„Es ist nicht genug, zu wissen, man muß auch anwenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun …“

(Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre [1])

Dieses „Plädoyer“ von Goethe könnte im Zusammenhang mit diesem Themenheft nicht treffender formuliert werden. Haben wir nicht schon lange auf neue Behandlungsmöglichkeiten bei Autoimmunerkrankungen des Auges gewartet? Müssen wir nicht schon seit Längerem nahezu neidvoll auf Entwicklungen in anderen Fachbereichen, v. a. Rheumatologie, Dermatologie und Gastroenterologie, blicken?

Autoimmunerkrankungen nehmen weltweit zu. Damit sind auch verstärkte Anstrengungen zur Frühdiagnostik und besseren Behandlung in den Vordergrund gerückt. In den letzten Jahren gingen aus zahlreichen „randomisierten kontrollierten Studien (RCTs)“ neue Therapien v. a. mit Biologika hervor, die bisher nicht bekannte Behandlungserfolge aufweisen können. Zum Teil konnten unsere Patienten im Rahmen von gleichzeitig bestehender Augenbeteiligung von diesen Fortschritten profitieren. Der direkte Zugang zu diesen Therapien war dagegen nur im Off-label-Verfahren mit deutlichen Hürden möglich. Dies wird sich voraussichtlich in diesem Jahr ändern und könnte v. a. für Patienten mit posteriorer Uveitis neue Möglichkeiten eröffnen.

Wir wissen seit Langem, dass Autoimmunreaktionen bei einer Reihe von relevanten Augenerkrankungen eine wesentliche Rolle spielen. Bereits Anton Elschnig [2] propagierte 1910 eine (Autoimmun-)Pathogenese der sympathischen Ophthalmie. Heute ist uns eine Vielzahl von immunpathologischen Veränderungen bekannt, die sich am Auge in unterschiedlichen klinischen Manifestationen ausdrücken. Von der endokrinen Orbitopathie über intraokulare Entzündungen im Rahmen einer juvenilen Arthritis (JIA) bis zu White-dot-Syndromen und Neuritis nervi optici reicht ein weites Spektrum. Gemeinsam ist diesen Erkrankungen, das sie

  • organspezifisch, aber auch multiorganbezogen auftreten können,

  • schubweise und überwiegend progredient verlaufen,

  • bevorzugt Patienten bereits im jüngeren Lebensalter betreffen und

  • schwerwiegende Langzeitschäden hinterlassen können.

Zwar scheinen eher kleine Patientengruppen betroffen zu sein, die Prävalenz ist allerdings deutlich steigend, und zusammengenommen sind sie zweifellos bedeutsam. Hinzu kommt, dass Autoimmunerkrankungen überwiegend junge Patienten betreffen und diese in ihrer Lebensführung sehr einschränken. Bezogen auf die kumulative Patientenlebenszeit ergibt sich damit ein deutlich ungünstigeres Bild gegenüber vielen anderen, eher altersbezogenen Erkrankungen in der Ophthalmologie.

Ein deutlicher Fortschritt in der Behandlung von Autoimmunerkrankungen wurde durch die Einführung einer neuen Wirkstoffklasse, sog. „Biologika“, erreicht. Basierend auf der grundlegenden, nobelpreisgekrönten Arbeit von Köhler und Milstein [3] wurden biotechnologisch hergestellte Medikamente entwickelt, die zu einer bisher nicht bekannten Spezifität und Wirksamkeit führten. Als Zielstrukturen der Therapie stehen Immunzellen, v. a. B‑ und T‑Lymphozyten, im Vordergrund. Zudem können spezifische Zytokine und einige kostimulatorische Moleküle sehr gezielt beeinflusst werden.

Autoimmunreaktionen spielen bei einer Reihe von relevanten Augenerkrankungen eine wesentliche Rolle

In diesem Themenheft präsentieren Hoyer und Hiepe [4] eine aktuelle Übersicht zur Behandlung mit Biologika aus rheumatologischer Sicht und stellen einen historischen Bezug zu anderen Therapeutika her. Gleichzeitig wird auch ein Ausblick auf künftige Entwicklungen gewagt, der u. a. „small molecules“ und zellbasierte Behandlungen einbezieht. Die konkrete und künftige Umsetzung dieser Therapien für die intraokulare Entzündung steht im Beitrag „Therapie der posterioren, nichtinfektiösen Uveitis – aktueller Stand und künftige Entwicklungen“ im Fokus [5]. Besonders wird dabei die erwartete Zulassung von 2 neuen Therapeutika für diese Indikation hervorgehoben. Kinder mit JIA und Uveitis profitieren bereits seit einiger Zeit von der Behandlung mit Biologika, die überwiegend bereits ab dem 2. Lebensjahr zugelassen sind. Die bisher vorliegenden Erfahrungen sind sehr ermutigend und kommen im Übersichtsbeitrag von Heiligenhaus et al. [6] zum Ausdruck. Abgerundet wird der Themenschwerpunkt durch neue immunmodulatorische oder neuroprotektive Ansätze zur Behandlung der Neuritis nervi optici. Diese Indikation weist einige Besonderheiten auf, die von Beisse und Diem [7] aktuell zusammengefasst werden.

Es ist erfreulich zu vermerken, dass gleich für 2 neue Wirkstoffe die Zulassung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) beantragt wurde. Für Adalimumab, das uns bereits aus der Behandlung der JIA/Uveitis im Kindesalter bekannt ist, wurde die Zulassung zur Behandlung der nichtinfektiösen Uveitis im hinteren Augensegment gestellt. Ebenfalls für diese Indikation wurde der interessante Therapieansatz einer intravitrealen (!) Applikation des Immunsuppressivums Sirolimus (ein mTOR-Inhibitor) beantragt.

Es bleibt die Frage, warum der Zugang zu neuen Therapeutika, z. B. für unsere Patienten mit intraokularer Entzündung, so lange auf sich warten ließ? Dafür können viele Überlegungen angeführt werden, darunter sind

  • relativ kleine Patientenkohorten,

  • ungenügend definierte Krankheitsbildern und

  • unzureichende diagnostische und Studienkriterien, aber auch

  • das Fehlen einer „Studienkultur“

anzuführen.

Somit bleiben wir in der Pflicht und sollten im Sinne unserer Patienten verstärkte Anstrengungen unternehmen, um dies zu verbessern. Die molekularbiologische und genetische Charakterisierung von bislang überwiegend deskriptiv dargestellten Krankheitsbildern und die Suche nach potenziellen Biomarkern sind nur 2 von vielen weiteren Herausforderungen, die wir bei Autoimmunerkrankungen des Auges angehen müssen. Halten wir es mit Goethe …

Erkenntnisgewinn und Lesevergnügen wünscht

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Uwe Pleyer