Ausgangslage

Die komplexen strukturellen und finanziellen Herausforderungen des wissenschaftlichen Nachwuchses sind in anderen Bereichen der Wissenschaft, wie zum Beispiel den Geisteswissenschaften, wohl bekannt. In den letzten Jahren scheinen diese Probleme jedoch auch in den vergleichsweise gut finanzierten technischen Zweigen wie der Informatik zur Normalität zu werden. Dramatischerweise hat gerade jene Gruppe aufgrund ihrer vielen Herausforderungen am wenigsten Ressourcen, sich um sich selbst zu kümmern. Doch es ist längst an der Zeit, auch aus Sicht des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Informatik, im Besonderen der Gesellschaft für Informatik, Stellung zur Bildungs- und Wissenschaftspolitik und zum Hochschulbetrieb zu beziehen.

Der Begriff des wissenschaftlichen Nachwuchses kann unterschiedlich ausgelegt werden [1]: Im engeren Sinn sind Promovierende, Postdoktoranden und Postdoktorandinnen gemeint, die an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen beschäftigt sind und eine Professur oder eine wissenschaftliche Leitungsposition anstreben. Sie sind hochqualifiziert und haben üblicherweise eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeitende inne. Jedoch strebt nicht jeder junge Forschende eine Karriere in der Wissenschaft bis hin zur Professur an. Vielmehr sehen sie ihre Funktion auch in der Ausfüllung von Tätigkeiten im akademischen Mittelbau. Dieser Mittelbau ist auf der einen Seite mit Lehr- und Forschungsaufgaben und auf der anderen Seite mit administrativen Aufgaben, hochschulpolitischen Ämtern und der Außendarstellung („public outreach“) befasst.

Prekäre Beschäftigungsverhältnisse

Die Nachwuchsqualifizierung und -förderung erweist sich in Deutschland als prekär. So ergibt sich bei der Planbarkeit der akademischen Karriere ein unsichtbarer Flaschenhals auf der Karriereleiter hin zur Professur. Seit 2000 erhöhte sich die Zahl des wissenschaftlichen Nachwuchses um 76 %, die der Professoren jedoch nur um 21 % [1]. Befeuert wurde diese Entwicklung außerdem durch das 2007 eingeführte Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Es sollte dazu dienen, wissenschaftlichen Nachwuchs – nach einer begrenzten Qualifikationsphase – schnell in feste Arbeitsverhältnisse zu überführen und nicht dauerhaft in zeitlich begrenzten Drittmittelprojekten zu beschäftigen. Faktisch ist jedoch das Gegenteil eingetreten: Permanente Stellen an Hochschulen und Universitäten wurden massiv abgebaut. Die Vertragslaufzeiten für wissenschaftliche Mitarbeitende werden immer kürzer. Teilweise werden nur Teilzeitverträge angeboten. Von einigen Hochschulen wird die Regelung derart streng ausgelegt, dass generell nach 12 Jahren Schluss ist, unabhängig davon, ob es sich um eine Drittmittelstelle handelt. Wie viele und welche Hochschulen dieser Auslegung folgen, ist nicht mit Statistiken hinterlegt. Dies ist für die Betroffenen aber umso problematischer, da diese gezwungenen Karriereenden dem Forschenden in jungen Jahren oft nicht bewusst sind. Die Fristenregelung führt aktuell in der Mehrheit der Fälle dazu, dass wissenschaftliche Mitarbeitende im Mittelbau ihre Stellen in Forschung und Lehre mittel- bis langfristig dauerhaft aufgeben müssen.

