Unbewusste Übertragungsphänomene spielen nicht nur eine Rolle im psychotherapeutischen Prozess, sondern finden sich auch als „Gefühlserbschaft“ in den Beziehungen zwischen den Generationen. Hierüber können sich sowohl generationale als auch transgenerationale „Vererbungsprozesse“ manifestieren. Aktuell gibt es eine Flut von Veröffentlichungen zum Thema (trans-)generationaler Weitergabe früher Traumatisierung.

Hintergrund

Angestoßen durch Initiativen gegen Kindesmissbrauch und zur Unterbrechung des „Teufelskreises früher Traumatisierung“ durch Weitergabe eigener Traumatisierung an die nächste Generation sind deutschlandweit Forschungsverbünde entstanden, die sich um die Erforschung dieser biopsychosozialen Zusammenhänge kümmern. Diese Übersichtsarbeit gibt einen Überblick darüber, was zum Zusammenhang zwischen früher Traumatisierung und späterem kardiovaskulären Erkrankungsrisiko bekannt ist. Dabei wird der lineare Zusammenhang zwischen der Zahl an Ereignissen früher Traumatisierung und dem kardiovaskulären Erkrankungsrisiko beleuchtet. Dieser Zusammenhang wird um ein Modell erweitert, wie durch frühe Stresserfahrung in moderater Dosis Resilienz entwickelt werden kann. Im Übergang von generationalen zu transgenerationalen Prozessen der Weitergabe von Trauma ist es wichtig, die Biologie der Gen-Umwelt-Interaktionen einzubeziehen, die diese transgenerationale Weitergabe überhaupt erst möglich macht. Daher beschäftigt sich diese Arbeit auch mit neuesten Befunden aus der epigenetischen Forschung und mit der Frage, ob der kardiovaskuläre Risikofaktor „familiäre Belastung“ erworben und Konglomerat z. B. transgenerational vermittelter früher Trauma- und Stresserfahrung sein könnte.

„Familiäre“ Belastung als „erworbener“ kardiovaskulärer Risikofaktor

Einer der identifizierten kardiovaskulären Risikofaktoren ist die „familiäre Belastung“, und man versteht darunter, wenig hinterfragt, eine primär genetische Disposition bei der Manifestation einer Herzerkrankung. Wenn in diesem Zusammenhang von Vererbung gesprochen wird, dann sind damit in erster Linie keine monogenetischen Vererbungsformen, die seltene Erkrankungen betreffen und gerade einmal 2 % aller menschlichen genetischen Erkrankungen ausmachen, gemeint. Ein viel größerer Anteil der Erkrankungen ist ein Ergebnis komplexer Wechselwirkungen zwischen mehreren Genen, also polygenetischen Merkmalen, und der Umwelt. Ein typisches kontinuierliches, polygenetisches und multifaktorielles Merkmal ist neben der Größe und dem Körpergewicht auch der Blutdruck.

Durch die Entwicklungen in der epigenetischen Forschung versteht man immer mehr über die biologischen Zusammenhänge, wie die Umwelt unsere Gene beeinflusst. Epigenetik gilt als das Bindeglied zwischen Umwelteinflüssen und Genen und dient der Genregulation. Die Epigenetik (wörtlich: „auf die Genetik aufgesetzt“) determiniert, welches Gen unter welchen Umständen angeschaltet wird und zur Ablesung zur Verfügung steht und wann nicht. Menschen besitzen zwar ein untereinander vergleichbares Genom, jedoch, in Abhängigkeit von den individuellen Umwelteinflüssen, unterschiedliche Epigenome. Typische Umwelteinflüsse, die das Epigenom langfristig verändern können, sind z. B. Schadstoffe oder Veränderungen der Ernährungssituation, aber auch Stress. Auch verändern sich epigenetische Muster z. B. als Reaktion auf erlebte Emotionen oder einfach im Lauf des Lebens im Rahmen des normalen Alterungsprozesses. Veränderungen epigenetischer Markierungen sind potenziell reversibel, können jedoch im Laufe des Lebens entscheidende Bedeutung bei der Entstehung und dem Verlauf von Krankheiten haben (Argentieri et al. 2017; Feinberg et al. 2016). Auch für die kardiovaskuläre Regulation (Sartori et al. 2016), aber ebenso für kardiovaskuläre Risikofaktoren wie das metabolische Syndrom konnten systematische Veränderungen epigenetischer Markierungen nachgewiesen werden (Park et al. 2017). Diese Veränderungen im Epigenom spielen schließlich nicht nur für die eigene Gesundheit eine wichtige Rolle, sondern können sich auf die Gesundheit der Kinder und deren Kindeskinder auswirken (transgenerational; Pembrey et al. 2014). Da wissenschaftlich immer noch zu sehr auf Vulnerabilitätsfaktoren fokussiert wird und damit erklärt werden soll, welche biologischen Marker ein krankmachendes Risikoprofil bedingen können, werden die biologischen Marker vernachlässigt, die Resilienz vermitteln bzw. als Schutzfaktoren vor kardiovaskulären Erkrankungen fungieren können (Osorio et al. 2016).

