In den letzten 2 Jahren der COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Pandemie ist das Wissen um die Erkrankung und ihre Langzeitfolgen rapide gewachsen. Bei etwa einem Zehntel der Betroffenen kommt es nach einer SARS-CoV-2(„severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“)-Infektion zu überdauernden Beschwerden, von denen ein wesentlicher Teil neuropsychiatrische Symptome betrifft. Kognitive Störungen und Schlafstörungen gehören zu den häufig beklagten Beschwerden. Deren Prognose ist noch unklar, ebenso wie die zugrunde liegenden Krankheitsmechanismen noch unzureichend verstanden sind. Zudem besteht großer Bedarf an einer Erforschung wirksamer Therapieoptionen.

Hintergrund

Wenige Monate nach dem Bekanntwerden der ersten COVID-19-Fälle gab es erste Beschreibungen über anhaltende Symptome bei Genesenen, die zu einer deutlichen Einschränkung der Leistungsfähigkeit und Lebensqualität führten [1]. Interessanterweise wurde hierbei nicht nur von Betroffenen berichtet, die im Laufe ihrer COVID-19-Erkrankung eine stationäre oder sogar intensivmedizinische Behandlung benötigten und verschiedene Folgeerkrankungen aufwiesen, sondern auch von Patienten, die milde Verläufe erlebt hatten und die akute Infektion in der häuslichen Umgebung kurieren konnten [2].

Die World Health Organization (WHO) definiert „Post-COVID-19“ als Symptomkomplex mit typischen Symptomen wie Fatigue, Atemnot und kognitiven Störungen, der innerhalb von 3 Monaten nach Infektion auftritt, mindestens 2 Monate andauert, fluktuieren kann und für den es keine erklärende Alternativdiagnose gibt. Die englischen NICE(National Institute for Health and Care Excellence)-Guidelines unterscheiden zwischen der akuten COVID-19-Erkrankung (<4 Wochen nach Infektion), „andauernder COVID-19-Symptomatik“ (4–12 Wochen) und Post-COVID-Syndrom (> 12 Wochen), wobei die letzten beiden Stadien gemeinhin als „Long-COVID“ zusammengefasst werden (https://www.nice.org.uk/guidance/ng188). Die deutsche Leitlinie [3] hat sich dieser Nomenklatur angeschlossen. In diesem Artikel wird dementsprechend der Begriff „Long-COVID“ für alle anhaltenden Symptome ab 4 Wochen nach der akuten Infektion verwendet.

COVID-19-Infektionen können bei schweren Verläufen zu neurologischen Komplikationen, wie z. B. Enzephalopathien, Ischämien und Hämorrhagien führen, mit konsekutiver kognitiver Symptomatik nach Genesung [4]. Ebenso kann das „acute respiratory distress syndrome“ verschiedener Ätiologie kognitive Einschränkungen nach sich ziehen [5]. Diese Mechanismen können jedoch das Auftreten von Konzentrations- und Aufmerksamkeitsdefiziten nach milden Verläufen nicht erklären, sodass von einer multifaktoriellen Genese auszugehen ist.

Patienten mit überdauernden Beschwerden nach schwerem und nach mildem Akutverlauf unterscheiden sich möglicherweise hinsichtlich der Krankheitsmechanismen, außerdem bezüglich demographischer Eigenschaften, wobei Patienten mit Long-COVID nach mildem Akutverlauf typischerweise jünger und zu zwei Dritteln weiblichen Geschlechts sind. Die Tatsache, dass viele Studien zu Long-COVID sowohl Patienten nach mildem Akutverlauf als auch Patienten mit initial schweren Verläufen umfassen, trägt vermutlich zur Heterogenität der Datenlage zu Long-COVID bei.

Das Long-COVID-Syndrom ist zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels seit ca. 2 Jahren bekannt. Daher sind viele der berichteten Ergebnisse noch als vorläufig zu werten. Dies zeigt sich u. a. in der Heterogenität der Prävalenzangaben sowie auch in der Tatsache, dass mehrere der erwähnten Studien sog. Preprints sind, die den Peer-Review-Prozess noch nicht vollständig durchlaufen haben.