Unzureichende Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Die Vereinbarkeit von Familie und akademischer Karriere ist nach wie vor schwierig; die unsichere Perspektive einer akademischen Karriere sowie die beschriebenen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen führen zu einer Benachteiligung insbesondere von Wissenschaftlerinnen. So sind 49 % der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und 42 % der wissenschaftlichen Mitarbeiter an Universitäten endgültig kinderlos – bei altersgleichen Hochschulabsolventinnen und -absolventen liegt dieser Wert bei geschätzten 25 %. Ebenso ist mit fortschreitender Karrierestufe ein abnehmender Frauenanteil in der Wissenschaft zu verzeichnen [1]. Durch die lange Dauer der Promotion an Hochschulen ist eine Verschiebung der Familienplanung auf die Zeit nach der Promotion keine adäquate Alternative. Gleichzeitig wirken sich die langen Promotionsverfahren sowohl bei Wissenschaftlerinnen als auch bei Wissenschaftlern nachteilig auf die Berufschancen in der freien Wirtschaft aus. Maßnahmen, wie sie familienfreundliche Hochschulen, berufundfamilie [2] und GESIS [3] anstreben, sind ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Chancengleichheit und -gerechtigkeit

In Deutschland dreht sich die Chancengleichheit hauptsächlich um die Rolle des Geschlechts. Jedoch entstehen Benachteiligungen auch nach sozialer Herkunft, Religion, sexueller Neigung, Behinderung und Alter [4]; etwa zwei Drittel der Doktoranden stammen demnach aus einem bildungsnahen Elternhaus [4]. Finanzielle Sorgen können zum Teil mit einem Stipendium abgefangen werden. Die Benachteiligung zeigt sich jedoch besonders in den Zeiten zwischen zwei Verträgen, der gestiegenen Erwartung der Mobilität, der Teilnahme am wissenschaftlichen Austausch auf Konferenzen und weniger ausgeprägten Kulturtechniken wie Sprachfertigkeit. Zusätzlich fehlen für Nachwuchswissenschaftlerinnen nach wie vor passende Rollenvorbilder, die nicht nur in ihrer Rolle, sondern auch durch deren Anzahl und somit gut sichtbare Leistung eine Wirkung entfalten [5]. Wie helfen wenige Rollenvorbilder, wenn sie am Ende doch wie eine Ausnahme wirken?

Mangelndes Qualitätsmanagement

Hinzu kommen mangelnde Qualitätssicherung während der wissenschaftlichen Qualifizierung sowie fehlende zuverlässige und vertrauenswürdige Mechanismen, Konflikte zu melden und zu lösen. Begünstigt wird dies durch steile Hierarchien des Wissenschaftssystems [6], hohen Publikationsdruck und vielseitige Abhängigkeiten von Promovierenden. Diese stehen laut einem Positionspapier des Doktoranden-Netzwerks der Max-Planck-Gesellschaft oft unter einem umfassenden akademischen und administrativen bzw. beruflichen Abhängigkeitsverhältnis [7]. Gepaart mit fehlendem Training in Personalführung wissenschaftlicher Führungspersönlichkeiten führt dies zu hohen Abbruchquoten, langer Promotionsdauer und unzureichender Vermittlung von Schlüsselqualifikationen für den (nichtakademischen) Arbeitsmarkt [1]. Die Erwartungen an Evaluationen von Nachwuchswissenschaftlern sind darüber hinaus häufig nicht hinreichend präzise konkretisiert – diese Planungsunsicherheit erschwert die wissenschaftliche Karriere [8].

Unzureichende Formalisierung der Prozesse

Fehlanreize im akademischen System führen außerdem zu großen Fachgebieten und Lehrstühlen, die eine direkte, intensive und regelmäßige Betreuung der Promovierenden durch Professorinnen und Professoren beeinträchtigen. Sowohl das Bewerbungsverfahren als auch das Betreuungsverhältnis sind dabei häufig nicht ausreichend formalisiert. Das Arbeitsverhältnis selbst ist häufig prekär und durch Teilzeit- und Kurzzeitverträge geprägt. Das führt im Ergebnis zu einer mangelnden Planbarkeit der Promotionsphase und zu unsicheren Zukunftsperspektiven für die Promovierenden. Auch die Häufung von Rollen (der disziplinarische Vorgesetzte ist in der Regel gleichzeitig Betreuer und Erstgutachter) ist vor diesem Hintergrund als nachteilig zu betrachten [9].