Einleitend ging es um die biologischen Spuren nichtgenetischer Vererbung von Umwelt- und Verhaltenseinflüssen, da die Auffassung besteht, dass durch die Erkenntnisse in der umweltbedingten Genregulation ein neues Verständnis über den Risikofaktor „familiäre Belastung“ für kardiovaskuläre Erkrankungen entwickelt werden kann. Die „familiäre Belastung“ wird dann nicht mehr als eine rein genetische, unveränderbare Disposition, sondern als ein Zusammenspiel zwischen familiären Belastungsfaktoren und dadurch bedingten epigenetischen Modifikationen, die über mehrere Generationen hinweg das kardiovaskuläre Risikoprofil verändern können, verstanden. Damit gemeint ist, dass der Risikofaktor „familiäre Belastung“ in erster Linie erworben und nicht, wie angenommen, primär erblich ist. Diese Betrachtungsweise stimmt hoffnungsvoll, denn, wie man weiß, sind 1. epigenetische Spuren biologisch „reparierbar“ und 2. können epigenetische Veränderungen nicht nur Vulnerabilität, sondern auch Resilienz vermitteln, die dann transgenerational als Schutzfaktor wirksam sein kann.

Auswirkungen von frühen Traumatisierungen zwischenmenschlicher Natur

Für Psychotherapeuten bedeutsame Faktoren familiärer Belastung sind zwischenmenschlicher Natur und prägen sich besonders ein, wenn sie in den ersten Lebensjahren eines Menschen wirksam sind. Kindheitstraumata werden diese genannt, denn sie sind „Prototypen“ kumulativer und daher komplexer Traumatisierungen, die durch Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung (MMV) ausgelöst werden können. In der Literatur wird eine unterschiedliche Nomenklatur für die „frühe Traumatisierung“ verwendet: Arbeitsgruppen sprechen von „early life stress“ (ELS), Kindheitstrauma („childhood trauma“), Kindesmisshandlung („childhood maltreatment“, CM) oder belastenden Kindheitserlebnissen („adverse childhood experiences“, ACE). Allen gemein ist, dass sie zwischen passiven (Vernachlässigung) und aktiven Formen (Missbrauch, Misshandlung) der Traumatisierung, die sowohl körperliche, sexuelle, aber auch psychisch-emotionale Dimensionen umfassen kann, unterscheiden. Auch der plötzliche Verlust einer nahen Bezugsperson, Frühgeburtlichkeit oder schwere körperliche Krankheit im frühen Lebensalter stellen eine traumatisierende Situation dar, die familiär-zwischenmenschlich sehr belastend sein kann. Dabei kommt es nicht im Wesentlichen auf die Schwere der Erkrankung an oder auf das Geburtsgewicht, sondern in welchem Maß das familiäre System (Eltern, Großeltern) traumatisiert bzw. psychosozial in der Lage ist, die Situation gemeinsam gut zu bewältigen. Ein erhöhtes Maß an psychischer Belastung bei den Eltern (z. B. Stress, Depression) steigert das Risiko für ein frühgeborenes Kind, selbst Opfer von Vernachlässigung oder Missbrauch zu werden (Bugental und Happaney 2004). Ein Kind, das früh eine wichtigste Bezugsperson verliert, wird durch Trost und liebevollen „Ersatz“ den traumatischen Verlust gesund verarbeiten und gestärkt (resilient) aus diesem Erlebnis hervorgehen können. Ein Kind, das keinen Trost für die eigene Trauer findet und einem durch das Ereignis depressiv-erkrankten Elternteil gegenübersteht, wird das Erlebnis schwer nur gesund verarbeiten können und wird in ähnlich belastenden Ereignissen in der Zukunft Vulnerabilität zeigen.

