingeschränkt. Durch die Leistungsreduzierung in der GRV nimmt zudem die Relevanz der privaten und betrieblichen ergänzenden Alterseinkünfte absolut und relativ zu und damit die Bedeutung von Einkünften, die keine Elemente des sozialen Ausgleichs enthalten bzw. die keine Anerkennung von Tätigkeiten außerhalb der Erwerbstätigkeit gewährleisten. Der Paradigmenwechsel hat im Endeffekt die Diskriminierung von Frauen auf zwei Wegen intensiviert und eine Umverteilung „von unten nach oben“ bewirkt. Es kommt somit zu einer Verstärkung der Inter- wie auch Intragender-Diskriminierung.
Ferner wurde durch den Umbau und die Betonung der Aspekte einer eigenständigen Altersabsicherung von Frauen die „männliche Normalerwerbsbiographie“ als Norm verstärkt. Die Betonung der eigenständigen Vorsorge schafft zudem Verteilungskonflikte innerhalb der Lebenspartnerschaft. Durch die im Prinzip in der Höhe im Zeitablauf konstanten Zahlbeträge einer privaten Vorsorge und die Schwankungen des individuellen Einkommens können diese Konflikte immer wieder auftreten. Die Abhängigkeit der Lebenspartner voneinander ist mit der Stärkung der Eigenvorsorge somit nicht reduziert oder gar abgeschafft, sondern in ihrer Form qualitativ und quantitativ verstärkt worden.
Vor diesem Hintergrund bilden die auf die Lebenssituation von Frauen ausgerichteten Maßnahmen in der gesetzlichen Rentenversicherung einen wichtigen Faktor, um den Nachteilen zu begegnen, die beim Aufbau eines angemessenen Alterseinkommens durch betriebliche oder private Absicherungsformen vor allem Frauen treffen.
Die Analyse zeigt, dass der Paradigmenwechsel im Alterssicherungssystem insbesondere für Frauen von Nachteil ist, da diese überproportional stark auf Leistungen der GRV angewiesen sind und damit auch überproportional auf kompensierende Leistungen zum Nachteilsausgleich in der betrieblichen und privaten Alterssicherung. Durch den Paradigmenwechsel und die Reduzierung des Rentenniveaus zeichnet sich grundsätzlich eine Zunahme von Altersarmut ab, von der insbesondere Frauen betroffen sein dürften.
Abstract
Trying to analyse the effects of the paradigm shift in the old age social security system in Germany (GRV) from a life cycle gender perspective yields light and shade – it is a conglomeration of individual- and family-specific transfers, financed by a mix of contributions and taxes, and with measures of explicit and implicit, intended and not intended ex-post and ex-ante redistribution and discrimination.
The paradigm shift has increased the complexity of the system and created additional elements of gender specific discrimination as well as reduced established elements of the so called “social compensation”. Furthermore, the relevance of complementary private and occupational pensions will increase absolute and relative due to the reduction of the pension level. This will raise the importance of earnings in old age especially those that are without any elements of social security compensation or without elements of recognition of activities beside employment.
Overall the paradigm shift has intensified the discrimination of women in two ways and the pension privatisation has caused redistribution from the bottom to the top. In other words, there is an increase in inter- and intra-gender discrimination.
Due to the changes and the emphasis of aspects of an independent old age security savings for women the norm of the “male breadwinner model” has increased. The importance of “providing one’s own pension” additionally creates distribution conflicts within a partnership. Because of the necessity of constant payments over time within a private insurance and the changes of an individual income and gender-specific life cycle, conflicts may occur time and again. The dependence of life-long partnerships on each other is not reduced or abolished with the strengthening of the individualistic model of protection, but is qualitatively and quantitatively improved.
Against this background, the measures of the statutory pension system which are aimed towards the situation of a woman’s life are important factors to combat the disadvantages of private funded pension systems of which mainly women are affected in building up rights to future benefits.
The analysis shows that the paradigm shift primarily brings disadvantages to women. They disproportionally depend on statutory pension system benefits, and therefore also on compensating benefits of the negative consequences of private and occupational pension systems. For the future an increase in poverty of older people – and especially women – can be seen to emerge because of pension privatisation and the reduction of the pension level in the German social security system.