Nachwuchs als Rückgrat der Wissenschaft

Der wissenschaftliche Nachwuchs trägt erheblich zum Betrieb universitärer Forschungseinrichtungen bei: Die Beteiligung Promovierender an Lehre, Forschung und Transfer liegt an Universitäten bei etwa 67 % und an Fachhochschulen bei etwa 65 % [1]. Gleichzeitig ist es von gesellschaftlich zentraler Bedeutung, dass sich das Prinzip der Bestenauslese bei der Wahl der Promovierenden auch in Zukunft als tragfähig erweist. Der direkte Wechsel der Jahrgangsbesten in die Wirtschaft verlagert mittelfristig nicht nur die Informatikforschung zunehmend in Unternehmen, sondern schafft auf lange Sicht auch neue Herausforderungen bei der Besetzung von Informatikprofessuren. Durch einen wachsenden Fokus auf Work-Life-Balance ist zu erwarten, dass sich das Problem in naher Zukunft noch verschärfen wird, falls sich Organisation und Strukturierung der Promotionsphase in Deutschland nicht zeitnah an die geänderten Rahmenbedingungen anpassen sollten.

Kurzfristige Handlungs- und Planungshorizonte

Der durch Forschungstätigkeiten angestrebte Erkenntnisgewinn beschränkt sich nicht auf kurzfristige Erfolge und Ergebnisse; wegweisende Entdeckungen in der Informatik sind häufig das Ergebnis von jahrelangen Fehl- und Rückschlägen in mühsam aufgebauter (internationaler) Zusammenarbeit. Ein durch Befristung und unsichere Zukunftsperspektiven geprägtes Forschungsfeld nimmt den Forschenden den langen Atem und erschwert die tiefe Durchdringung und Erforschung von Themenfeldern [10]. Ullrich und Reitz bezeichnen diese Problematik mit dem Begriff der „prekären Mobilität“. Jene ist de facto durch eine „fast grenzenlose zeitliche und räumliche Verfügbarkeit der akademischen Wissensarbeiter*innen“ gekennzeichnet [11]. Für die Betroffenen entwickelt sich anstelle des idealistischen Lebensplans einer sich stetig weiterentwickelnden Persönlichkeit, wie er vielleicht noch zum Antritt des Studiums bestand, eher das Leben eines Nomaden, der situativ zwischen Hochschulen und Forschungseinrichtung springt, um jegliche Möglichkeit zur Stabilisierung der eigenen Lebensverhältnisse zu ergreifen und nicht einen sozialen Absturz zu erleiden [11,12,13]. Ein ungewollter Nebeneffekt ist, dass Deutschland dadurch mehr gut qualifizierte Forschende verliert (Brain Drain) als gewinnt [13]. Insbesondere die Juniorprofessur kann eines der größten Probleme auf dem Weg zur Professur auf Lebenszeit nicht lösen: die Unsicherheit. Das liegt daran, dass nur 13 % der Juniorprofessoren und Juniorprofessorinnen einen Tenure-Track haben [5].

Eigenverantwortlichkeit versus Unterstützung

In der Phase nach der Promotion besteht ein Spannungsfeld zwischen selbstverantwortlicher Forschung und Lehre und der wissenschaftlichen und administrativen Unterstützung. Das sorgfältige Austarieren gerät an beiden Polen des Spektrums an seine Grenzen: Postdoktoranden und Postdoktorandinnen haben bei guter Unterstützung eine vergleichsweise geringe Selbstverantwortung, während Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren bei einer hohen Selbstverantwortung eine vergleichsweise geringe Unterstützung genießen. Dabei erfordert die Koexistenz verschiedener Modelle für die wissenschaftliche Karriere nach der Promotion die kontinuierliche Anpassung der durch Hochschulen, Forschende sowie Fördergeber geprägten Kulturen im Bereich von Forschung und Lehre [14].

