PSYCHO↔SOMATIK: Vielleicht wäre es tatsächlich hilfreich, die Schreibweise dieses Begriffes zu ändern. Dadurch wäre einerseits die bidirektionale Wechselwirkung visualisiert und andererseits ein neutraler, politisch noch nicht besetzter Oberbegriff geschaffen für ein Themengebiet, um dessen Deutungshoheit sich heute mindestens fünf Disziplinen bemühen:

  • psychosomatische Medizin,

  • Verhaltensmedizin,

  • Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie,

  • Gesundheitspsychologie und

  • Somatopsychologie.

Was unterscheidet diese Ansätze und was haben sie gemeinsam?

Die klassische psychosomatische Medizin hat ihre Wurzeln in der Neurosenlehre der Psychoanalyse: Somatische Symptome und Erkrankungen werden demgemäß durch psychische Konflikte ausgelöst und aufrechterhalten. Der körperlichen Symptomatik kommt dabei die Funktion eines Symbols zu, dessen konflikthafter Ursprung dem Betroffenen in der Regel unbewusst ist. Der Charme dieser Sichtweise liegt in seiner Ökonomie: Die Annahme, dass durch die Aufklärung und Lösung intrapsychischer Konflikte eine Vielzahl unterschiedlichster somatischer Erkrankungen zu behandeln sei, entband den tiefenpsychologisch orientierten Psychosomatiker von der Aufgabe, sich das Wissen über die entsprechenden körperlichen Erkrankungen anzueignen. In dem Maße, in dem diese tradierte Sichtweise zugunsten eines multikausalen, mehrdirektionalen biopsychosozialen Modells revidiert wird, steigt der Anspruch an das somatomedizinische Fachwissen des Psychosomatikers – im strengen Sinne auf Facharztniveau. Dies aber würde eine doppelte Facharztausbildung verlangen und ist daher in der Regel schlicht nicht zu leisten. Die Etablierung der „fachbezogenen Psychosomatik“, also die Weiterbildung somatischer Fachärzte in psychotherapeutischer Methodik, ist eine logische Konsequenz aus diesem Dilemma und sicherlich eine der vordringlichsten Aufgaben der modernen psychosomatischen Medizin.

Der Überlappungsbereich der psychosomatischen Disziplinen ist beträchtlich

Die Verhaltensmedizin ist historisch deutlich jünger als die Psychosomatik und geht zurück auf den ersten internationalen „Congress on Behavioral Medicine“ in Yale, USA, 1977. Sie versteht sich als ein interdisziplinäres Feld, welches die Bedeutung kognitiver, emotionaler und behavioraler Faktoren für die Entwicklung, den Verlauf und die Therapie körperlicher Erkrankungen untersucht. Der Schwerpunkt liegt dabei auf empirischer und experimenteller Forschung sowie auf kognitiv-behavioralen Interventionen. Im Gegensatz zum tiefenpsychologisch determinierten unidirektionalen Ansatz der klassischen Psychosomatik sieht die Verhaltensmedizin zirkuläre Wechselwirkungen als maßgeblich an.

Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie ist eine Disziplin der Psychiatrie, die sich mit klinisch relevanten psychiatrischen Problemen bzw. Fragestellungen bei körperlich erkrankten Patienten auseinandersetzt. Der Schwerpunkt liegt hier in der interdisziplinären Organisation stationärer Akutbehandlung. Die häufigsten Störungsbilder sind dementsprechend Anpassungsstörungen, Angst- und depressive Störungen, organische Psychosyndrome und alkoholassoziierte Störungen. Die Interventionen konzentrieren sich neben der Diagnostik auf psychotherapeutische Kurzinterventionen, motivationale Gespräche und Beratung sowie kollegiale Steuerung der psychopharmakologischen Behandlung bei körperlich kranken Patienten.

Die Gesundheitspsychologie ist ein Teilgebiet der Psychologie und wurde ebenfalls durch die Entwicklungen in den USA beeinflusst: Die „Division of Health Psychology“ der American Psychological Association (APA) wurde 1978 gegründet und beeinflusst heute in hohem Maße die Gesundheitspolitik in den USA. Im Gegensatz zum interdisziplinären Ansatz der Verhaltensmedizin betont die Gesundheitspsychologie die Anwendung primär psychologischer Modelle, Forschungs- und Interventionsmethodik zum Thema Gesundheit. Im Zentrum des Interesses steht dabei die Frage nach gesundheitsförderlichen bzw. schädlichen Determinanten. Hier sind neben individuellen Faktoren auch soziologische und systemrelevante Variablen von Interesse, wie etwa die Strukturen des Gesundheitssystems.