Kognitive Störungen

Eine hochwertige Metaanalyse konnte zeigen, dass ca. ein Fünftel aller Betroffenen mehr als 12 Wochen nach einer COVID-19-Infektion von kognitiven Einschränkungen berichtet [6]. Hierbei beschreiben die meisten Patienten eine verminderte Konzentrationsleistung, Wortfindungsstörungen und Gedächtnisdefizite („brain fog“) sowie starke Erschöpfbarkeit nach geistiger Anstrengung. Typische Aussagen in der klinischen Präsentation sind z. B. das Unvermögen, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, Texte mehrfach lesen zu müssen, bis die neue Information verstanden wurde, oder neue Inhalte nicht mehr so gut in bestehendes Wissen integrieren zu können [7].

Gängige Marker einer schweren Erkrankung, wie z. B. eine intensivmedizinische Behandlung, scheinen das Auftreten persistierender kognitiver Störungen nur unzureichend vorherzusagen. Ceban et al. [6] fand keinen Häufigkeitsunterschied im Auftreten kognitiver Einschränkungen bei Patienten mit oder ohne Krankenhausbehandlung. Weibliches Geschlecht, mittleres bis höheres Alter, starke initiale Krankheitsschwere und Vorerkrankungen scheinen Prädiktoren des Auftretens kognitiver Symptome im Rahmen eines Long-COVID-Syndroms zu sein [8, 9].

Neuropsychologische Befunde

Der Großteil der publizierten Studien implementierte Fragebögen oder Interviews und bat die Teilnehmenden um eine subjektive Einschätzung ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit [10]. Ein kleinerer Teil der Studien versuchte, die neurokognitiven Einschränkungen zu objektivieren. Hierbei wurde häufig der MoCA (Montreal Cognitive Assessment) als globaler kognitiver Funktionstest eingesetzt [11]. Er zeichnet sich zudem durch eine leichte und schnelle Durchführbarkeit (ca. 10 min) aus und prüft u. a. Aufmerksamkeit, Exekutivfunktion, Gedächtnis, Sprache und Orientierung.

Hierbei zeigten sich in einer großen Stichprobe aus dem Vereinigtem Königreich bei 17 % der initial hospitalisierten COVID-19-Patienten nach 6 Monaten auffällige MoCA-Werte (in dieser Studie als < 23 Punkte definiert; [9]). Diese waren ähnlich über alle Schweregrade der COVID-19-Erkrankungen verteilt. Eine italienische Studie fand jeweils ca. 28 % auffällige MoCA-Werte (< 26 Punkte) nach 3 und 6 Monaten sowie 16 % auffällige MoCA-Werte 12 Monate nach Entlassung aus intensivmedizinischer Behandlung [12]. Eine französische Studie berichtete in 38 % der Fälle auffällige MoCA-Werte (< 25 Punkte) 4 Monate nach stationärer Behandlung [13].

In der schnellen Durchführbarkeit und globalen Aussagekraft des MoCA liegt folglich auch der Nachteil, dass er keine Aussage über spezifische Defizite innerhalb der verschiedenen kognitiven Domänen erlaubt. Um diese Wissenslücke zu schließen, haben einige Studien ausführliche neuropsychologische Untersuchungen bei COVID-Genesenen durchgeführt [14,15,16,17,18,19]. Hier zeigten sich Einschränkungen von Aufmerksamkeit, Wortflüssigkeit, Arbeitsgedächtnis, Exekutivfunktion, Informationsverarbeitung sowie Lern- und Merkfähigkeit.