Unklare Zukunftsperspektiven und undurchsichtige Erstberufungskriterien

Die Gewissheit, dass eine Professur erreicht werden kann, kommt in der akademischen Karriere zu spät; die grundsätzlich positive Bewertung des Modells „Juniorprofessur“ wird durch diese Planungsunsicherheit entscheidend getrübt. Laut einer Studie aus dem Jahr 2016 bewerten weniger als 10 % der Juniorprofessoren und Juniorprofessorinnen die Planbarkeit ihrer Karriere positiv [15, 16]. Während Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen sich spätestens nach Fertigstellung der Promotion für eine Karriere in der Wissenschaft entscheiden, wird die Sinnhaftigkeit dieser Entscheidung in der Regel erst viele Jahre später bestätigt – oder eben auch widerlegt. Bei Postdoktorandinnen und Postdoktoranden sowie Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren handelt es sich bereits um hochqualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – ein Ende der wissenschaftlichen Karriere zu diesem Zeitpunkt schadet dem Wissenschaftsstandort Deutschland [8].

Hinzu kommt eine schwache Infrastruktur für jene, die den riskanten und aufwendigen Schritt wagen, für einige Zeit ins Ausland zu gehen. Eine gezielte Heimkehr ist oft nicht möglich, was nicht selten zum Verlust des sozialen Umfelds (insbesondere Familie oder Partnerschaft) führt. Den anachronistischen Gipfel bilden Habilitationsmodelle, die wertvolle Auslandsaufenthalte pönalisieren, statt Publikations- und Lehrverpflichtungen sowie Zeitplan entsprechend anzupassen oder Vorkehrungen wie zum Beispiel kompensierende Erasmus+-Besuche aktiv zu fördern. Was die Vorselektion in Berufungsverfahren angeht, herrscht das kennzahlengetriebene Publish-or-perish-Diktat vor, das der Oberflächlichkeit den Vorrang gewährt und eine inhaltsbezogene Bewertung schlicht unattraktiv macht.

Bisherige Aktivitäten zur Stärkung des Mittelbaus

Schon seit vielen Jahren bemühen sich verschiedene Organisationen und Initiativen aus verschiedenen Richtungen um die Verbesserung der beschriebenen Problemlage (siehe auch [11]). Dieser Beitrag fasst im Folgenden einige dieser Bemühungen zusammen.

Zusätzliche Tenure-Track-Stellen und Professuren

Der Deutsche Hochschulverband (DHV) „vertritt die hochschulpolitischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen der Hochschullehrer gegenüber Staat und Gesellschaft“. Der DHV hat im März 2012 eine Resolution veröffentlicht [17], die zusätzliche Tenure-Track-Stellen und Lebenszeitprofessuren fordert, um den Schub hochqualifizierter Jungwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen durch die Exzellenzinitiative aufzufangen. Der DHV fördert Anreize zur Balancierung von Lehre und Forschung sowie zur besseren Eigenqualifizierung junger Forschender. In einer kürzlich erschienenen Resolution [12] listet der DHV wesentliche Empfehlungen zur Reform der wissenschaftlichen Leistungsbewertung, der Forschungsförderung, der Hochschulfinanzierung sowie zur Verbesserung von Karriereperspektiven auf.

Der Verein für moderne Karrierewege in der Wissenschaft (DGJ) ist ein bundesweiter Zusammenschluss von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen im frühen Karrierestadium. Seit 2002 bewertet der DGJ Maßnahmen wie den Nachwuchspakt, Juniorprofessuren und Tenure-Track-Programme und fördert den Austausch von Universitäten und Politik zur Gestaltung attraktiver Karrierewege in der Wissenschaft. Darüber hinaus gibt es noch weitere Reformvorschläge (u. A. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 27.06.2013, Hochschulrektorenkonferenz, TUM Faculty Tenure Track, Junge Akademie, GEW, Wissenschaftsrat; [10]). Auch der DGJ fordert den Ausbau von Lebenszeitprofessuren und die Ausstattung von Juniorprofessuren mit Tenure-Track-Stellen.

Entfristungsoffensive zur Stärkung des Mittelbaus

Der Vorstandsbereich „Hochschule und Forschung“ der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist stark für den Mittelbau aktiv [18], spricht sich für eine Entfristungsoffensive zur Exzellenzstrategie aus [19], fordert einen Kurswechsel in der Hochschulfinanzierung und stellt kürzlich die Unzulänglichkeit des sogenannten Hochschulpakts hinsichtlich der Finanzierung des Mittelbaus fest [20]. Im Templiner Manifest stellte die GEW bereits 2010 Forderungen zur Reform von Personalstruktur und Berufswegen in der Wissenschaft auf [21]. Der darauf aufbauende Herrschinger Kodex stellt eine Möglichkeit zur selbstverpflichtenden Umsetzung der Forderungen für Hochschulen dar [22].