Auch die Somatopsychologie – die jüngste der fünf Disziplinen – versteht sich als ein Teilgebiet der Psychologie. Im strengen Sinn des Wortes könnte es sich um den komplementären Ansatz zur Psychosomatik handeln, also um die Erforschung von und Intervention bei psychischen Folgen somatischer Erkrankungen. De facto aber versteht sich auch die Somatopsychologie als eine Disziplin, die sich um die Bedeutung psychischer Faktoren bei der Entstehung und im weiteren Verlauf körperlicher Erkrankungen kümmert. Als klinisches Fach entwickelt sie psychotherapeutische Konzepte, um insbesondere Bewältigungsprozesse somatischer Erkrankungen zu verbessern und deren Verlauf günstig zu beeinflussen. Folgerichtig setzten sich die psychologischen Vertreter dieser Disziplin dafür ein, in der Fort- und Weiterbildung psychologischer Psychotherapeuten krankheitsspezifische Kurrikula zu integrieren: Psychoonkologie, Schmerztherapie, Psychokardiologie und Psychogynäkologie, um nur die wichtigsten zu nennen. Damit bearbeitet die Somatopsychologie als psychologische Disziplin das deckungsgleiche Feld wie die fachgebundene Psychosomatik als medizinische Disziplin.

Sie sehen, auch dem aufmerksamen Leser fällt es nicht leicht, die Themengebiete dieser fünf Fachgebiete klar abzugrenzen – zu hoch sind die Überlappungsbereiche, und die zum Teil heftig betriebene Debatte um die Deutungshoheit auf dem jeweiligen Gebiet liegt sicherlich eher in berufspolitischen Interessen begründet als in nachvollziehbaren wissenschaftlichen Zusammenhängen.

Versucht man das Feld der PSYCHO↔SOMATIK inhaltlich zu gliedern, so bieten sich vier Themenfelder an:

  • somatische Folgen primär psychischer Erkrankungen (z. B. kardiale Erkrankungen nach affektiven Störungen),

  • somatische Komorbidität bei psychischen Erkrankungen (z. B. Leberfunktionsstörungen bei chronischem Alkoholabusus),

  • psychische Folgen primär somatischer Erkrankungen (z. B. „chronic fatigue“ bei Tumorpatienten),

  • primär körperliche Beschwerden als Manifestation psychosozialer Belastungen (z. B. somatoforme Störungen).

Forscher und klinisch tätige Psychiater stehen vor neuen, spannenden Aufgaben

In allen vier Themenfeldern sind in den letzten Jahren deutliche Fortschritte auf empirischer und experimenteller Ebene gemacht worden, und gerade unser erweitertes Wissen um die Bedeutung psychischer Störungen in der Ätiopathogenese somatischer Erkrankungen stellt nicht nur den Forscher, sondern auch den klinisch tätigen Psychiater vor neue, spannende Aufgaben – nachhaltige Steuerung der Medikation, Ernährungsberatung, Motivation zum Sport, um nur einige zu nennen.

Die Autoren dieses Themenschwerpunktes wurden gebeten, eine knappe Übersicht zum gegenwärtigen Wissensstand eines psychosomatischen Themenkomplexes zu geben, die offenen Fragen und Forschungsansätze allgemeinverständlich darzustellen und praxisrelevante Hinweise herauszuarbeiten.

Beginnend mit einer Arbeit aus der Grundlagenforschung beschreiben Leila Haddad und Andreas Meyer-Lindenberg ein zentrales Anliegen der modernen Psychosomatik – die Mechanismen der Gen-Umwelt-Interaktion am Beispiel der erworbenen Sensitivität für Stressverarbeitung auf neuronaler Ebene. Es ist bekannt, dass „Urbanizität“, also das Aufwachsen in städtischer Umwelt während der ersten 15 Lebensjahre, ein wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Störungen ist. Neuere experimentelle Untersuchungen an Gesunden in der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) konnten zeigen, dass städtisch aufgewachsene Personen im Vergleich zu ländlich Aufgewachsenen eine stärkere Aktivierung des perigenualen anterioren zingulären Kortex (pACC) aufweisen, während sie kognitiv anspruchsvolle Aufgaben unter strenger sozialer Bewertung und missbilligender Rückmeldung bearbeiteten. Der pACC ist nun einerseits maßgeblich eingebunden in die zentrale physiologische Stressregulation, andererseits steht er unter dem Einfluss von Genvarianten, die in genomweiten Assoziationsstudien im Zusammenhang mit Schizophrenie und bipolarer Störung gehäuft entdeckt wurden. Frühe, stressvermittelte Sensitivierungsprozesse des pACC könnten somit das Risiko vermitteln, im Laufe des Lebens eine psychische Störung zu entwickeln.