Kognitive Einschränkungen treten bei allen Schweregraden der COVID-Erkrankung auf

In einer britischen Studie mit beeindruckenden 81.000 Teilnehmenden [20] zeigten sich kognitive Einschränkungen über alle Schweregradgruppen der Erkrankung, von „hospitalisiert und beatmet“ bis hin zu Betroffenen mit milden Verläufen ohne respiratorische Symptome. Es fand sich eine deutliche Abstufung zwischen Schweregraden, wobei die Gruppe der ehemals Schwerstkranken die deutlichsten kognitiven Defizite aufwies. Die Defizite in der Gruppe der mild Erkrankten waren zwar klein (−0,23 Standartabweichungen), jedoch signifikant. Graham et. al. [21] untersuchte eine Gruppe Genesener mit initial milder COVID-19-Symptomatik und fand trotz des unkomplizierten Verlaufs Defizite in den Bereichen Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis, die in der Vergleichsgruppe von Menschen, die davon ausgingen, an COVID-19 erkrankt gewesen zu sein, bei denen jedoch kein biologischer Nachweis einer COVID-19-Erkrankung möglich war, nicht in dieser Ausprägung vorlagen. Diese Unterschiede sind möglicherweise mit anderen respiratorischen Infekten zu erklären, die nicht in gleicher Weise wie COVID-19 mit kognitiven Einschränkungen einhergehen. In einer weiteren Studie [22] mit 155 Genesenen, die subjektiv keine anhaltenden Beschwerden nach COVID-19 angaben, zeigten sich dennoch Defizite in Daueraufmerksamkeit und episodischem Gedächtnis, jedoch keine Schwierigkeiten in der kurzzeitigen Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis oder Exekutivfunktion. Diese Ergebnisse sind besonders interessant, weil sie eine Unabhängigkeit der kognitiven Defizite von Symptomen wie Fatigue zeigen. Zusätzlich deuteten sich in diesen Daten Hinweise zum Verlauf der kognitiven Symptomatik an: Bei Probanden, deren Infektion mehr als 9 Monate zurücklag, zeigten sich keine Defizite mehr.

Insgesamt existieren nur wenige Daten, die einen Eindruck über die potenzielle Dauer der Symptomatik geben können. Seeßle et al. konnten zeigen, dass auch noch ein Jahr nach Infektion 39 % der Untersuchten unter Konzentrationsdefiziten litten [23]. In einer ecuadorianischen Kohorte, die vor der Pandemie mittels MoCA getestet wurde, zeigten Genesene im Vergleich zu Nichtinfizierten 6 Monate nach Infektion deutliche Defizite. 18 Monate nach der Infektion waren die Unterschiede zwischen den Gruppen nicht mehr nachweisbar, Genesene erreichten im Mittel die gleiche MoCA-Punktzahl wie Nichtinfizierte [24]. Daten der Fluordesoxyglucose-Positronenemissionstomographie (18FDG-PET), die bei hospitalisierten Patienten im subakuten Stadium einen frontoparietalen Hypometabolismus ergeben hatten [25], zeigten 6 Monate später einen deutlichen, wenn auch nicht vollständigen Rückgang dieses Befundes, der negativ mit den MoCA-Werten korreliert war [26]. Diese Ergebnisse sind als Hinweise zu werten, dass die Symptomatik partiell reversibel sein könnte.

Schlafstörungen

Schlaf, Immunfunktion und Entzündung

Zwischen Schlaf und Entzündung besteht ein bidirektionaler Zusammenhang (Abb. 1): Akute Infektionen und systemische Entzündungen gehen häufig mit Veränderungen des Schlafverhaltens einher. Einige Zytokine und virale Hüllproteine wirken hypnogen mit spezifischen Effekten auf NREM(„non rapid eye movement“)-Schlaf und REM-Schlaf [27, 28]. Abhängig von der Phase des Infektionsgeschehens und der Stärke der Immunantwort kann es auch zu arousalfördernden, schlafstörenden Effekten kommen [28, 29].

