Liebe Leserinnen und Leser,

in Deutschland leben mehr als 14 Mio. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, deren optimale radiologische Versorgung sich die Kinderradiologie zum Ziel gesetzt hat. Hierbei unterscheidet sich das Spektrum der möglichen Erkrankungen und das erforderliche Wissen in allen medizinischen Spezialgebieten bei Kindern deutlich von dem in der Erwachsenenradiologie. So treten in der Onkologie kinderspezifische Tumoren auf wie beispielsweise das Neuroblastom, für das bildgebende Risikofaktoren definiert sind, die der/die Radiolog:in für das präoperative Staging kennen muss, oder das Nephroblastom, das ohne histologische Sicherung therapiert wird. Auf gastroenterologischem Gebiet muss eine hypertrophe Pylorusstenose erkannt und auch beim schreienden Kind eine ileokolische Invagination sicher diagnostiziert werden. Letztere darf nicht mit einer harmlosen ileoilealen Invagination verwechselt werden. Auch die Zeichen einer nekrotisierenden Enterokolitis oder die möglichen Begleitveränderungen einer Analatresie müssen bekannt sein. In der Nephrologie muss der oder die Radiolog:in mit der Durchführung der Miktionssonourographie vertraut sein, er/sie darf eine Ureterozele nicht übersehen und muss das Bild postnataler renaler Proteinausfällungen von einer medullären Nephrokalzinose unterscheiden. Auf muskuloskeletalem Gebiet treten Erkrankungen auf wie die Coxitis fugax oder die chronisch-rezidivierende multifokale Osteomyelitis und Verletzungen wie die Trampolinfraktur des Tibiakopfes oder misshandlungsspezifische metaphysäre Korbhenkelfrakturen. Das zentrale Nervensystem (ZNS) bietet ebenfalls ein großes Spektrum an Erkrankungen und Besonderheiten, die in der Erwachsenenradiologie nicht in der Form vorkommen. Es muss beispielsweise das Stadium der Myelinisierung beurteilt oder die Frage nach einer Nahtsynostose beantwortet werden. Die Sonografie bietet beim Neugeborenen einen einzigartigen Zugang zum zentralen Nervensystem, der bei Erwachsenen verwehrt ist. So können sonografisch eine Balkenagenesie oder andere Fehlbildungen des Gehirns, eine periventrikuläre Leukomalazie, eine subependymale Blutung oder eine thalamostriatale Vaskulopathie diagnostiziert werden. Auch ein Tethered-cord-Syndrom lässt sich einfach sonografisch erkennen.

Diese Aufzählung nennt nur einen kleinen Teil des großen Spektrums kinderradiologischer Besonderheiten und zeigt eindrucksvoll von welch enormer Vielseitigkeit der Schwerpunkt Kinderradiologie ist. Die Kenntnis dieses Spezialwissens ist bei der Betreuung von Kindern und Jugendlichen von großer Bedeutung, denn falsche Diagnosen führen hier, neben einem potenziellen gesundheitlichen Schaden, zu einer Vielzahl von Problemen: angefangen von der psychischen Belastung der Eltern über nicht erforderliche und das Gesundheitssystem belastende Wiederholungsuntersuchungen bis hin zu nicht indizierter Strahlenexposition des besonders strahlensensiblen kindlichen Organismus oder einer überflüssigen Sedierung bzw. Narkose.

Die Gesamtheit dieser Veränderungen zu besprechen würde den Rahmen eines Sonderheftes bei weitem sprengen. Ein nicht unerheblicher Teil kindertypischer radiologischer Besonderheiten basiert auf Variationen oder Fehlentwicklungen in der Ontogenese, der individuellen embryonalen und fetalen Entwicklung. Diese werden in der Regel im Kindesalter manifest und müssen hier erkannt und diagnostiziert werden. Um in der Radiologie das Wissen über diese Veränderungen zu verbreiten und zu vertiefen, hat sich dieses Sonderheft die Darstellung wichtiger pädiatrischer Entwicklungsstörungen der verschiedensten Organsysteme zum Ziel gesetzt. Kinderradiologische Experten haben eine breite Auswahl dieses hochinteressanten Spektrums zusammengestellt.

Vielleicht kann dieses Heft sogar in zweifacher Hinsicht hilfreich sein und neben der fachlichen Weiterbildung dazu beitragen, das Interesse an der Kinderradiologie zu wecken und somit den radiologischen Nachwuchs für die Weiterbildung in Kinder- und Jugendradiologie zu begeistern.

Das wäre ein doppelter Erfolg, insbesondere für die Sicherstellung der radiologischen Versorgung unserer Kinder und Jugendlichen auch in Zukunft. Wir wünschen Ihnen eine interessante und inspirierende Lektüre!

Ihr/e

Mark Born

Ulrike Attenberger