Stärkung der Fachhochschulen

Die 2017 erschienene Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) zur Bewerberlage bei FH-Professuren erachtet folgende Ansätze als zielführend: die enge Zusammenarbeit von (Hochschul‑)Politischen Akteuren, nachhaltige Karrierewege, die Professionalisierung des Lehrbeauftragtenmanagements, den Ausbau von Tandemprogrammen zwischen Hochschulen und Unternehmen sowie Tenure-Track-Initiativen und Nachwuchsprofessuren. Der Hochschullehrerbund (HLB), besonders aktiv in Hessen, fordert den Auf- und Ausbau des akademischen Mittelbaus in der Fachhochschullandschaft. Das DZHW führt zurzeit die Nacaps-Längsschnittstudie über Promovierende und Promovierte, insbesondere zu deren Qualifizierungsbedingungen und Karrierewegen, durch. Erste Ergebnisse werden Ende 2019 erwartet [23].

Etablierung von Alternativen zur Professur

Der ver.di-Fachbereich „Bildung, Wissenschaft und Forschung“ strebt mit seiner Position [24] aus dem Mai 2011 die folgenden Ziele an: Die Förderung von Tenure-Track-Professuren; eine verlässliche Grundfinanzierung zur Entschärfung des Drittmittelwettbewerbs; die Verbesserung von Promotionsbedingungen (insbesondere die Betreuung), Vertragsbedingungen (weniger Teilzeit, Entfristung, Aufhebung des WissZeitVG) und Work-Life-Balance; die Etablierung von Dauerbeschäftigung für Daueraufgaben und die Schaffung von Alternativen zur bisherigen Professur. Darauf aufbauend erarbeitet ver.di konkrete Dienstvereinbarungen [25].

Gestaltung der Karrierewege

Seit 2000 fördert die Junge Akademie den Austausch zwischen Wissenschaft und Politik sowie die Öffentlichkeitsarbeit der Wissenschaften. Die Arbeitsgruppe „Wissenschaftspolitik“ diskutiert regelmäßig die faire Gestaltung der Berufungspraxis, die Verbesserung von Karrierewegen (etwa die Einführung von langfristig geförderten, sogenannten Bundesprofessuren) sowie die Verbesserung der Organisation in Universitäten. In weiten Teilen ähnlich positioniert sich seit 2012 der Bioökonomierat. Dieser hat Empfehlungen und Anforderungen für eine nachhaltige Bioinformatikinfrastruktur in Deutschland definiert, die zur Durchführung von bioökonomierelevanter Forschung zwingend notwendig sind, aber auch auf andere Bereiche der Informatik zutreffen [26].

Prävention und Bewältigung von Konflikten

Das Doktoranden-Netzwerk der Max-Planck-Gesellschaft zielt auf die Verbesserung der Betreuung von Promovierenden an Max-Planck-Einrichtungen, insbesondere den Schutz deren körperlicher und psychischer Gesundheit, die Prävention von Konflikten und Machtmissbrauch, die Schlichtung von Konflikten durch ein externes, unabhängiges Komitee und die Etablierung von Konsequenzen für Fehlverhalten in diesem Umfeld ab [7].

Verbesserung der Betreuungsverhältnisse

Das seit etwa 2016 aktive Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) bündelt lokale Initiativen und zielt auf wirksame Öffentlichkeitsarbeit, Kampagnen- und Streikfähigkeit zur Besserstellung des akademischen Mittelbaus, insbesondere der Reduktion von Befristungen, der Ausweitung der Exzellenzinitiative, der Entökonomisierung von Bildung und Forschung sowie der Verbesserung des Betreuungsverhältnisses zwischen Studierenden und Lehrpersonal. Wie die Junge Akademie fordert auch das NGAWiss die Auflösung von Lehrstühlen und die Demokratisierung von Instituten [13]. Darüber hinaus gibt es viele verschiedene Einzelinitiativen, wie zum Beispiel die anonyme MittelbauHD.

