Hintergrund und Fragestellung

Ergebnis einer kürzlich publizierten Befragung des Marburger Bundes war, dass ein Viertel der angestellten Ärztinnen und Ärzte über einen Berufswechsel nachdenkt [9]. Als Ursache wurden u. a. die schlechten Arbeitsbedingungen genannt, wie z. B. viele Überstunden und die mangelhafte Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben/Familie [9].

Relevant wurde das Thema der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben/Familie (Work-Life-Balance) bereits in den 1970er-Jahren, mit der Zunahme von berufstätigen Frauen und somit der Abkehr von dem Konzept der familiären Arbeitsteilung im Sinne eines Alleinverdieners und einer für den Haushalt und Kindererziehung zuständigen Person [27]. Grundsätzlich geht die Vereinbarkeit jedoch über die Versorgung der Familie hinaus und beinhaltet die grundsätzliche Balance zwischen Arbeit und Privatleben, den Ausgleich zwischen belastenden und erholsamen Tätigkeiten sowie die Erfüllung der unterschiedlichen Anforderungen aus Privat- und Berufsleben [23]. Verfolgt werden kann dieses Ziel z. B. auch über die Reduzierung der Arbeitszeit und das Ausüben der beruflichen Tätigkeit in Teilzeit [19]. Defizite im Bereich der Work-Life-Balance begünstigen die Entstehung von Burn-out und stehen somit im engen Zusammenhang mit dem Wohlbefinden der Ärzt*innen und Pflegekräfte i. Allg. [8, 20]. Besonders häufig von Burn-out betroffen sind dabei im intensivmedizinischen Bereich tätige Ärzt:innen und Pflegekräfte. Große internationale Studien kommen für den intensivmedizinischen Bereich auf Prävalenzanteile von 28–61 % der Mitarbeiter:innen die unter Burn-out leiden, womit diese Gruppe überdurchschnittlich häufig betroffen ist [5]. Aufgrund des direkten Zusammenhangs zwischen Burn-out und Patientensicherheit gehen die Auswirkungen über den Einzelnen hinaus und wirken sich direkt auf die medizinische Versorgung aus [7]. Der Teufelskreis aus Überlastung, daraus resultierenden medizinischen Fehlern und der hieraus wiederum entstehenden psychischen Belastung des medizinischen Personals führt zu dem „second victim syndrome“, welches den Fokus nicht nur auf den Patienten („first victim“) sondern auch auf den Behandelnden, in diesem Fall das „second victim“, richtet [10].

In Zeiten eines eklatanten landesweiten Mangels an Ärzt*innen und Pflegekräften [3], aber speziell auch im Bereich der pädiatrischen und neonatologischen Intensivmedizin [1, 14] ist es für die zukünftige Ausrichtung eines Fachgebiets entscheidend, mehr über die erlebte Arbeitszufriedenheit zu erfahren und zukünftigen Herausforderungen somit gezielt frühzeitig zu begegnen. Ziel der hier durchgeführten Studie war es, mehr über die Sicht der Ärzt*innen wie auch der Pflegekräfte im Bereich der Neonatologie, pädiatrischen Intensivmedizin und pädiatrischen Infektiologie auf die erlebten Arbeitsbedingungen wie auch ihre Arbeitszufriedenheit zu erfahren.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Datenerhebung

Im Rahmen der 48. Jahrestagung der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (GNPI), gemeinsam mit der 29. Jahrestagung der Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), in Aachen wurde eine Querschnittbefragung der am Kongress teilnehmenden Pflegekräfte und Ärzt*innen durchgeführt.

Die Teilnahme an der anonymen Umfrage war in schriftlicher Form oder als Online-Fragebogen möglich. Die Kongressteilnehmer*innen (n = 1634) hatten die Möglichkeit, beim GNPI in Aachen vom 19.05.2022 bis 21.05.2022 vor Ort an der schriftlichen Befragung oder online (Bewerbung der Befragung über Einblendung in einzelnen Sessions bzw. durch direkte Kontaktaufnahme an einem Messestand) oder im Anschluss an die Tagung bis zum 09.07.2022 an der Online-Befragung teilzunehmen.

Erhebungsinstrument

Der Fragebogen adressierte die 5 Schwerpunkte:

  1. 1.

    grundlegende soziodemografische Merkmale und private Situation (Geschlecht, Alter, Beruf, familiäre Situation usw.).