Frühe Traumatisierung und kardiovaskuläres Risiko

Lange Zeit wurde sich mit den psychischen Folgen früher Traumatisierung beschäftigt und dabei vernachlässigt, dass Traumatisierung, und insbesondere traumatische Erlebnisse in den frühen Lebensjahren auch langfristig körperliche Folgen nach sich ziehen können. Frühe Traumatisierung bedarf daher einer psychosomatischen Betrachtung, wenn es um die Identifikation späterer gesundheitlicher Folgen geht. Diese Übersicht beschäftigt sich mit dem kardiovaskulären System als „Ausdrucksorgansystem“ der biopsychosozialen Effekte früher Traumatisierung. Die bis heute wichtigste Studie zu diesem Zusammenhang stellt die Adverse Childhood Experiences (ACE) Study dar, die zwischen 1995 und 1997 Versicherte des Kaiser Permanente Medical Care Program medizinisch untersuchte und gleichzeitig mithilfe des Adverse Childhood Experiences Questionnaire nach Kindheitsbelastungen befragte (Felitti et al. 1998). Vierundsechzig Prozent aller teilnehmenden Versicherten im mittleren Alter von 57 Jahren berichteten von mindestens einem belastenden oder traumatischen Kindheitserlebnis, wobei in dieser Studie v. a. die dosisabhängige Beziehung zwischen der Zahl an ACE (eines bis 4 oder mehr Ereignisse) und einem erhöhten kardiovaskulären Risiko bemerkenswert war. Dieser dosisabhängige Zusammenhang fand sich sowohl für die koronare Herzkrankheit (KHK) und für Schlaganfall als auch für die KHK-Risikofaktoren Diabetes, Alkohol, Rauchen, körperliche Inaktivität, Adipositas und Depression. Seither haben zahlreiche Studien die Ergebnisse von Felitti et al. bestätigen können (Spitzer et al. 2016; Su et al. 2015). Dieser dosisabhängige Zusammenhang zwischen ACE und dem kardiovaskulären Gesundheitsstatus konnte ebenso bereits für Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 11 und 14 Jahren nachgewiesen werden (Pretty et al. 2013). Interessanterweise zeigen die Autoren, dass zwar mehr als 4 ACE zu einem signifikanten Anstieg kardiovaskulärer Risikofaktoren wie Adipositas, Bluthochdruck und Tachykardie führen, jedoch Herzfrequenz und Blutdruck bei einer Zahl von 3 ACE niedriger waren als die Werte ohne erlebte ACE. Die Autoren diskutieren diesen Befund in ihrer Veröffentlichung nicht, jedoch wird deutlich, dass es sich nicht zwangsläufig um einen dosisabhängigen Zusammenhang zwischen der Zahl an ACE und kardiovaskulärem Risikoprofil handelt, sondern dass es eine ACE-Dosis-Beziehung geben könnte, die sich bei mittlerer Belastung eher günstig, d. h. senkend auf Blutdruck und Herzfrequenz, auswirkt. In tierexperimentellen Studien, in denen kontrolliert ACE-Erfahrungen durch Störung der Aufzucht von Jungtieren von Geburt an untersucht werden können, wurde bereits mehrfach dieser nichtlineare Zusammenhang zwischen der Länge und der Dosis von ACE und späteren gesundheitlichen Folgen beschrieben. Während übermäßiger neonataler Stress mit negativen Verhaltensweisen wie gesteigertem depressionsähnlichem Verhalten oder vermehrter Ängstlichkeit sowie verschlechterter neuroendokriner Stressreaktivität einhergeht, zeigen sich für moderaten neonatalen Stress i. Allg. verbesserte behaviorale und biologische Antworten auf exogenen Stress im Erwachsenenalter (Macri et al. 2011). Klinisch ist uns dieser Zusammenhang sehr vertraut, denn lange nicht jeder Patient/jede Patientin mit positiver Anamnese für ACE zeigt dosisabhängig gesundheitliche Auffälligkeiten, sondern es gibt eine Vielzahl von Patienten, die belastende ACE gut bewältigt haben. Bisher gilt die Vorstellung, dass es trotz der belastenden frühen Traumatisierungen im Leben eines jungen Menschen stützende Faktoren gegeben haben muss, die schützend gegen die negativen Folgen von ACE wirksam gewesen sein müssen, wie z. B. die Erfahrung von guten zwischenmenschlichen Beziehungen in der Familie des Freundes oder der Freundin trotz früher Traumatisierung in der eigenen Familie (Liebertz et al. 2010). Wenig ist jedoch bisher dazu bekannt, ob eine bestimmte Dosis an ACE an sich und unabhängig von anderen Wirkfaktoren einen günstigen Einfluss auf die gesundheitliche Entwicklung im Erwachsenenalter haben kann. Laut translationaler Studien und der Ergebnisse von z. B. Pretty et al. (2013) sollte sowohl klinisch als auch bei der Interpretation wissenschaftlicher Ergebnisse in Betracht gezogen werden, dass es sich nicht zwangsläufig um einen linearen, sondern eher um einem U‑förmigen oder exponentiellen Zusammenhang zwischen ACE und sowohl psychischem als auch somatischem Erkrankungsrisiko handeln könnte. Das bedeutet, dass eine gewisse, vielleicht als moderat zu bezeichnende Stresserfahrung im frühen Lebensalter langfristig auch protektive Effekte bei der Ausprägung des kardiovaskulären Risikoprofils vermitteln könnte.