Professorinnenprogramm

Das BMBF Professorinnenprogramm ist ein wichtiger Baustein, um den Prozentsatz von Professorinnen insbesondere in stark männlich dominierten Wissenschaften wie der Informatik auf lange Sicht signifikant zu steigern. Das Professorinnenprogramm schafft Rollenvorbilder, indem es die Vielfalt und die Bandbreite der Möglichkeiten als Professorin im Bereich der Informatik für Nachwuchswissenschaftlerinnen sichtbarer macht [5].

Juniorprofessuren mit Tenure-Track

Die Juniorprofessuren mit Tenure-Track-Perspektive reduzieren den Druck auf junge Forschende. Die Erzielung von kurzfristigen Ergebnissen tritt gegenüber auf Langfristigkeit angelegten Erfolgen, den ambitionierten Forschungstätigkeiten, zurück [10]. Aufgrund der durch die bessere Zukunftsperspektive gewonnenen Sicherheit können Juniorprofessoren und Juniorprofessorinnen mit Tenure-Track die verfassungsmäßige Freiheit in Forschung und Lehre im Sinn der Weiterentwicklung des eigenen Forschungsgebiets vollumfänglich ausschöpfen. Eine weitere Überlegung sollte darin bestehen, eine Trennung von wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen und Qualifikationsstellen (Y-Modell) in Betracht zu ziehen [13].

Mentoring und Wiedereingliederung des wissenschaftlichen Nachwuchses

Die German Scholars Organization (GSO) fördert Eingliederungsmaßnahmen in das deutsche Wissenschaftssystem nach einem Auslandsaufenthalt und betreibt ein Mentoring-Programm. Allerdings ist die Position des GSO zur Unterstützung des Mittelbaus unklar.

Verbesserung der Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses

Auf Basis der beschriebenen Lage und vor dem Hintergrund bisheriger Aktivitäten spricht sich der GI Beirat des wissenschaftlichen Nachwuchses für die folgenden Maßnahmen zu verschiedenen Hauptthemen aus.

Grundfinanzierung

Die gelegentliche Gegenthese, dass Informatik gut oder stabil finanziert sei, ist nicht ohne Weiteres haltbar. Die Informatik als Wissenschaft ist durch ihre in weiten Teilen starke Anwendungsnähe besonders der Gefahr zu starker Drittelmittelfinanzierung und Kommerzialisierung ausgeliefert, sodass Mittel für unabhängige und stabile Grundlagenforschung und daraus gespeiste Lehre langfristig bedroht sind. Wir fordern deshalb Maßnahmen zur verlässlichen Grundfinanzierung der Forschung (vgl. [13, S. 6]). Dementsprechend erwarten wir eine Verschlankung und Reduzierung des administrativen und organisatorischen Zusatzaufwands der Universitäten im Wettbewerb um direkt industriefinanzierte Drittmittel, damit wieder mehr Zeit für die universitären Kernaufgaben (Lehre und Forschung) zur Verfügung steht. Im Zuge dessen kann auch eine Erweiterung der allgemeinnützigen Stiftungs- und Förderinstitutslandschaft einen wichtigen Beitrag zur erneuten Fokussierung auf diese Kernaufgaben leisten. Einhergehend damit befürworten wir die Stabilisierung der lokalen Organisation von Promotions‑, Habilitations- und Jungforscherprojekten. Dazu zählt insbesondere die genaue und stabile Abstimmung von Promotionsthemen mit längeren und umfangreichen Förderprojekten.