Notes
Die Begrifflichkeit ist problematisch, geht doch mit der Reduzierung des Rentenniveaus auch eine Reduzierung der Bestandsrenten einher, die nicht mehr durch Eigenvorsorge ausgeglichen werden kann.
Die mit der „Stärkung der Eigenverantwortung“ begründeten Maßnahmen bedeuten im Prinzip eine Reduzierung der Leistungen in den Regelsystemen, um dadurch einen Zwang auf Personen zur privaten Vorsorge auszuüben. Es bleibt den Individuen selbst überlassen, ob und wie sie soziale Risiken absichern. Allerdings wird die Altersvorsorge über Versicherungsmärkte als ergänzender positiver Anreiz massiv steuerlich gefördert – mit all ihren Risiken, wobei hier die Abhängigkeit von den internationalen Kapitalmärkten hervorzuheben ist, da diese, wenn überhaupt, dann nur eingeschränkt einer staatlichen Kontrolle unterliegen (siehe hierzu z. B. [37], S. 88 ff.).
In der gesetzliche Rentenversicherung (GRV) erfolgt nicht nur die Altersvorsorge, sondern sie bietet u. a. auch eine Absicherung gegenüber dem Einkommensausfall aufgrund einer Erwerbsminderung und eine Hinterbliebenenabsicherung. Damit ist die GRV kein reines Alterssicherungssystem, was in der Diskussion häufig bewusst oder unbewußt außer Acht gelassen wird. Im folgenden kann aber auf die Absicherung dieser Risiken und die sich aus dem Paradigmenwechsel ergebenden Konsequenzen nicht weiter eingegangen werden.
Grundlage für derartige Überlegungen bildeten empirische Analysen von Paneldaten, wie dem sozio-ökonomischem Panel, Retrospektivdaten, wie der Lebensverlaufsstudie, sowie von zahlreichen Querschnitterhebungen der amtlichen Statistik wie beispielsweise [23], S. 215 ff.
Die älteren Arbeiten beziehen sich zudem auf Geburtskohorten von Frauen, die sich in vielerlei Hinsicht von denen der heutigen sich in der Erwerbsphase befindenden Frauen unterscheiden. Zu nennen sind hier beispielsweise das Ausbildungsniveau, das Arbeitsangebot oder auch die Wertvorstellungen.
Der Anteil beträgt auch für die Gesamtgruppe rund 37 % aller Personen. In dieser Gruppe liegt der Anteil der Männer bei 63 %, das sind mit 53,4 % etwas mehr als die Hälfte aller Männer.
Allerdings muß hierbei u. a. beachtet werden, dass in der DDR nicht zwischen Beamten-, Arbeiter- und Angestelltenstatus unterschieden wurde (zur Erfassung der Ostdeutschen in den Versichertenkonten siehe [19]).
Für eine ausführliche Analyse zu den Differenzen zwischen west- und ostdeutschen Frauen siehe [1].
So stellte schon Hofbauer 1978 [20] die Bedeutung des Lebenspartners bzw. Ehemanns für die Erwerbsbeteiligung von Frauen fest. Auf derartige Aspekte kann hier aber nicht weiter eingegangen werden. Grundsätzlich müsste die Biographietypologie aber auch den Zusammenhang mit der Haushaltszusammensetzung bzw. dem Familienstand berücksichtigen. So waren im Jahr 2005 rund 57 % der Frauen (älter als 20 Jahre) verheiratet, 23 % ledig und jeweils 10 % verwitwet oder geschieden (eigene Berechnungen auf der Basis von [34], S. 43). Im Haushaltskontext existieren jedoch keine Informationen über eine derartig lange Phase und Retrospektiverhebungen sind ungeeignet, da sie die Komplexität der Versichertenbiographie nicht adäquat abbilden (siehe z. B. [15]).
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Hierzu wären auch Phasen der Weiterbildung und Fort- bzw. Umschulung zu zählen.
Inklusive Phasen der Krankheit oder Arbeitslosigkeit.
Der Ansprucherwerb in diesen Phasen ist grundsätzlich geschlechtsneutral ausgestaltet.