Frühe Traumatisierung und manifestes Erkrankungsrisiko

Bisher sind das klinische Verständnis und auch die wissenschaftliche Betrachtungsweise sehr auf den linearen Zusammenhang zwischen ACE und Erkrankungsrisiko ausgerichtet. Außerdem ist der Blick sehr auf die Folgen von Vulnerabilität gerichtet, da es sich klinisch um Patientinnen und Patienten handelt, die bereits manifest psychisch oder körperlich krank sind. Problematisch ist außerdem, dass weiterhin zu stark zwischen psychischen und körperlichen Erkrankungen unterschieden und zu wenig auf die klinisch relevanten Wechselwirkungen im Sinne einer psychosomatischen Betrachtungsweise von ACE und körperlichem Erkrankungsrisiko geachtet wird. Dieses Defizit lässt sich z. B. an Patientinnen und Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen (BPS) deutlich machen, die besonders unter den Folgen von ACE und v. a. denen früher Bindungsstörungen im Erwachsenenalter zu leiden haben. Diese Patienten zeigen ein signifikant gehäuftes späteres Auftreten kardiovaskulärer Erkrankungen, insbesondere der Atherosklerose und der essenziellen Hypertonie (El-Gabalawy et al. 2010). Speziell der Zusammenhang mit dem Auftreten einer KHK findet sich nicht nur bei Patientinnen und Patienten mit BPS, sondern zeigt sich z. B. auch bei paranoiden, ängstlich-vermeidenden, schizotypen und schizoiden Persönlichkeitsstörungen und scheint unabhängig zu sein von Lebensstilfaktoren und sozioökonomischem Status (Moran et al. 2007). Bisher gibt es keine aussagekräftigen Studien darüber, in welchem Ausmaß Persönlichkeitsstörungen oder -akzentuierungen bei den Patientinnen und Patienten eine Rolle spielen, die in kardiologischer Versorgung wegen manifestem kardiovaskulärem Risikoprofil oder KHK sind. Auch zum Vorliegen von Bindungsstörungen bei kardiovaskulären Patienten, unabhängig von psychischer Komorbidität, gibt es wenig Literatur. Eine eigene Studie bei Patienten mit essentieller Hypertonie konnte mithilfe des Bindungsinterviews Adult attachment projective (AAP) zeigen, dass 88 % aller teilnehmenden Patientinnen und Patienten einen unsicheren Bindungsstil aufwiesen (Balint et al. 2016); dies entspricht annähernd dem Prozentsatz unsicherer Bindungsmuster bei psychiatrischen Patienten (IJzendoorn und Bakermans-Kranenburg 1996).

Auf der Suche nach kausalen Zusammenhängen zwischen dem Erleben von ACE und dem späteren Auftreten einer KHK findet sich eine zentrale Studie, die, basierend auf Daten der oben angegebenen ACE-Studie (Felitti et al. 1998), ein 1,3 bis 1,7-fach erhöhtes Risiko für das Auftreten einer KHK bei Vorliegen von allein einer von 9 ACE-Kategorien im Vergleich zu Personen ohne ACE-Erfahrung beschreibt. Bei 7 ACE steigt das Chancenverhältnis für das Auftreten einer KHK auf 3,6 (95 %-Konfidenzintervall, 95 %-KI, 2,4–5,3); dies war stärker durch das Vorhandensein von psychosozialen Risikofaktoren (Depression, Ärger) als durch klassische Risikofaktoren (Rauchen, körperliche Inaktivität, Adipositas, Diabetes, Hypertonus) vermittelt (Dong et al. 2004). Die Frage danach, ob in der Familie der betroffenen Person eine familiäre Risikodisposition für KHK gegeben war, wurde in dieser Studie nicht gestellt. Genauso wenig ging die Frage ein, ob es transgenerationale Erfahrungen früher Traumatisierung in der Familie gab („transgenerational cycle of maltreatment“). Bisher steht die Frage ganz am Anfang, ob hinter der „familiären Belastung“ für das Auftreten einer KHK eine „biologische Narbe“ (möglicherweise epigenetisch vermittelt) als Folge der transgenerationalen Weitergabe früher Traumatisierung stecken könnte. Die Daten verdichten sich jedenfalls, dass Erfahrungen von ACE biologische Spuren hinterlassen, die in mehrere Generationen weitergetragen werden können und dort das körperliche Erkrankungsrisiko erhöhen.