Abb. 1
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Wechselwirkungen zwischen Inflammation, Schlafstörung und kognitiven Störungen

Dahingegen kann gestörter Schlaf über eine Beeinträchtigung der Immunantwort die Abwehr schwächen und ein Infektionsgeschehen begünstigen [30]. Eine retrospektive Kohortenstudie basierend auf subjektiven Schlafdaten von über 200 SARS-CoV-2-infizierten Teilnehmenden fand bei solchen mit unzureichendem Schlaf während der der COVID-19-Infektion vorausgehenden Woche Hinweise auf ein 6‑ bis 8‑fach erhöhtes Risiko für einen schwereren Verlauf im Vergleich zu Teilnehmenden mit ausreichendem Schlaf [31]. Passend dazu zeigt eine zum Zeitpunkt dieses Reviews als Preprint vorliegende Studie an über 500.000 Menschen zweier bevölkerungsbasierter Kohorten (UK Biobank und FinnGen), dass eine vorbestehende Insomnie einen kausalen Risikofaktor für eine Erkrankung an einem respiratorischen Infekt einschließlich COVID-19 und einen schweren COVID-19-Verlauf darstellt [32]. Auch eine chronische Schlafstörung in Form eines Schlafapnoesyndroms stellt gemäß einer quantitativen Metaanalyse einen unabhängigen Risikofaktor für einen fatalen Ausgang einer COVID-19-Infektion dar [33]. Der Zusammenhang zwischen Schlafqualität und COVID-19-Outcome ist zudem Gegenstand eines systematischen Reviews [34]. Welchen Einfluss chronisch gestörter Schlaf auf die Entwicklung von Long-COVID hat, ist hingegen noch unbekannt.

Schlafstörungen können den Langzeitverlauf einer COVID-19-Erkrankung negativ beeinflussen

Defizitärer Schlaf kann zu Zellstress und konsekutiver neuronaler Schädigung beitragen [35]. Zudem können Schlafstörungen leichtgradige (neuro)inflammatorische Prozesse induzieren, die mit einer Blut-Hirn-Schrankenstörung einhergehen [36], wodurch Antigene und Entzündungsmediatoren aus dem Blut ins Gehirn gelangen können. Dies kann wiederum im Sinne eines Teufelskreises zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Schlafstörungen beitragen [37]. Insofern spielen Schlafstörungen im Kontext von Long-COVID nicht nur eine Rolle als Teil eines neuropsychiatrischen Beschwerdekomplexes, sondern könnten möglicherweise als prämorbider Risikofaktor oder aufrechterhaltender Krankheitsfaktor den Langzeitverlauf einer COVID-19-Erkrankung negativ beeinflussen.

Wechselwirkungen zwischen Schlaf, Fatigue und Kognition

Gesunder Schlaf spielt eine wesentliche Rolle für kognitive Funktionen, da wichtige Prozesse wie die Festigung gelernter Gedächtnisinhalte während des Schlafs stattfinden [38]. Schlafmangel und gestörter Schlaf beeinträchtigen die Konzentration und das kognitive Funktionsniveau [39]. Nichterholsamer Schlaf geht zudem oft mit Tagesmüdigkeit einher, die zur Fatigue beitragen und kognitive Leistungseinbußen begünstigen kann. Die Häufigkeit des Symptoms Schlafstörung bei Long-COVID sowie dessen Wechselwirkungen mit den zentralen Beschwerdekomplexen Fatigue und kognitive Störungen unterstreichen die Wichtigkeit einer differenzierten Erfassung von Schlafstörungen als Basis für eine gezielte Behandlung.