Auf die in Bezug auf die Alterssicherung indirekt wirkenden Effekte z. B. des Arbeitsmarktes wird im folgenden nicht weiter eingegangen. Es wird in der Literatur davon ausgegangen, dass von Beginn der Erwerbstätigkeitsphase an eine Diskriminierung erfolgt und „… die schlechteren Konvertierungschancen weiblichen Humankapitals durch Mechanismen der sozialen Schließung sowie einer nach wie vor bestehenden Ungleichverteilung der Haus- und Erziehungsarbeit erklärt werden [können].“ [18].
Es gibt eine weitere Einschränkung: Wenn die Person bereits eine Teilrente wegen Alters bezieht, ist sie von der Anrechnung ausgeschlossen (§ 56 Abs. 4 Nr. 2 SGB VI).
Von der Kinderkomponente bei Witwen- oder Witwerrenten, d. h. den Zuschlägen gemäß § 78a SGB VI, wird hier abgesehen ([17], S. 49).
Hierdurch würde die Person dann den Status eines langjährig Versicherten erhalten und mit dem 63sten Lebensjahr eine Altersrente in Anspruch nehmen können (§ 36 SGB VI).
Für Frauen in Westdeutschland des Versichertenrentenzugangs 2006, die eine Regelaltersrente beziehen, lag die Anzahl der durchschnittlichen Versicherungsjahre bei 14,2 Jahren ([6], S. 63). Diese Rentenart erhielten 184.815 Frauen, das sind 46,9 % aller Rentenzugänge von westdeutschen Frauen im Jahr 2006.
Drei Entgeltpunkte für Kindererziehung und 2,3 Entgeltpunkte aufgrund der Berücksichtigung (§ 70 Abs. 3a SGB VI).
5,3 Entgeltpunkte multipliziert mit dem aktueller Rentenwert für Westdeutschland für Juli 2007 bis Juni 2008 in Höhe von 26,27 €.
Der Kinderzuschuss ist eine statische Zusatzleistung und beträgt monatlich EUR 78,18 bzw. in der knappschaftlichen Rentenversicherung monatlich EUR 78,99.
Durch die Regelung werden nicht nur Personen, die in der GRV versichert sind, betroffen, sondern es ist eine allgemeine Maßnahme des sozialen Ausgleichs, die über die Institution GRV erfolgt.
Allerdings gilt. „… Haben die Eltern eine übereinstimmende Erklärung nicht abgegeben, ist die Erziehungszeit der Mutter zuzuordnen.“ (§ 56 Abs. 2 Satz 7 SGB VI). Die Entscheidung wird somit in die Ehe übertragen und hängt damit von der „Machtkonstellation“ in der Ehe bzw. Lebenspartnerschaft ab.
Im Sinne von § 14 SGB XI – Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. I S. 1014), zuletzt geändert durch Artikel 28 Abs. 5 des Gesetzes vom 7. September 2007 (BGBl. I S. 2246)
Von der Zeit ab dem 1. Januar 1992 bis zum 31. Mai 1995 kann die Pflegetätigkeit als Berücksichtigungszeit gelten (§ 249b SGB VI). Dieser Sachverhalt wird im folgenden nicht weiter behandelt.
Für die hilfreichen Hinweise zur Erstellung dieser Auflistung bedanke ich mich bei ass. jur. Kerstin Telscher.
Die Teilzeittätigkeit muß weniger als 30 Std. pro Woche betragen.
Hierzu gehören beispielsweise die Beamtenversorgung, die Alterssicherung in den Kirchkassen sowie die Berufsständische Versorgung.
Soweit dies die Arbeitsnachfrage zulässt oder aufgrund der materiellen Situation überhaupt möglich ist: Der Anteil an Frauen an den Geringverdienern ist überproportional hoch. So waren im Jahr 2006 im Durchschnitt knapp 64 % der Geringverdiener Frauen (eigene Berechnungen auf Basis der Bericht [7], [8] sowie [9]). – Allerdings ist die materielle Situation im Haushaltszusammenhang zu berücksichtigen.
Dies erfolgt insbesondere nach §§ 10 und 10a Einkommensteuergesetz (EStG) / Abschnitt XI des EStG (§§ 79-99 EStG) bezüglich der Altersvorsorgezulage.
Siehe hierzu § 1 Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1310, 1322), zuletzt geändert durch Artikel 25 des Gesetzes vom 20. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3150).