Betreuung während der Promotion

Wir empfehlen Maßnahmen zur Verbesserung der Betreuung während der Promotionsphase. Hierzu zählen:

  1. 1.

    die Trennung von Betreuung und Begutachtung sowie die externe unabhängige Begutachtung,

  2. 2.

    der flächendeckende Einsatz von Promotionskomitees (Thesis Advisory Committees) mit unabhängigen Mitgliedern und der Dokumentation deren Arbeit zur Qualitätssicherung (vgl. [27]),

  3. 3.

    die klare Definition der Rolle von Betreuern sowie die Unterstützung von Promovierenden bei der zukünftigen beruflichen Orientierung und den Schutz der körperlichen und psychischen Gesundheit,

  4. 4.

    die Beseitigung von negativen Einflüssen von vertraglichen Rahmenbedingungen auf das Betreuungsverhältnis (vgl. [13, S. 2]),

  5. 5.

    den Nachweis pädagogischer Weiterbildungen in der Betreuung vor Antritt einer Tenure-Track-Stelle und/oder einer Professur,

  6. 6.

    die Schaffung von Dienstvereinbarungen nach Vorbild der Viadrina [25]:

    (i) Erstverträge mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs sollen über mindestens drei Jahre in Vollzeit mit Ausrichtung der Betreuung auf die fristgerechte Fertigstellung der Promotion geschlossen werden. Eine Weiterbeschäftigung muss über mindestens vier Jahre erfolgen.

    (ii) Die Arbeitszeit muss mindestens 50 % betragen, angestellte Promovierende und Postdoktoranden und Postdoktorandinnen müssen mindestens 40 % der Arbeitszeit für ihre eigenen Qualifikationsarbeiten zur Verfügung haben.

    (iii) Familienpolitische Komponenten wie die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses um zwei Jahre je Kind müssen berücksichtigt werden.

    (iv) Die Förderpolitik muss sich an diesen Regeln orientieren. Vergleichbare Forderungen werden auch von Reitz [28] und im Templiner Manifest [21] gestellt.

Wir halten die in Tab. 1 aufgelisteten Prinzipien für hilfreich, um die Promotionsdauer zu stabilisieren, die Erfolgsquote zu erhöhen bzw. die Abbrecherquote zu reduzieren.

Tab. 1 Empfehlungen für eine erfolgreiche Doktoranden-Betreuer-Beziehung

Entpräkarisierung des Postdoktorats und der Juniorprofessuren

Folgende Maßnahmen zur Verbesserung der Situation im Postdoktorat und in der Juniorprofessur schlagen wir vor:

  1. 7.

    eine einheitliche und transparente Definition von objektiven Kriterien für eine erfolgreiche Tenure-Evaluation,

  2. 8.

    eine frühere, zielgerichtete Vorbereitung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern (spätestens mit Fertigstellung der Promotion) auf Basis von formalen Kriterien (z. B. Lehrportfolio, Publikation, Finanzierungsanträge, Wissenschaftsmanagement) für einen raschen Übergang vom Postdoktorat auf eine Juniorprofessur oder auf einen alternativen wissenschaftlichen Karriereweg mit langfristiger Perspektive,

  3. 9.

    die Novellierung bzw. Abschaffung des WissZeitVG: Nach dem Vorbild von ver.di fordern wir die Abschaffung außertariflicher Doktorandenverträge und von Verträgen mit weniger als einem Jahr Laufzeit und von Teilzeitverträgen (<50 %). Daueraufgaben, insbesondere in der Lehre, sollen mit Dauerverträgen verbunden sein [24].

  4. 10.

    die Schaffung von unbefristeten Positionen (mit einer abgeschlossenen Promotion als Einstellungsvoraussetzung) zum Beispiel in der Lehre oder reine Forschungsstelle nach dem Vorbild der englischen und amerikanischen Hochschulsysteme (vgl. [13, SS. 1 und 4]: Aufgabe des Hochschulsonderbefristungsrechts [21, 28]),

  5. 11.

    Schutz der körperlichen und psychischen Gesundheit.

Bessere Mobilitätsunterstützung und Rückkehrerleichterung

Das traditionelle Habilitationsmodell muss überdacht und an internationale Standards angepasst werden. Wir empfehlen die Verknüpfung von Habilitation und Tenure-Track-Stellen oder vergleichbaren Positionen. Gerade einmal ein Drittel der Habilitierenden erhält eine Professur [13]. Habilitierende sollten aufgrund der überdurchschnittlichen Lehr- und Forschungsbelastung sowie der risikobehafteten Mobilitätsanforderungen Forschung und Lehre geographisch und zeitlich flexibler gestalten können, zum Beispiel durch universitätsübergreifende Habilitationsprogramme. Sollte dies nicht umgehend realisierbar sein, fordern wir wie das NGAWiss [13] die Abschaffung der Habilitation als Entfristungsbedingung.