Schlafstörung als Symptom: hohe Prävalenz im Langzeitverlauf

Während zu Beginn der Pandemie eine Vielzahl von Untersuchungen v. a. die psychosozialen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den Schlaf in den Fokus nahm [40], gibt es inzwischen eine Fülle von Daten zu Schlafstörungen in Folge einer SARS-CoV-2-Infektion. Eine systematische, 39 Kohortenstudien umfassende Metaanalyse über persistierende Beschwerden im Langzeitverlauf nach COVID-19 berichtet eine Prävalenz für Schlafstörungen von 36 % für die ersten 3 Monate und 33 % für den Zeitraum ab 3 Monaten bis zu etwas über einem halben Jahr [41]. Studien, die zur Quantifizierung insomnischer Beschwerden Fragebögen wie den Pittsburgh Sleep Quality Index (PSQI) oder den Insomnia Severity Index (ISI) einsetzten, kommen zu ähnlichen Ergebnissen [42,43,44]. Während die Mehrheit der Studien sich auf die Nachbeobachtung von ehemals stationär behandelten Patientenkohorten bezieht, berichten Studien in Patientenkohorten mit mildem Krankheitsverlauf ähnliche Prävalenzen von etwas über 30 % [21, 45]. Eine Stratifizierung innerhalb der Kohorte bezüglich des Schweregrades im Akutverlauf zeigte in einer Studie bei 1733 Patienten 6 Monate nach COVID-19-Erkrankung [46] und in einer weiteren Studie nach einem Jahr [47] keine schweregradabhängigen Unterschiede in der Prävalenz von Schlafstörungen. Während es Hinweise auf eine Besserung schlafbezogener Beschwerden in der Frühphase nach COVID-19 gibt (Rückgang insomnischer Beschwerden innerhalb der ersten 3 Monate [18], negative Korrelation mit der Zeit seit Genesung [48]), zeigte sich bei Seeßle et al. über den Zeitraum zwischen 5 Monaten und einem Jahr nach Erkrankungsbeginn keine Veränderung der berichteten Schlafstörungshäufigkeit mehr [23].

Die Prävalenz von Schlafstörungen ist in Long-COVID-Kohorten deutlich erhöht

Die Prävalenz von Schlafstörungen in Long-COVID-Kohorten geht deutlich über die in der Normalbevölkerung hinaus. In der Normalbevölkerung treten insomnische Störungen je nach zugrunde gelegten Kriterien mit einer Prävalenz von 8–18 % (Schlafunzufriedenheit) bzw. 6–10 % (Diagnose einer chronischen Insomnie) auf [49]. Wichtig sind in diesem Zusammenhang Untersuchungen, die eine Kontrollgruppe mit einbeziehen, da diese den gleichen pandemiebedingten psychosozialen Einflüssen, die ebenfalls die Schlafqualität beeinträchtigen können, ausgesetzt ist. In einer auf Versicherungsdaten einer großen Stichprobe von US-Veteranen basierenden Untersuchung zeigten nichthospitalisierte COVID-19-Patienten verglichen mit nicht an COVID-19 erkrankten Personen im Nachbeobachtungszeitraum von 1 bis 6 Monaten eine um den Faktor 14,5 höhere Wahrscheinlichkeit, eine ICD-10(International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems 10)-Diagnose einer Schlaf-Wach-Störung zu erhalten, als nichtinfizierte Kontrollen [50]. In einer Analyse elektronischer Gesundheitsdaten von 236.379 Patienten mit COVID-19-Diagnose fanden Taquet et al. im Zeitraum von 6 Monaten nach COVID-19-Infektion eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Insomniediagnose (nach ICD-10) verglichen mit Kontrollgruppen nach Influenza- oder anderer Atemwegsinfektion [51]. Die Wahrscheinlichkeit für eine erstmalige Diagnose einer Insomnie war im Vergleich zu Patienten nach Influenza um den Faktor 1,92 erhöht, im Vergleich zu anderen Atemwegsinfektionen um den Faktor 1,43.

Da Schlafstörungen häufig im Kontext einer Depression auftreten und depressive Symptome ebenfalls im Rahmen von Long-COVID vermehrt geschildert werden [52], wäre dies eine denkbare Erklärung für das vermehrte Auftreten von Schlafstörungen. Dagegen spricht eine Studie von Ahmed et al., in der 182 COVID-19-Patienten unterschiedlichen Schweregrades nach 6 Monaten einer psychiatrischen Untersuchung unterzogen wurden, wobei 64,8 % der Patienten über Schlafstörungen berichteten, jedoch nur 11,5 % an einer Depression litten. In einer weiteren Untersuchung von Xu und Kollegen bei ehemals stationär behandelten COVID-19-Patienten traten insomnische Beschwerden mehrere Wochen nach Entlassung fast 3‑mal so häufig auf wie depressive Beschwerden [44]. Insofern scheint es sich bei Schlafstörungen im Rahmen von Long-COVID zumindest teilweise um einen eigenständigen Beschwerdekomplex zu handeln.