Transgenerationalität früher Traumatisierung und Erkrankungsrisiko

Die Weitergabe traumatischer Erfahrungen in die darauffolgenden Generationen ist Gegenstand vieler aktueller klinischer und wissenschaftlicher Arbeiten. Es scheint, als sei ein Tabu gebrochen, in der Aufarbeitung der Folgen der Weltkriege, von Gewalt, Vernichtung und Vertreibung, nach einer Zeit der Lähmung und Verleugnung dessen, was bis in unsere heutige Generation weitergetragen wurde. Vielleicht liegt es daran, dass man heute in der Lage ist, biologische Spuren dieser transgenerationalen Weitergabe von Traumatisierung zu identifizieren, die es uns ermöglichen, mit den Themen von Schuld und Scham milder umzugehen und zu erkennen, dass es eine Aufarbeitung auch braucht, um unser biologisches Risiko zu minimieren. Das, was Freud als den Vorgang der „Gefühlserbschaft“ beschreibt, bezeichnet treffend das, was in den Beziehungen zwischen den Generationen meist unbewusst übertragen wird und im positiven sowie im negativen Sinn bis in die Biologie hinein beeinflussen kann. Dabei geht es um das Bemühen um die Unterbrechung des transgenerationalen „Teufelskreises der frühen Traumatisierung“, der sich über mehrere Generationen fortsetzen kann, nicht aber muss. Ich möchte hier nicht im Einzelnen auf die bereits zahlreich beschriebenen Veränderungen bzw. Adaptationsprozesse der 3 eng miteinander verwobenen biologischen Systeme des endokrinen, immunologischen und Zentralnervensystems im Kontext früher Traumatisierung eingehen. Für diese Systeme konnten u. a. systematische Veränderungsprozesse im Sinne einer vermehrten Bereitschaft zu z. B. chronisch aktivierter Entzündung nachgewiesen werden („low-grade inflammation“; Ehlert 2013), die direkt auf die Entstehung von Atherosklerose und KHK wirksam sein kann. In welcher Weise diese biologischen Spuren zu „Narben“ werden und bis in die nächsten Generationen biologisch überdauern können, ist bisher nicht ausreichend geklärt. Die epigenetische Forschung dazu ist ein biologisches Bindeglied zwischen dem Umwelteinfluss früher Traumatisierung und wie diese auf unsere Gene und deren Regulation wirksam werden kann (Blaze et al. 2015). Translationale Forschung ist in diesem Zusammenhang essenziell, denn organbezogene Veränderungen wie im kardiovaskulären System lassen sich biologisch meist nur exakt im Tierexperiment untersuchen. Aus Studien an Nagern, an denen man systematisch die biologischen Effekte früher Traumatisierung bis in das Erwachsenenalter und auch transgenerational untersuchen kann, weiß man, dass das Nestverhalten der Muttertiere durch Umweltfaktoren beeinflusst werden kann (z. B. durch Lärm oder Schmerz) und dieses wiederum durch komplexe molekulare Mechanismen mit den Genen interagiert und epigenetische Veränderungen bewirken kann. So beeinflussen Umweltfaktoren das soziale, emotionale und kognitive Verhalten während des eigenen Lebens und können an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden (Bohacek und Mansuy 2015).