  2. 2.

    Fragen zur Arbeitssituation und zu beruflichen Belastungen.

  3. 3.

    Fragen zur Work-Life-Balance (Trierer Kurzskala zur Messung von Work-Life-Balance. TKS-WLB; [23]).

    Die TKS-WLB-Skala gilt dabei als gut geeignetes und validiertes Messinstrument zur globalen Einschätzung der Work-Life-Balance [23]. Das Messinstrument basiert dabei auf der Definition von Bauer-Emmel [2], wonach unterschiedliche Lebensbereiche, Rollen und Ziele miteinander in Einklang gebracht werden, sodass eine Balance entsteht [23].

  4. 4.

    Fragen zu Gesundheit und Wohlbefinden (WHO-5-Wohlbefindens-Index, Version II; [4]) und Copenhagen Burnout Inventory (CBI; [12]).

    Als Instrumente zur Messung von Burn-out genutzt wurde das Copenhagen Burnout Inventory (CBI) [12]. Die Items zu „persönlichem Burn-out“ des CBI werden genutzt, um generelle Symptome von Erschöpfung und Müdigkeit zu erheben, die eine Person erlebt [12]. Die hier in dieser Befragung verwendete allgemeine Domäne des Instruments erfasst nicht zwangsläufig einen (arbeitsbezogenen) Burn-out-Zustand, sondern den Grad der physischen und psychischen Müdigkeit und Erschöpfung, den eine Person erlebt [12]. Das allgemeine Wohlbefinden wird mit dem WHO-5-Wohlbefindens Index gemessen [22]. Diese international validierte Kurzskala gilt als sensitives und spezifisches Instrument für das Screening auf Depressionen (Cut-off-Wert: ≤ 50 Punkte, je niedriger der Wert, desto schlechter das Wohlbefinden), das bereits weltweit in unterschiedlichsten Settings eingesetzt wurde, wodurch sich eine große Bandbreite an Vergleichswerten ergibt [24].

  5. 5.

    Fragen zu den beruflichen Perspektiven in nächsten 5 Jahren und somit zur Absicht, weiterhin in der aktuellen Position tätig zu sein.

Statistische Analyse

Alle Analysen wurden mit R 4.2.1 [16], der integrierten Entwicklungsumgebung RStudio [18] und ergänzenden folgenden Softwarepaketen durchgeführt [11, 13, 21, 25, 26]:

Ergebnisse

Insgesamt haben 127 Personen an der schriftlichen Befragung und 262 Personen an der Online-Befragung teilgenommen. Nach Datenbereinigung wurden die Fragebogen von 211 Pflegekräften und 178 Ärzt*innen in die Analyse einbezogen. Dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlten sich 69 % der Ärzt*innen und 97 % der Pflegefachkräfte.

Vollzeit, Teilzeit und Überstunden

Insgesamt arbeiten 74 % der Ärzt*innen in Vollzeit (≥ 38 h/Woche) (Ärzte: 80 %, Ärztinnen: 69 %), wobei dies jedoch nur von 49 % der befragten Ärzt*innen (Ärzte: 57 %, Ärztinnen: 41 %) gewünscht ist. 50 % der Ärztinnen, die gerne in Teilzeit arbeiten würden, arbeiten Vollzeit. Aber auch 65 % der Ärzte arbeiten Vollzeit, trotz Wunsch nach einer Teilzeittätigkeit. Unter den Ärzt*innen, die sich eine Teilzeittätigkeit wünschen, haben 49 % (Ärzte: 70 %, Ärztinnen: 44 %) mindestens ein Kind im Alter unter 12 Jahren. Ist mindestens ein Kind unter 12 Jahren vorhanden, liegt der Anteil der Ärzt*innen, die in Teilzeit arbeiten wollen, bei 71 % (Ärzte: 56 %, Ärztinnen: 92 %). Im multivariaten Modell zeigt sich, dass der Wunsch, in Teilzeit tätig zu sein, signifikant häufiger bei Ärzt*innen mit Kindern im Alter unter 12 Jahren auftritt und häufiger von Ärztinnen geäußert wird als von Ärzten (Tab. 1).