Michael Deuschle und Ulrich Schweiger setzen sich mit den Wechselwirkungen zwischen Depression, Typ-2-Diabetes und metabolischem Syndrom auseinander: Einerseits gelten depressive Episoden als Risikofaktor für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes, andererseits kommt es bei Patienten mit Typ-2-Diabetes, wie bei vielen anderen chronischen Erkrankungen, im weiteren Verlauf zu einem erhöhten Risiko für depressive Syndrome. Wechselseitig führt das Vorliegen der Komorbidität zu einem ungünstigeren Verlauf der anderen Erkrankung. Die Autoren stellen zunächst die wichtigsten epidemiologischen Zusammenhänge zwischen diesen beiden Erkrankungen dar, skizzieren dann die pathophysiologischen Konzepte und diskutieren die Implikationen für die Praxis: Sorgfältige Wahl der psychopharmakologischen Behandlung sowie Sport- und diätbezogene Beratung mindern das Risiko und gehören in das Repertoire des praktisch tätigen Psychiaters.

Christian Otte et al. bearbeiten das Feld der psychischen Störungen bei neurologischen Erkrankungen. Sie konzentrieren sich dabei auf die Bedeutung der Depression als Folgeerkrankung von und Risikovariable für die Entstehung von Schlaganfall, Morbus Parkinson, Multipler Sklerose und Epilepsie und insbesondere auf die möglichen Behandlungsoptionen.

Annette Kersting aus dem Referat für Frauen- und geschlechtsspezifische Fragen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) skizziert die Problematik affektiver Erkrankungen während der Schwangerschaft und nach Schwangerschaftsverlusten: Depressionen gehören zu den häufigsten peripartalen Erkrankungen überhaupt und sind mit einem erhöhten Risiko für Frühgeburt und kindliche Entwicklungsbeeinträchtigungen verbunden. Nur wenige der betroffenen Frauen werden derzeit adäquat behandelt, obgleich erste Daten zur Wirksamkeit störungsspezifischer Psychotherapie vorliegen, die auch das Risiko für postnatale Depressionen verringern. Es wäre also sinnvoll, so fordert die Autorin, peripartale Screenings anzustreben, um erkrankte Mütter rechtzeitig zu erkennen und angemessen zu behandeln. Schwangerschaftsabbrüche, insbesondere in den ersten Schwangerschaftswochen, können komplizierte Trauerreaktionen auslösen, die unbehandelt zur Chronifizierung neigen. Hier zeigen Trauerinterventionen eine hohe Wirksamkeit.

Des Themenbereichs psychische Störungen in der Reproduktionsmedizin nehmen sich Ulrich Schweiger et al. an: Etwa 5–10% aller Frauen, die sich für ein Kind entscheiden, bleiben dauerhaft kinderlos. Psychische Faktoren wie Depression, Essstörungen und unspezifischer Stress gelten heute als prognostisch ungünstig. Modellhaft leuchten die Autoren das Zusammenwirken verhaltenswissenschaftlicher, neurobiologischer, reproduktionsendokrinologischer und reproduktionsmedizinischer Parameter aus und skizzieren die wesentlichen therapeutischen Konsequenzen.

Dass koronare Herzerkrankungen mit Stress und Stressverarbeitung assoziiert sind, ist Allgemeinwissen. Das Ausmaß, in dem depressive Erkrankungen die Entwicklung und den Verlauf von Koronarerkrankungen sowie die Überlebensraten beeinflussen, ist aber doch beeindruckend. Florian Lederbogen und Andreas Ströhle stellen in ihrer Übersichtsarbeit die wichtigsten Studien dar sowie die entsprechenden pathomechanistischen Modelle und therapeutischen Möglichkeiten.

Auch Essstörungen sind psychosomatische Störungen und erfordern ein Zusammentragen von neurobiologischem und kognitiv-behavioralem Wissen, um Entstehungsbedingungen und Krankheitsverläufe zu verstehen. Die Arbeit von Ulrich Voderholzer et al. konzentriert sich auf die Darstellung der wissenschaftlichen Evidenzlage von Behandlungserfolgen und gibt dezidierte Therapieempfehlungen.

Jedes Jahr erkranken in Deutschland ca. 470.000 Menschen an Krebs. Im Verlauf ihrer Erkrankung leiden 30% der Tumorpatienten und 25% der Angehörigen an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung. Das Arbeitsfeld der Psychoonkologie umfasste dabei nicht nur deren Behandlung bzw. Prävention, sondern auch die Beeinflussung pathogenetisch relevanter Verhaltensmuster. Der Artikel von Martina Haeck et al., gibt einen aktuellen Überblick über die wichtigsten Themenbereiche der Psychoonkologie sowie relevante Weiterbildungsaspekte.

Wir hoffen, mit dieser Themenauswahl den Vorgeschmack auf den Schwerpunkt des diesjährigen DGPPN-Kongresses geweckt zu haben: „Zukunft der Psycho-Sozialen Medizin“. Die Breite und Qualität, mit der psychosomatische Themen auf diesem Kongress abgehandelt werden, zeigt, dass die Psychosomatik endgültig im Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie angekommen ist.

Prof. Dr. M. Bohus

Prof. Dr. H.-P. Kapfhammer