Die meisten klinischen Abhandlungen zur Transgenerationalität früher Traumatisierung finden sich zu Untersuchungen mit Überlebenden des Holocaust und ihren Nachkommen. Trotz kleiner Fallzahlen konnten wiederholt epigenetische Veränderungen in stressassoziierten Genen der Nachkommen von Überlebenden des Holocaust in Abhängigkeit vom Grad der traumatischen Belastung nachgewiesen werden (Yehuda et al. 2014). Zu der Frage, ob diese Veränderungen auch das körperliche Erkrankungsrisiko der Nachkommen erhöhen können, gibt es nur wenige belastbare Untersuchungen. Das liegt sicherlich an den kleinen Fallzahlen, mit denen valide Querschnittsuntersuchungen möglich sind, da Holocaust-Überlebende kaum mehr zu befragen sind. In einer Studie von Fridman et al. (2011) zeigt sich, dass trotz der weiterhin bestehenden posttraumatischen Stresssymptome der Überlebenden ihre Nachkommen keine Einschränkungen in sowohl psychischer als auch körperlicher Hinsicht im Vergleich zu einem altersangepassten Kontrollkollektiv aufweisen. Das bedeutet, dass epigenetische Veränderungen in der traumatisierten Generation nicht zwangsläufig zu einem klinisch relevanten Phänotyp in der nächsten Generation führen müssen. Auch klinisch wird beobachtet, dass frühe traumatische Ereignisse einer Generation nur in 7–23 % der Fälle (Transmissionsraten innerhalb des ersten Lebensjahres eines Kindes) in die nächste Generation übertragen werden, und dass in einer großen Untergruppe eine „Lücke“ in der Übertragung existiert („transmission gap“; Berlin et al. 2011; Dixon et al. 2005a, 2005b). Jedoch sind die psychobiologischen Schutzfaktoren noch nicht ausreichend bekannt, die die Transmission eigener Traumatisierung an die nächste Generation verhindern. Aus dem Tierexperiment weiß man, dass es sowohl von der Art des Traumas als auch von Zeitpunkt und Länge der Traumaexposition abhängt, ob es eher vulnerable Spuren hinterlässt oder aber auch z. B. eine Widerstandsfähigkeit gegen Stress vermitteln kann, bis in die darauffolgenden Generationen hinein (Groger et al. 2016).

Häufig wird beobachtet, dass Menschen, die aus Familien mit schweren Schicksalen (Krieg, Flucht, Vertreibung, Gewalterfahrungen) kommen, besonders gestärkt und gesund ihr eigenes Leben gestalten. Die klinische Einschätzung ist von behandlungsbedürftigen Patientenschicksalen geprägt, denn klinisch handelt es sich ja um die Menschen, die sich wegen Traumafolgestörungen und deutlicher Beeinträchtigung in ihrem Leben zur psychotherapeutischen Behandlung vorstellen. Um ein Verständnis für die psychobiologischen Schutzfaktoren zu entwickeln, die gegen eine transgenerationale Traumatransmission wirksam sind, bedarf es der klinischen Forschung an bevölkerungsbasierten, nichtklinischen Stichproben. Das, was die Studie von Felitti et al. (1998) für den generationalen Zusammenhang zwischen ACE und einem signifikant erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen aufzeigen konnte, steht für den transgenerationalen Zusammenhang klinisch weitgehend aus. Die Forschung ist mittlerweile ausreichend vorangeschritten, um biologische Korrelate für diese transgenerationalen Prozesse zu beschreiben und damit Faktoren von Vulnerabilität und Resilienz bei der Manifestation kardiovaskulärer Risikofaktoren wie Hypertonie oder Adipositas und auch bei der Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen zu identifizieren. Über diese Forschung wird es auch möglich sein aufzuklären, ob der kardiovaskuläre Risikofaktor „familiäre Belastung“ über z. B. epigenetische Gen-Umwelt-Modifikationen erworben und damit einer therapeutischen Veränderung zugänglich sein könnte.

Fazit für die Praxis

  • Eine frühe Traumatisierung kann einen bedeutsamen Einfluss auf Entwicklung des kardiovaskulären Risikoprofils und Manifestation einer kardiovaskulären Erkrankung haben. Daher sollten Fragen nach emotionalen oder körperlichen Missbrauchs‑, Misshandlungs- und Vernachlässigungserfahrungen in der Kindheit bei der Anamneseerhebung eingebracht werden.

  • Da dieses Thema nicht nur biologische Relevanz für die Entwicklung von psychischen Erkrankungen, sondern auch für kardiovaskuläre und andere körperliche Erkrankungen hat, gehören diese Fragen in die Anamnese jedes Patienten auch in der Organmedizin.

  • Gegenteilig zu den Annahmen, die Thematisierung früher Traumatisierung könnte zu „Retraumatisierung“ und Verschlechterung des Befindens der Betroffenen führen, zeigen neue Untersuchungen (Jaffe et al. 2015), dass die Thematisierung früher Traumatisierung vom Betroffenen als entlastend und als gute Erfahrung erlebt wird.