Tab. 1 Wunsch nach Vollzeittätigkeit bei Ärzt*innen

Die Anzahl der durchschnittlichen Überstunden in der Woche unterscheidet sich nicht signifikant zwischen in Teilzeit (15 % der vertraglichen Arbeitszeit, Median 11 %) und in Vollzeit tätigen Ärzt*innen (15 % der vertraglichen Arbeitszeit, Median 14 %). Die Tätigkeit in einer Uniklinik hat im multivariaten Modell keinen signifikanten Einfluss auf das Wohlbefinden und wurde deshalb hier nicht mit aufgenommen (Tab. 2).

Tab. 2 Deskriptive Ergebnisse

Work-Life-Balance

In Bezug auf die Work-Life-Balance zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen Ärzt*innen (MW 3,1, SD 0,96) und Pflegekräften (MW 3,6, SD 0,98), wobei die Work-Life-Balance durch den pflegerischen Dienst durchschnittlich höher eingeschätzt wird. Zwischen Ärztinnen und Ärzten wie auch zwischen Ärzt*innen mit und ohne Kinder unter 12 Jahren zeigt sich kein signifikanter Unterschied in Bezug auf die eingeschätzte Work-Life-Balance, jedoch in Bezug auf Ärzt*innen in Voll- vs. in Teilzeit, wobei Ärzt*innen in Vollzeit grundsätzlich eine geringere Work-Life-Balance angegeben. Auch das Alter der Ärzt*innen hat keinen signifikanten Einfluss auf die eingeschätzte Work-Life-Balance. Ein signifikanter Zusammenhang zwischen Überstunden pro Woche ist nur bei Ärzt*innen (p < 0,001), nicht aber bei Ärzten (p = 0,214) gegeben. Haben die Ärzt*innen mindestens ein Kind unter 12 Jahren (p = 0,013), wird auch hier der Zusammenhang zwischen Überstunden und Work-Life-Balance signifikant, wobei der Effekt sowohl bei Teilzeit- (p = 0,034) wie auch bei Vollzeittätigkeit (p = 0,026) signifikant ist.

Wohlbefinden und Burn-out

In Bezug auf Burn-out, gemessen mithilfe des CBI, zeigen sich bei Ärzt*innen (MW 52,7, SD 16,8) und Pflegekräften (MW 53,2, SD 17,7) zwischen Vollzeit und Teilzeit, zwischen den Geschlechtern und auch nach Alterskategorien keine signifikanten Unterschiede.

Insgesamt weisen in Bezug auf das Wohlbefinden, gemessen mit dem WHO-5-Wohlbefindens-Index 56 % der Ärzt*innen und 52 % der Pflegekräfte kritische Werte (unter 51 Punkte) auf. Nach Berufsgruppen sind keine signifikanten Unterschiede vorhanden (Ärzt*innen (MW 48,8, SD 20,3)), Pflegekräfte (MW 47,9, SD 22,2), jedoch zeigen sich signifikant geringere WHO-5-Werte bei Ärzt*innen mit Kindern unter 12 Jahren (MW 42 vs. 53, p = 0,0013). Bezogen auf das Geschlecht kommen Ärztinnen auf signifikant höhere WHO-5-Werte als Ärzte (p = 0,034), wobei das Alter keinen signifikanten Einfluss zu haben scheint. Ebenso hat auch die Tätigkeit in einer leitenden Position im multivariaten Modell einen signifikanten Einfluss auf das Wohlbefinden, wobei die Wahrscheinlichkeit, einen WHO-5-Wert ≤ 50 Punkte zu haben, hier signifikant geringer ist (Tab. 3).

Tab. 3 Logistisches Model: WHO 5

Circa 44 % der befragten Ärzt*innen unter 60 Jahren planen, in den nächsten 5 Jahren ihren Arbeitgeber zu wechseln. Ein signifikanter Zusammenhang (p = 0,000) zeigt sich hier insbesondere zwischen Burn-out (WHO‑5, p = 0,008) wie auch Work-Life-Balance-Konflikten (TKS, p < 0,001) und dem Wunsch, den aktuellen Arbeitgeber zu verlassen. Rückblickend nicht mehr Medizin studieren würden dagegen weniger als 10 % der befragten der Ärzt*innen (Tab. 4; Abb. 1).