Charakterisierung von Schlafstörungen bei Long-COVID: nicht alles Insomnie

Differenzierte Analysen der Art der Schlafstörung sind bislang rar. Eine multinationale Fragebogenerhebung zur Schlafphänotypisierung vor und nach SARS-CoV2-Infektion und zu Long-COVID (ICOSS) wird diesbezüglich wertvolle Daten liefern [53]. Entsprechend der klinischen Beobachtung hypersomnischer Beschwerden bei einigen Long-COVID-Patienten quantifizierten Boesl et al. in einer Kohorte von 100 Patienten mit überwiegend mildem Akutverlauf Tagesschläfrigkeit mit der Epworth Sleepiness Scale (ESS). Dabei litt ein Drittel der Patienten nach ca. 6 Monaten an mindestens milder und 6,5 % an schwerer Tagesschläfrigkeit [54]. Als Ursache vermehrter Tagesschläfrigkeit kommen neben den Effekten einer chronischen Entzündungskonstellation typischerweise schlafbezogene Erkrankungen wie ein Schlafapoesyndrom in Betracht. Leider gibt es bislang kaum Polysomnographie(PSG)-Daten zu Schlafphänotypen nach COVID-19.

Goyal et al. untersuchten 81 COVID-19-Patienten 4 bis 6 Wochen nach Entlassung aus stationärer Behandlung mittels PSG und beobachteten neben einer reduzierten Schlafeffizienz und auf Schlafinstabilität hinweisenden EEG-Auffälligkeiten eine hohe Prävalenz schlafbezogener Atmungsstörungen mit moderatem bis schwerem obstruktiven Schlafapnoesyndrom (OSAS) bei 57 von 81 Patienten [55]. In einer Fallserie von 11 im Durchschnitt 4,2 Monate nach COVID-19 PSG-untersuchten Patienten wurde bei einem Drittel ein OSAS neu diagnostiziert [56]. Ohne eine Voruntersuchung vor COVID-19 können die Befunde beider Studien jedoch nicht sicher der SARS-CoV-2-Infektion attribuiert und von vorbestehenden Befunden unterschieden werden. Zudem kann ein bei OSAS erhöhtes COVID-19-Erkrankungsrisiko [57] zu erhöhter Prävalenz von OSAS in COVID-19-Kohorten [58] beitragen. In der gleichen Fallserie wurde REM-Schlaf ohne Atonie, ein Prodromalsyndrom der REM-Schlaf-Verhaltensstörung [59], bei einem Drittel der Patienten, und damit deutlich häufiger als zu erwarten, festgestellt [56]. Inflammatorische Veränderungen im Bereich des Hirnstamms als neuropathologisches Korrelat [60] könnten eine mögliche Erklärung für diese Befunde sein, wobei auch hier ein prämorbides Bestehen der Befunde nicht auszuschließen ist. Des Weiteren gibt es vereinzelte Fallberichte über im zeitlichen Kontext einer COVID-19-Erkrankung neu aufgetretenes Restless-legs-Syndrom [61,62,63].