Inspiriert durch Vereine wie der GSO, fordern wir die Verbesserung der Wiedereingliederungs- bzw. Heimkehrbedingungen für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Ausland in das deutsche Wissenschaftssystem. Rückkehrstipendien bilden eine gute Grundlage, sollten aber ähnlich den Trainee- und Rotationsprogrammen in großen Unternehmen integraler und organisierter Bestandteil in Forschungsmobilitätsprogrammen sein.

Offenere und gerechtere Erstberufungskriterien

Einer ausführlicheren Diskussion vorgreifend geht es uns hier vor allem um ein Kernthema: das Publish-or-Perish-Prinzip und dessen Kennzahlen. Wir sind für eine Entschärfung dieses Prinzips. Was durch die (a) Längenbeschränkung von Publikationslisten bei Förderanträgen und in Berufungsverfahren teilweise schon passiert, führt nicht notwendigerweise zu einer Verbesserung der Situation bei wichtigen oder notwendigen Berufspausen, insbesondere Elternzeit, Pflege, schwerer Krankheit oder relevanter Industrietätigkeit. Die (b) Erhöhung der Bewerbungsaltersgrenzen um die Länge der Pausen geschieht bereits. Trotzdem muss während dieser Zeit an Publikationen gearbeitet werden, wenn man die Adoleszenzphase des akademischen Mittelbaus mit einer erfolgreichen Bewerbung auf eine Langzeitstelle verlassen will. Insofern fordern wir zusätzlich zu (a) und (b) noch ein entschärfendes Bonussystem bei der Bewertung der wichtigsten Publikationen (z. B. Elternzeit und Erstautorschaften müssten listenverkürzende Wirkung haben).

Das Stichwort „wichtigste Publikationen“ führt schnell zum Thema Kennzahlen zur Bewertung der wissenschaftlichen Leistung. Die Verwendung solcher Kennzahlen wird aus verschiedenen Richtungen kritisiert [28]. Nach Reitz erzeugen Kennzahlen einen Status- und Konkurrenzdruck der (paradoxerweise) die Objektivität des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses durch das Abschwächen notwendiger Kritik zu schädigen droht [28, S. 52]. Zudem können diese Metriken zu einer „Simulation wissenschaftlicher Tätigkeit durch bloße Geschäftigkeit (die aber quantitativ objektivierbare Resultate zeitigt) führen [9]. Für Erstberufungsverfahren sehen wir das DORA-Modell [29] als richtungweisend, das Journal-basierte Metriken (z. B. wie den Journal Impact Factor) ablehnt, die Offenlegung von Bewertungskriterien bei Fördergebern und in Berufungsverfahren fordert und die Bewertung von Inhalten statt Kennzahlen verlangt.

Fazit

Wir wollen mit diesen Empfehlungen und Forderungen nicht nur auf den steigenden Handlungsbedarf seitens aller Akteure, insbesondere der Wissenschaftspolitik, hinweisen. Wir sehen diese Maßnahmen auch als richtungweisend für eine rasche Verbesserung der Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses und als maßgeblich zur langfristigen Stärkung des deutschen Wissenschaftssystems.

Insbesondere wollen wir alle Betroffenen eindringlich dazu ermutigen, sich zu organisieren. Es müssen die Zeit, Anreize und der finanzielle Rahmen dafür geschaffen werden, sich in nachhaltigen Strukturen organisieren zu können. Es gibt bereits einige Initiativen, wie das NGAWiss, die aber weiter gestärkt werden müssen [11].

Es muss ein Umdenken auf politischer und gesellschaftlicher Ebene stattfinden, um vor allem die Postdoktorandenphase nicht als weitere Qualifikationsphase, sondern als berufliche Phase eines vollwertigen Wissenschaftlers anzusehen.