Gemäß Subventionsbericht beläuft sich die Förderung der privaten kapitalgedeckten Altersvorsorge durch Zulagen (Fördervolumen) im Jahr 2008 auf 560 Millionen Euro ([4], S. 19 sowie S. 89) und ist somit die zwölftgrößte Steuervergünstigung.
Hier wird unterstellt, dass eine private Vorsorge nur dann sinnvoll ist, wenn ein bestimmtes absolutes Einkommen im Alter erreicht wird. Falls nur ein Gesamteinkommen unterhalb des Grundsicherungsniveaus erreicht werden kann, macht eine Vorsorge aus individueller Sicht keinen Sinn, da dieses Einkommen bei der Leistungsbemessung berücksichtigt wird.
Anstelle von 12 % bis 13 % bei hälftiger Beitragszahlung wie z. B. im Gesetzentwurf unterstellt ([17], S. 37), muß eine Person 11 % plus 4 %, also insgesamt 15 % des versicherungspflichtigen Arbeitsentgelts aufbringen.
Eine weitere Ausnahme, die allerdings keinen direkten, die Diskriminierung betreffenden Effekt hat, sind die vergleichsweise strikten Auflagen für die Anbieter bezüglich der Ausgestaltung und der Anlagemöglichkeiten, mit denen u. a. die langfristige Sicherheit der Kapitalanlagen besser gewahrt werden soll.
Siehe für eine kurze Darstellung der Regelungen z. B. [30], S. 7-9. Es sei hier darauf hingewiesen, dass der Begriff „betriebliche Altersvorsorge“ nicht eine Beteiligung des Betriebes an der Finanzierung meint, sondern lediglich die vertragliche Abwicklung der Vorsorge über den Betrieb. Schmähl bezeichnet die Leistungen daher auch als „arbeitnehmerfinanzierte Betriebsrenten“ ([30], S. 8).
Eine Zustimmung des Arbeitgebers ist nicht erforderlich, da der sozialversicherungspflichtig Erwerbstätige einen Rechtsanspruch auf diese Art der Altersvorsorge hat (§ 1a BetrAVG).
Es handelt sich um den sogenannten Sockelbetrag, wobei die Höhe des zu zahlenden Betrages von der Kinderzahl abhängt (§ 86 EStG). Dabei wird noch differenziert, ob die Person selbst oder aber der Ehegatte pflichtversichert ist. Im zweiten Fall muß der pflichtversicherte Ehegatte ebenfalls einen Mindestbeitrag zahlen.
Die Altenberichtskommission kommt zu einem ähnlichen Ergebnis bezüglich der „Altersdiskriminierung“: „… Im Kern geht die deutsche Altersgrenzengesetzgebung noch immer von der Fiktion des klassischen männlichen Normalarbeitsverhältnisses einer lebenslangen Vollzeiterwerbskarriere aus. Gesundheits- und erwerbsminderungsbedingte Abweichungen bleiben dabei ebenso „Fremdkörper“ wie z.B. familienbedingte Unterbrechungen in der Erwerbsarbeit auf Grund von familiären Pflegeverpflichtungen. …“ ([3], S. 94).
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Interessenkonflikt
Es besteht kein Interessenkonflikt.
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Für die konstruktive Kritik und die hilfreichen Anmerkungen zur vorläufigen Fassung dieses Beitrages bedanke ich mich bei Dipl.-Soz. Susanne Donnerbauer, Dipl.-Volksw. Birte Erdmann, Dipl.-Volksw. Katharina Kröger und ass. jur. Kerstin Telscher sowie einer/m anonymen Gutachter/in.
Im Beitrag stehen die Änderungen im Regelsystem der BRD, der gesetzlichen Rentenversicherung, sowie die im Zusammenhang damit erfolgten Maßnahmen der ersetzenden privaten und betrieblichen Vorsorge im Mittelpunkt der Analyse. Andere Altersvorsorgesysteme wie die Beamtenversorgung oder die berufständischen Versorgungswerke werden nicht behandelt. Siehe zur Ausgestaltung des deutschen Alterssicherungssystems für einen kurzen Überblick z. B. [3], S. 190, eine ausführliche Darstellung ist zu finden in Bundestags-Drucksache 14/7640.
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Fachinger, U. Das Ende der Diskriminierung in der Altersvorsorge?. Z Gerontol Geriat 41, 360–373 (2008). https://doi.org/10.1007/s00391-008-0001-9
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