Zugrunde liegende Krankheitsmechanismen

Die Mechanismen, die den Befunden nach milden Verläufen zugrunde liegen, sind gegenwärtig Ziel intensiver Forschungsbemühungen und bislang nicht abschließend geklärt. Eine anhaltende Entzündungsreaktion, Autoimmunität und eine gestörte Mikrozirkulation werden diskutiert. Ein direkter neuronaler Befall durch das SARS-CoV-2-Virus hat sich in Post-Mortem-Studien [60] sowie Liquoruntersuchungen als unwahrscheinlich herausgestellt [64]. Eher scheint es, dass die durch das Virus ausgelöste systemische Inflammation mit konsekutiver Aktivierung von Entzündungsmediatoren wie Interferonen und Interleukin‑6 neuronale Funktion beeinträchtigen [65] und entsprechende zentralnervöse Symptome hervorrufen kann [66]. In einer jüngst erschienenen Studie hielt die immunologische Dysfunktion, die Patienten mit und ohne Long-COVID voneinander unterscheidet, bis zu 8 Monate nach der Infektion an [67]. Eine Bildgebungsstudie der UK Biobank konnte im longitudinalen Verlauf zeigen, dass COVID-19-Genesene auch nach mildem Verlauf eine Reduktion der grauen Substanz im parahippokampalen Gyrus und orbitofrontalen Kortex sowie eine diffuse globale Reduktion des Hirnvolumens aufwiesen [68]. Die durch die Inflammation aktivierten Entzündungsmediatoren können wiederum zur Manifestation autoimmuner Prozesse beitragen [69]. Hier haben sich Autoantikörper gegen G‑Protein-gekoppelte Rezeptoren als möglicher Ansatzpunkt einer kausalen medikamentösen Therapie herausgestellt [70]. Hinweise auf einen Autoimmunmechanismus liefert auch der Befund erhöhter Titer antinukleärer Antikörper (ANA) bei Long-COVID-Patienten ein Jahr nach Infektion, wobei Patienten mit erhöhten ANA-Titern mehr neurokognitive Symptome zeigten [23]. Erhöhte ANA-Titer wurden zudem jüngst als einer von mehreren Faktoren beschrieben, die eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Long-COVID prädizieren [71]. Der typischerweise hohe Frauenanteil in Long-COVID-Kohorten nach mildem Verlauf passt dabei zu der bekannten weiblichen Prädominanz bei Autoimmunität [72].

Auch psychoimmunologische und psychologische Mechanismen sind von Relevanz

Neben den neurobiologischen Faktoren ist die Einbeziehung psychoimmunologischer und psychologischer Mechanismen in die Erforschung von Long-COVID-Symptomen von Relevanz. Die vorläufigen Ergebnisse der Mainzer „Gutenberg Long-COVID Studie“ legen nahe, dass Genesene, die von ihrer Infektion wussten, eine ausgeprägtere Long-COVID-Symptomatik erlebten als Menschen, die unwissentlich an COVID-19 erkrankt waren. Ebenso erlebte ein ähnlicher Anteil Nichtinfizierter wie unwissentlich Infizierte eine Verschlechterung des subjektiven Gesundheitsstatus im Laufe der Pandemie (https://www.unimedizin-mainz.de/GCS/dashboard/#/app/pages/AktuelleErgebnisse/ergebnisselc). Diese Ergebnisse deuten an, dass auch andere zum Teil pandemieassoziierte Faktoren zur Symptomatik beitragen können. Entzündungsprozesse können zu Verhaltensanpassungen führen, die kurzfristig sinnvoll und adaptiv sein können, wie z. B. das Bedürfnis, sich während eines akuten Infekts auszuruhen [73]. Ähnlich wie bei Schmerzstörungen kann dieses Signal zur Verhaltensanpassung im Rahmen eines prolongierten Krankheitsgeschehens jedoch seinen adaptiven Wert verlieren, sodass Rückzug und Inaktivität im individuellen Fall langfristig auch zu weniger Erholung und dem Gefühl körperlicher Schwäche beitragen können. Gleichermaßen kann ein verstärktes Bedrohungsmonitoring auf kognitive Störungen zu einer Verminderung der Konzentrationsleistung beitragen [74], sodass diese psychologischen Mechanismen in diesem komplexen Symptombild mitgedacht und untersucht werden sollten.