Tab. 4 Selbst eingeschätzte berufliche Position in 5 Jahren
Abb. 1
figure 1

Boxplots zur vertraglichen Arbeitszeit (a), gewünschten Arbeitszeit in (h/Woche) (b) und der Differenz zwischen tatsächlicher und gewünschter wöchentlicher Arbeitszeit (c)

Diskussion

Der Fachkräftemangel zeigt sich aktuell als einer der größten Herausforderungen der nächsten Jahre [3]. Um diesem zu begegnen, ist es wichtig, vorhandene Mitarbeiter*innen zu halten wie auch neue zu gewinnen. Dies ist nur möglich, wenn die Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen bekannt sind und wenn nötige Maßnahmen getroffen werden, die dafür sorgen, dass die Arbeitszufriedenheit und die Gesundheit der Mitarbeiter*innen erhalten oder sogar verbessert werden. Insgesamt zeigt sich in der Befragung von Ärzt*innen und Pflegekräften im Umfeld der Neonatologie vermehrt der Wunsch, in Teilzeit tätig zu sein. Besonders die Vereinbarkeit von Kindererziehung und beruflicher Tätigkeit spielt hier eine entscheidende Rolle. Dies deckt sich mit den Ergebnissen aus einer Befragung von Ärzt*innen in Weiterbildung. Auch hier zeigte sich der hohe Anteil an Ärzten und Ärztinnen, die nicht in Vollzeit arbeiten möchten, wobei sich hier gezeigt hat, dass besonders Ärztinnen mit Kindern (82 %) eine Teilzeitanstellung präferieren (Ärzte mit und ohne Kinder: 16 %) [28]. Ist es möglich in Teilzeit tätig zu sein, sehen wir hier auch im Bereich der Work-Life-Balance eine höhere Zufriedenheit. Ein interessanter Ansatz ist es, hier nicht das Gleichgewicht zwischen „Work“ und „Life“ zu fokussieren, sondern die Work-Life-Balance im Sinne eines Budgets zu begreifen, welches so individuell ist wie die Bedürfnisse jedes einzelnen Mitarbeiters und jeder einzelnen Mitarbeiterin [17]. Die unterschiedlichen Bedürfnisse von Eltern und hier explizit von Müttern zeigen sich auch in unseren Daten. Insgesamt haben 68 % der befragten Ärzt*innen mit Kindern unter 12 Jahren einen WHO-5-Wert im klinisch relevanten Bereich (unter 51 Punkte). Der Zusammenhang zwischen Depression und Arbeitsstunden konnte auch von Fang et al. nachgewiesen werden, mit der Schlussfolgerung, wieder mehr Fokus auf eine Reduktion von Arbeitszeiten zu legen, wenn die Gesundheit von Ärzt*innen gesteigert werden soll [6].

Das niedrigere Wohlbefinden von ärztlichen Mitarbeiter*innen in leitender Position ist relevant, zum einen aufgrund der Vorbildfunktion für Assistenz- und Fachärzt*innen wie auch im Hinblick auf die Behandlungsverantwortung. Unter anderem ist auch das Wohlbefinden des Arztes mit der Häufigkeit von Behandlungsfehlern assoziiert [15]. Insgesamt bedarf es neuer und innovativer Dienstplankonzepte mit zeitlicher Flexibilität, die diesen unterschiedlichen Bedürfnissen (z. B. Eltern, leitende Mitarbeiter*innen) gerecht werden. Ein möglicher Ansatz ist z. B. die Einrichtung von Lebensarbeitszeitkonten zur besseren Vereinbarkeit von familiären Verpflichtungen, wie Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen. Natürlich macht dies die Personalplanung komplexer und aufwendiger, geht dann jedoch wahrscheinlich mit einer höheren Arbeitszufriedenheit einher, welche notwendig ist, nicht nur um vorhandenes Personal zu binden, sondern auch neues Personal zu gewinnen. Dies ist gerade auch in der Neonatologie, in Anbetracht der Personalvorgaben für die Intensivpflege von Frühgeborenen, essenziell notwendig.

Die hier dargestellten Analysen sind aufgrund des Rekrutierungsdesigns und der doch geringen Fallzahl nicht als repräsentativ zu sehen, können aber wichtige Einblicke in einen bisher viel zu wenig thematisierten Bereich geben. Das Ziel der nächsten Jahre wird es sein, Arbeitsmodelle neu zu denken, um dadurch die Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen zu steigern und dadurch gleichzeitig auch eine hohe Qualität der Patient*innenversorgung zu gewährleisten.