Therapeutische Aspekte und Verlauf

Die Prognose schlafbezogener Befunde im Kontext von Long-COVID ist noch unklar. Längsschnittstudien sind notwendig, um den Verlauf zu beurteilen. Schlafstörungen sollten mit etablierten Methoden symptomatisch behandelt werden. Auch bei neurobiologischen Ursachen einer im Rahmen von Long-COVID auftretenden Insomnie können kognitiv-emotionale Prozesse zusätzlich eine Rolle spielen, weshalb es sinnvoll erscheint, Elemente einer kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlung mit Fokus Insomnie (kognitive Verhaltenstherapie Insomnie, KVT-I) anzubieten, zumal die Datenlage zur KVT‑I für deren Wirksamkeit auch bei komorbider Insomnie im Rahmen verschiedener somatischer und psychischer Erkrankungen einschließlich der Fibromyalgie spricht [75, 76]. Dies bildet sich auch in den Empfehlungen der S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“ ab [77]. Es ist jedoch unklar, ob diese Empfehlungen in vollem Umfang auf eine postvirale Insomnie wie bei Long-COVID übertragbar sind. Alternativ kann Melatonin (in Deutschland zugelassen für die Insomniebehandlung bei Menschen ab 55 Jahren), welches zudem aufgrund seiner antiinflammatorischen Effekte [78] vorteilhaft sein könnte, oder schlafanstoßende Medikation mit einem sedierenden Antidepressivum zum Einsatz kommen. Ein OSAS sollte nach etablierten Methoden behandelt und im Intervall kontrolliert werden, falls sich der Befund im Verlauf bessert. Schlafbezogene Interventionen und deren Effekt auf die übrigen Long-COVID-Beschwerden sollten wissenschaftlich evaluiert werden.

Die Therapie der verschiedenen Beschwerdebereiche erfolgt symptomorientiert

Während manche Daten andeuten, dass kognitive Einschränkungen bei Long-COVID reversibel sein können, zeigen andere Ergebnisse, dass die Defizite bei manchen Betroffenen persistieren und sich im zeitlichen Verlauf sogar verschlechtern können [79]. Gegenwärtig existiert keine kausale medikamentöse Therapie. Die deutsche S1-Leitlinie gibt Empfehlungen zur symptomorientierten Therapie der verschiedenen Beschwerdebereiche [3]. Bei Hinweisen auf eine autoimmune neurokognitive Manifestation mit Autoantikörpernachweis können immunologisch orientierte Therapien zum Einsatz kommen [3]. Rehabilitative Programme beinhalten ergotherapeutisches kognitives Training sowie beschwerdeangepasste körperliche Aktivierung. Am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) wurde ein ergotherapeutisches Long-COVID-Therapieangebot etabliert, welches neben mehrfach wöchentlichem, individuell angepasstem und auch von zu Hause aus durchführbarem kognitivem Training die Elemente angepasste körperliche Aktivität und Unterstützung im Umgang mit den Krankheitssymptomen vereint. Hier besteht eine enge Verzahnung mit der neuropsychiatrischen Long-COVID-Ambulanz des ZI, die im Rahmen eingehender neuropsychiatrischer und neuropsychologischer Diagnostik entsprechenden Behandlungsbedarf identifiziert und die Betroffenen über gestufte Therapieoptionen berät.

Fazit für die Praxis

  • Die langfristigen neuropsychiatrischen Folgen von COVID-19 („coronavirus disease 2019“) zeigen deutlichen Bedarf für die Erforschung der Krankheitsmechanismen und Therapieoptionen.

  • Kognitive Störungen und Schlafstörungen gehören zu den häufigsten Beschwerden.

  • Eine differenzierte Betrachtung von Schlafstörungen bei Long-COVID ist notwendig, zumal verschiedene Störungen unterschiedliche Therapiekonzepte nach sich ziehen.

  • Bei Tagesmüdigkeit/nichterholsamem Schlaf sollte eine polygraphische Screeningdiagnostik für Schlafapnoe erfolgen.

  • Eine symptomatische Behandlung der Schlafstörungen ist geboten, um das Tagesbefinden zu verbessern sowie um gestörtem Schlaf als immunologischer Risikokonstellation entgegenzuwirken.

  • Bezüglich kognitiver Befunde, ihrer Ursachen und Prognose ist weitere Forschung notwendig, die eine Phänotypisierung des kognitiven Leistungsprofils im Längsschnitt mit Daten moderner Bildgebungstechniken und immunologischen Markern assoziiert.